IT-Services: Verlockung Mittelstand

18.09.2006
Von Dorothea Friedrich
Das Beratungsunternehmen Berlecon bezweifelt, dass der derzeitige Hype um den Mittelstand bei den IT-Dienstleistern gerechtfertigt ist.

Analyst Andreas Stiehler geht davon aus, dass der Aufbau eines profitablen Mittelstandsgeschäfts "nur mit hochskalierbaren Services, die auf effizientem Wege vertrieben werden" möglich ist. Seine Begründung: Einen einheitlichen KMU-Markt (kleine und mittlere Unternehmen) gibt es nicht. Doch alle Unternehmen wollen konkrete Lösungen für ihre Probleme und Verhandlungen auf Augenhöhe. Deshalb sieht er in der Betreuung und Problemlösung bei geringen Projektgrößen eine Aufgabe der lokalen IT-Dienstleister. Er rechnet damit, dass für größere, überregionale IT-Dienstleister die Erschließung des Mittelstands ungleich schwerer ist.

Einerseits gilt es nämlich, Servicepakete für konkrete Problemstellungen zu schnüren, die zu attraktiven Preisen vertrieben werden können und "on demand" handel- und lieferbar sind. Solche Angebote sind aber derzeit im deutschen IT-Services-Markt eher noch die Ausnahme als die Regel. Andererseits benötigt das Mittelstandsgeschäft eine komplett neue Vertriebsstruktur. Account Management - wie im Großkundengeschäft üblich - funktioniert im KMU-Markt nicht. Allein die Anfahrt zur Bestandsaufnahme vor Ort würde gewaltig an der knappen Marge fressen, der Business Lunch während der Vertragsverhandlung würde die Kalkulation endgültig sprengen.

Kooperationen mit lokalen Partnern, die mit konkreten Servicepaketen verschiedener IT-Dienstleister im Gepäck, die Kunden vor Ort beraten, scheinen Berlecon Erfolg versprechender. "IT-Dienstleister, die den Verlockungen des Mittelstandsgeschäfts nicht widerstehen können, sollten langfristig planen und die Besonderheiten dieses Marktes berücksichtigen. Wer das KMU-Geschäft dagegen nur als Umsatztreiber für abgespeckte Lösungen im Großkundenbereich begreift, läuft Gefahr, sich ein blaues Auge zu holen", so Stiehler.

Er stützt seine Analyse auf diverse Untersuchungen, die den Mittelstandsmarkt auf den ersten Blick auch für die Großen der IT-Dienstleisterbranche attraktiv erscheinen lassen. So machen KMUs laut dem Institut für Mittelstandsforschung in Mannheim mehr als 99 Prozent aller Unternehmen aus und erzielen etwa 41 Prozent der gesamten Unternehmensumsätze in Deutschland. Die deutschen IT-Dienstleister wittern da regelmäßig Morgenluft, wie die Ergebnisse der Marktanalyse IT-Services 2006 zeigen. Demnach erwarten mehr als 40 Prozent der deutschen IT-Services-Anbieter - unabhängig von der Größe des eigenen Unternehmens - im Mittelstandssegment für 2006 einen Umsatzzuwachs. Nur weniger als zehn Prozent der IT-Dienstleister gehen von einem Umsatzrückgang aus.

Aktuelle Ergebnisse aus dem EU-Projekt e-Business W@tch, an dem Berlecon Research als Forschungspartner mitarbeitet, dämpfen den verbreiteten Optimismus. Die Studie ist auf KMU-spezifische Fragen der IT-Nutzung fokussiert und in ihrem Rahmen wurden europaweit mehr als 10.000 Unternehmen aus zehn verschiedenen Branchen zur IT-Nutzung befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die relativen IT-Budgets der KMUs - gemessen am Anteil der Gesamtkosten - kaum von denen der großen Unternehmen unterscheiden. Sie liegen im Durchschnitt bei etwa fünf bis sechs Prozent. Entsprechend sind wesentliche ITK-Infrastruktur-Komponenten und IT-Applikationen auch im KMU-Segment bereits weit verbreitet.

Zudem lagerte allein im letzten Jahr jedes fünfte kleine und mittlere Unternehmen IT-Services an externe Dienstleister aus. Rechnet man die relativen Budgets in Absolutbeträge um, so wird klar, dass der Umfang der IT-Projekte im KMU-Umfeld wesentlich kleiner ist als im Großkundengeschäft. Die Befragungsergebnisse indizieren zudem nicht, dass die IT-Budgets der KMUs angesichts eines möglichen Nachholbedarfs enorm steigen könnten: Mehr als zwei Drittel der im Projekt e-Business W@tch befragten KMUs gehen auch im nächsten Jahr von unveränderten IT-Budgets aus. (mb)