IT-Profis zwischen Arbeitslust und -frust

12.02.2004
Von Helga Ballauf
IT-Unternehmen möchten noch flexiblere Arbeitszeiten einführen und so Auftragsschwankungen ausgleichen, ergab jüngst eine Konjunkturumfrage. Ganz anders die Interessen der Beschäftigten: Sie streben klare Grenzen zwischen Arbeit und Leben an - kollektiv und verbindlich geregelt. Zu diesem Ergebnis kommen die Arbeitswissenschaftler des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München.

Übernahmeverhandlungen gaben den Ausschlag. Die Beschäftigten des Standardsoftwareherstellers wählten einen Betriebsrat. Bisher hatte Herbert Feihinger** auf Einladung der Geschäftsleitung die Interessen der rund 600 Arbeitnehmer im Aufsichtsrat des Unternehmens vertreten. "Die Übernahme ist eine unbekannte Größe, die heimliche Ängste auslöst", berichtet Feihinger. "Jetzt wollen wir ein Gremium, das legal kollektive Regelungen aushandeln kann." Das Hauptinteresse gilt der Jobsicherheit. "Aber das Thema Arbeitszeit wird gleich danach auf dem Tisch des Betriebsrats liegen", schätzt Feihinger. Besonders die Berater, bei denen sich um des Projekterfolgs willen die Überstunden häufen, wollten einheitliche und verlässliche Rahmenbedingungen.

Die Erfahrungen von Feihinger und Kollegen sind in die Studie "Interessen und Interessenhandeln von IT-Beschäftigten" eingeflossen. Die Arbeitssoziologen Andreas Boes und Kira Marrs vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF München) werteten Experteninterviews und Fallstudien aus und kamen zu folgenden Ergebnissen: Mitarbeiter in IT-Unternehmen möchten die Arbeitsstunden begrenzen und am Wochenende frei haben. Sie suchen nach Wegen, wie sich die Trennung von Arbeit und Leben absichern lässt.

Die Forscher haben nicht die gesamte IT-Branche von den TK-Unternehmern über Hardwarehersteller bis zu Netzwerkdienstleistern untersucht. Vielmehr wählten sie gezielt die Sparte Software und IT-Service aus, erläutert Boes: "Bei der Frage, wie die Zukunft der Arbeitsbeziehungen und der Mitbestimmung aussieht, ist dieses Segment mit rund 388000 Beschäftigten am spannendsten. Hier spielt die Musik."

In den Softwareschmieden prallen Widersprüche besonders hart aufeinander. Die Profis dort erlebten Jahre der Jobsicherheit und Selbstverwirklichung in der Arbeit. Der Verteilungsspielraum war groß, die Beziehungen zu Kollegen entspannt; betriebliche Hierarchie existierte nicht. Inzwischen ist das anders, entweder weil es der Firma schlecht geht oder weil sie zu groß für informelle Interessen- und Konfliktregelung geworden ist. ISF-Forscher Boes: "Die neue Ökonomie der Unsicherheit bringt das alte Weltbild der Beschäftigten - ich kann mich selbst vertreten - ins Wanken. Das betrifft nicht mehr nur Randbereiche der IT-Wirtschaft, sondern ihre Bannerträger: die Entwickler, die Berater, die unteren Führungskräfte."