Grenze zwischen Anwender und Dienstleister verwischt

IT-Services für die Lieferanten

28.06.2002
MÜNCHEN (js) - Supply-Chain-Management endet in der Praxis bei den großen, direkten Zulieferern. Das Nachsehen haben die kleineren Lieferanten im zweiten Glied, die mit ihren Abnehmern schon weniger professionell kommunizieren. Um die Supply Chain durchgängiger zu gestalten, bieten die Automobilzulieferer Hella und Behr eine ASP-Lösung an.

Die Kommunikation zwischen den Automobilherstellern und den Zuliefererbetrieben läuft zum größten Teil über EDI (Electronic Data Interchange). Alle wichtigen Daten der Supply Chain werden mittels dieses Datenformats verschickt, empfangen und in die entsprechenden IT-Systeme übernommen. Allerdings ist die Durchdringungstiefe der E-Business-Fähigkeit innerhalb der Lieferkette auf große Zulieferer beschränkt: "Die Supply Chain endet häufig beim First Tier", bedauert Lars Schietinger, Manager IM Competence Center E-Commerce beim Automobilzulieferer Behr GmbH & Co. Somit hat das Fax im Datenaustausch zwischen den Zulieferern und deren meist kleinen und mittleren Lieferanten große Bedeutung. Das heißt allerdings für die First Tier, dass diese Informationen manuell im Unternehmen erfasst werden müssen. Im schlimmsten Fall sind die Angaben auf dem Fax unvollständig oder unleserlich, was die Bearbeitungszeit nochmals verlängert.

Um die Prozesse im eigenen Unternehmen schlanker und schneller zu gestalten, sind die Zulieferer Behr und Hella KG in die Rolle des IT-Dienstleisters geschlüpft und haben gemeinsam eine Web-basierende EDI-Lösung speziell für die eigenen Lieferanten entwickelt. Dadurch können auch kleinste Geschäftspartner EDI in der Kommunikation mit Behr und Hella nutzen, ohne eigene Systeme vorhalten zu müssen. Die Lösung wird im ASP-(Application-Service-Providing)-Modell angeboten.

In den ersten Entwicklungsschritten arbeiteten die IT-Abteilungen der Unternehmen noch weitestgehend mit eigenen Ressourcen, etwa bei der Prozessbeschreibung. Für die Programmierung und Visualisierung des Web-EDI im Internet zogen Behr und Hella jedoch schon früh einen Partner hinzu. Zunächst sollte das System nur den beiden Zulieferern zur Verfügung stehen, die es dann wiederum ihren Lieferanten anbieten wollten. Allerdings bot es sich an, die Lösung auch an weitere Unternehmen der Branche zu verkaufen.

Für Behr und Hella kam nicht in Frage, eine eigene Vertriebsstruktur für Web-EDI aufzubauen. "Wir haben nicht die Kapazität und es ist auch nicht der Unternehmenszweck, die Lösung zu vermarkten. Unsere Kernkompetenzen liegen komplett woanders", stellt Schietinger die Situation bei Behr dar. Deswegen suchte man im vergangenen Jahr einen großen Partner, der die konzentrierte Weiterentwicklung und das Hosting der Plattform steuern konnte. Dieser wurde mit dem IT-Dienstleister Triaton GmbH gefunden. Die drei Firmen gingen eine Partnerschaft ein, um die Lösung weiter auszubauen und aktiv zu vermarkten.

Ein Problem der Web-EDI-Entwicklungen, die es bereits gab, waren fehlende Standards. Um das eigene System für die gesamte Branche interessant und übertragbar zu machen, riefen die Partner eine Normierungsarbeitsgruppe im Verband der Automobilindustrie ins Leben. Diese befasst sich in erster Linie mit Darstellungsstandards, erläutert Schietinger: Egal, mit welchem Warenempfänger ein Lieferant über EDI kommuniziert - er sollte immer dasselbe Layout im Internet vorfinden.

In der aktuellen Konstellation hosten Behr, Hella und Triaton das Web-EDI zentral auf Servern bei Hella. Unternehmen, die das System ihren Lieferanten ebenfalls anbieten wollen, beteiligen sich an Betrieb und Installation im Sinn des ASP-Modells. Die Abrechnung erfolgt nach der Anzahl der Lieferanten, die ein Warenempfänger anschließen möchte. Für diese Endanwender ist der Warenempfänger dann der Vertragspartner, da er das Web-EDI weiterverteilt. Ob ein First Tier die Kosten an seine Lieferanten weitergibt, bleibt ihm selbst überlassen. Laut Dirk Menzenbach, Operational Manager Product Sales and Consulting bei Triaton, konnte bereits vor ein paar Monaten der erste Kunde gewonnen werden, der nicht aus den Unternehmen Hella oder Behr stammt.

Anbindung der First Tier ist kein Problem

Die technische Anbindung ist aus Sicht von Menzenbach kein großes Problem. Die Web-EDI-Lösung wird beim First Tier an ein vorhandenes EDI-System angeschlossen. Innerhalb einer Woche sei die Anbindung zu realisieren. Die Lieferanten, die das Web-EDI letztlich nutzen, bräuchten nur einen Browser. Diese Zulieferer hingegen fordern das Provider-Trio heraus: "Das Problem ist, die Lieferanten auf EDI umzustellen." Diese müssten dazu gebracht werden, das System tatsächlich anzuwenden. "Man kann einige Lieferanten, bei denen eine gewissen Abhängigkeit besteht, mit Druck dazu bringen, so eine Lösung zu nutzen", erläutert Menzenbach. Das gelte aber natürlich nicht für alle Zulieferer. Schietinger empfiehlt, über entsprechende vertragliche Regelungen den Web-EDI-Einsatz sicherzustellen.

Um möglichst viele dieser Geschäftspartner zur EDI-Nutzung zu bewegen, hat Behr sich dafür entschieden, diesen die EDI-Dienstleistung nicht in Rechnung zu stellen: "Für eine Lösung, die letztlich auch unsere Supply Chain optimiert, auch noch Geld zu verlangen, wäre den Lieferanten gegenüber nicht fair", ist Schietinger überzeugt.

Dass sich Zulieferer wie Hella und Behr auch mit branchenspezifischen IT-Services beschäftigen, halten Marktbeobachter für sinnvoll und legitim: "Es ist ein berechtigtes Interesse der großen Unternehmen, die eine hohe Wertschöpfungskette aufbauen, hier ihren angestammten Bereich zu verlassen", meint etwa Markus Huber-Graul, Senior Consultant bei der Meta Group. IT-Services trügen letzlich dazu bei, die Macht über die eigenen Unternehmensprozesse zu stärken. Allerdings sieht Huber-Graul solche Modelle auf einzelne Branchen beschränkt, da die Lösungen aus einer spezifischen Anwendersituation heraus entwickelt würden.

Beim Vertrieb einer Lösung, also dem Schritt vom reinen Anwender hin zum IT-Dienstleister, sieht Huber-Graul mehrere Möglichkeiten. Eine sei es, mit einer ausgegründeten IT-GmbH an den Drittmarkt zu gehen, die andere sei die Zusammenarbeit mit einem etablierten Service-Provider. Diese stehen solchen Modellen in der Regel aufgeschlossen gegenüber. "Das Interesse ist vor allem bei technisch orientierten Dienstleistern groß. So etwas wird man im Bereich der großen Consulting-Unternehmen weniger finden." Branchenkenntnisse eines Service-Providers sind aus seiner Sicht sehr wichtig.