Kolumne

IT-Profis haben mit Gewerkschaften wenig im Sinn

14.07.2000
Christoph Witte, Chefredakteur CW

Unter IT-Spezialisten herrscht Goldgräberstimmung: Der Fachkräftemangel lässt Honorare, Gehälter und Kompensationspakete (Dienstwagen, Aktienoptionen etc.) immer verrücktere Größenordnungen annehmen.

Trotz dieser Hochkonjunktur warnen die Gewerkschaften vor zu großer Euphorie. IG-Metaller Wolfgang Müller (siehe Seite 59) sieht die heute noch händeringend gesuchten ITler morgen schon auf den Status von Facharbeitern reduziert. Er ist sicher, dass - bis auf wenige Spezialgebiete - IT in den Firmen in Zukunft eine Routineaufgabe darstellt und die heute mit Gold aufgewogenen Profis schon bald wie Tagelöhner behandelt werden. Nur mit Hilfe von Arbeitnehmerorganisationen ließen sich auf Dauer geregelte Arbeitszeiten und akzeptable Rahmenbedingungen mit den Unternehmern aushandeln.

Heutige IT-Spitzenverdiener mögen Müllers Thesen abtun, ganz von der Hand zu weisen sind sie aber nicht. Trotzdem dürften seine Warnungen weitgehend ungehört verhallen. In anderen Branchen mag das traditionelle Arbeitnehmertum noch verwurzelt sein, in der IT fühlt sich kaum jemand als Angestellter, eher als Mitunternehmer, freier Berater oder umschmeichelter Wissensträger. Das Bild von einer solidarisch gegen die Ausbeuter stehenden Arbeiterschaft hat für diese Experten nicht einmal mehr sentimentalen Wert. An dieser Haltung sind die Gewerkschaften nicht unschuldig. Lange haben sie vehement die Sicherung veralteter Strukturen (Bergbau, Stahl etc.) gefordert, Hightech als Jobkiller verteufelt und so die IT-Spezialisten ausgegrenzt. Jetzt ist es wohl zu spät.

In der IT-Szene herrscht zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Eine These, die durch den Trend zur Freiberuflichkeit in diesem Arbeitssegment bestätigt wird. Viele IT-Spezialisten ziehen offenbar die unternehmerische Freiheit der Profitmaximierung dem scheinbar sicheren und geregelten Angestelltendasein vor. Sie setzen darauf, in fünf bis fünfzehn Jahren ihre Schäfchen ins Trockene gebracht zu haben: Keine Garantie, aber eine Chance, die sie als tarifgebundene Angestellte oder "Facharbeiter" nicht bekommen würden.

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