IT-Personalpolitik führt in die Sackgasse

31.01.2007
Von Hadi Stiel
Um Mitarbeiter zu motivieren, empfiehlt der neue Chef von Logica CMG, Torsten Straß, Communities zu bilden. Er kritisiert im CW-Gespräch* den Kurs von Kollegen, die trotz guter Geschäfte Mitarbeiter einsparen.

CW: Stimmt in den Unternehmen noch die Personalpolitik?

Torsten Straß ...

... ist seit 1. Januar dieses Jahres neuer Country Manager von Logica CMG in Deutschland und verantwortlich für 2200 Mitarbeiter. Er gehörte zum Gründerteam des IT-Beratungshauses Avinci, das vom französischen Beratungshaus Unilog übernommen wurde. Das wiederum wurde voriges Jahr von Logica CMG aufgekauft. Der IT-Dienstleister will seinen Personalstand in diesem Jahr um 400 weitere Mitarbeiter ausbauen.

Hier lesen Sie ...

• warum IT-Spezialisten trotz Offshoring-Diskussionen nicht um ihren Job zu bangen brauchen;

• wie Unternehmen ihre Personalpolitik ändern müssen;

• warum die Unternehmenskultur so wettbewerbsentscheidend ist.

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573872: Personalentwicklung;

569743: Personalarbeit in der IT;

573872: Mitarbeitermotiva- tion.

STRASS: Im IT-Personalmarkt ist es enger geworden. Mittlerweile treffen die Unternehmen auf eine ähnliche Ausgangssituation wie in den Boomjahren vor der Jahrtausendwende. Für Entscheider und Personalverantwortliche heißt das, sie müssen sich bei der Akquise von Fachpersonal wieder stärker von ihrer Konkurrenz abheben. Die meisten Manager und in ihrem Kielwasser die Personalabteilungen haben diesen Wandel aber noch nicht gedanklich vollzogen.

CW: Dennoch favorisieren viele Unternehmen weiterhin Kosteneinsparungen über Personalfreisetzung.

STRASS: Diese Strategie wird sich schnell als falsch erweisen. Wie gebannt auf die Börsenbewertung zu schauen und kurzfristig den Gewinn über Entlassungen zu verbessern wird mittel- bis langfristig zu knappen Personalressourcen führen - und zu einer Abwanderung von Know-how aus dem Unternehmen. Das gilt besonders für die IT, wo bereits heute Spezialisten händeringend gesucht werden. Je früher die Unternehmensführer die neuen Rahmenbedingungen erkennen, desto weniger werden sie künftig dem IT-Fachpersonal nachlaufen und dann noch tiefer in die Tasche greifen müssen.

CW: Viele Unternehmen weichen in Billiglohnländer aus und lassen von dort ihre IT-Dienste erbringen. Wie bewerten Sie diesen Trend?

STRASS: Dieses Vorgehen ist durchaus legitim, solange die Gesamtstrategie stimmt und das Unternehmen weiterhin in der Lage ist, mit lokalem IT-Personal die Bedürfnisse der Kunden vor Ort zu erfüllen. Auch Logica CMG operiert mit einer IT-Mannschaft aus Indien. Dennoch sind wir angesichts der Personalentwicklung darauf bedacht, dass diese Strategie nicht auf Kosten unseres Geschäfts in Europa und Deutschland geht. Eine gezielte Ansprache des lokalen Markts, eine schnelle Vor-Ort-Präsenz und ein hochwertiger Service können nun mal besser lokal vorangetrieben werden. Und dafür braucht man qualifiziertes, motiviertes und engagiertes IT-Fachpersonal.

CW: Was sollten Unternehmen tun, um gutes IT-Fachpersonal zu halten und dennoch auf der Kostenseite im Plan zu bleiben?

STRASS: Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die es den Unternehmen ermöglichen, Mitarbeiter zu motivieren und zu binden und parallel eine hohe Produktivität und Qualität zu schaffen, was sich auch positiv auf der Kostenseite niederschlägt. Wir empfehlen beispielsweise, virtuelle Fachgruppen im Unternehmen zu bilden, die sich über das Netz temporär zu Communities zusammenschließen. Auf diese Weise schlagen die Manager fünf Fliegen mit einer Klappe:

• Sie schaffen das Umfeld für einen optimalen Wissensaustausch,

• der sich in einem immer kurzlebigeren Markt hautnah an aktuellen Projekten bewegt,

• die Basis für die Entwicklung neuer, marktnaher Produkte und Services legt,

• auf der Kostenseite zu einer spürbaren Entlastung beiträgt

• und oft zu zusätzlichen Gewinnen über konkrete Geschäfts-, Marketing- und/oder Vertriebsmaßnahmen führt.

Solche Communities auf Zeit müssen sich aus IT-Spezialisten und Fachzuständigen anderer Bereiche rekrutieren, damit sie für das Geschäft gute Ergebnisse liefern. Auf diese vernetzte Form des Wissens werden die Unternehmen immer stärker zurückgreifen müssen, um sich im Markt zu behaupten.

CW: Nicht alle IT-Spezialisten und Fachkräfte werden bereitwillig ihr Wissen für die Wissensdatenbank preisgeben. Sie wollen ja ihre Position im Unternehmen nicht gefährden.

STRASS: Das kurzsichtige Zurückhalten des eigenen Fachwissens sichert keine Position. Ganz im Gegenteil: Diese Haltung setzt im harten Wettbewerb, unter dem die Unternehmen stehen, den Arbeitsplatz spätestens mittelfristig aufs Spiel. Dennoch ist auch die Unternehmensführung gefordert, viel mehr als heute für Knowledge-Sharing und die Motivation und das Engagement des Fachpersonals zu tun.

CW: Wie zum Beispiel?

STRASS: Das beginnt mit einer Einführungsveranstaltung für neue Mitarbeiter. Danach sollte jeder Neue am Anfang durch einen Mentor unterstützt werden. Logica CMG beispielsweise stellt seinen neuen Beschäftigten für ein halbes Jahr einen solchen Mentor zur Seite, der unter anderem die Aufgabe hat, für einen schnellen Aufbau von internen Netzwerken zu sorgen. Zudem muss das Management die Motivation, das Engagement und den Teamgeist der IT-Spezialisten und Fachkräfte wesentlich stärker als heute honorieren, um Wissenstransfer und Leistungsbereitschaft zu fördern. Stichworte dafür sind leistungsgerechte Gehälter, Gewinn- oder Erfolgsbeteiligung am Jahresende, mehr Mitverantwortung.

Darüber hinaus muss für die virtuellen Fachgruppen die Arbeit mit der Knowledge-Basis so einfach und effizient wie möglich von der Hand gehen. Dementsprechend sollten hier positive Beispiele in Form von Musterkampagnen, Präsentationen, Angebotsbausteinen, Vertriebsmodellen, Methoden, Spezial-, Fach- und Branchenwissen im schnellen Zugriff stehen. Auch das fördert die Einarbeitung, verankert bei den IT-Spezialisten und beim Fachpersonal das unternehmerische Denken und bringt ihnen die Unternehmenskultur nah.

CW: Genau die ist durch viele Schlagzeilen ins Gerede gekommen. Sehen Sie für die Unternehmen Bedarf, an ihrer Kultur zu arbeiten?

STRASS: Auf jeden Fall. Ich plädiere in diesem Zusammenhang für eine Wertebasis, die allen Mitarbeitern in Form einer Wertesammlung zugänglich sein sollte. Darin sollten die Versprechen an die Kunden, also zum Beispiel höhere Produkt-, Dienstleistungsqualität, bessere Services, laufende Entwicklungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, aber vermehrt auch ethische Prinzipien stehen. Natürlich müssen sich beide Seiten, sowohl das Management als auch die Mitarbeiter, an diese Wertebasis halten. Nur dann kann sie im Unternehmen glaubhaft gelebt werden. Und nicht zu vergessen: Knowledge-Sharing und Wertebasis prägen auch das Außenbild des Unternehmens. Stimmt beides, begünstigt das nicht nur das Geschäft, sondern auch die für die Unternehmen zunehmend überlebenswichtige Akquise von IT-Spezialisten und Fachpersonal.

CW: Über mehr Motivation und Engagement zu mehr Leistung: Haben viele Unternehmensführer diese Schraube nicht schon überdreht?

STRASS: Teilweise ja. Bisher versuchen viele Manager, mehr Leistung über mehr Druck zu erreichen. Besonders die IT-Abteilungen bekommen diesen Druck in Zeiten der Geschäftsprozessoptimierung und des Personalabbaus kräftig zu spüren. Die eigentlichen Leistungsförderer wie Motivation und Engagement bleiben dadurch auf der Strecke. Die Unternehmensführer sollten stattdessen darauf achten, dass quantitative und qualitative Ziele sich die Balance halten.

Das technisch Machbare kann nicht der Gradmesser für das Geschäft sein, wenn nicht parallel der Arbeitsdruck und die Arbeitslast im Zaum gehalten werden. Ein negatives Beispiel dafür ist die Ausstattung aller Mitarbeiter mit PDAs oder ähnlichen Geräten, um darüber eine Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeitskultur zu schaffen. Solchen Gefahren müssen sich die Unternehmensführer im eigenen Geschäftsinteresse rechtzeitig stellen und gezielt gegensteuern.

CW: Ein sich ankündigender Mangel an IT-Spezialisten und Fachpersonal: Riecht das nicht förmlich danach, dass viele Unternehmen interne Weiterbildungsmaßnahmen verschlafen haben?

STRASS: In den letzten Jahren wurde viel zu wenig in die Weiterbildung dieser Kräfte investiert. Solange der Markt stockte, gingen die meisten Manager davon aus, dass IT-Spezialisten und andere Fachkräfte fast beliebig austauschbar seien. Diese Einstellung ist spätestens heute nicht mehr haltbar. Demzufolge müssen Unternehmen viel mehr in die Schulung ihrer IT-Experten investieren. Nur so werden Firmen mit den technischen und fachlichen Neuerungen konzeptionell, methodisch und ohne große soziale Spannungen Schritt halten können.

Neben der internen Weiterbildung werden die Unternehmen ihre Zusammenarbeit mit den Hochschulen verstärken müssen. Denn nicht nur das Know-how und die Erfahrungen des eigenen IT- und Fachpersonals zählen. Firmen sind auf neue Methoden, Techniken und Herangehensweisen angewiesen, die die Hochschulabgänger mitbringen. Für die Unternehmen heißt das unter anderem, mehr Praktika anzubieten, sich mehr Zeit für die Betreuung von Diplomarbeiten zu nehmen, selbst Themen für solche Arbeiten auszuschreiben, öfter auf Universitätsmessen präsent zu sein und an den Hochschulen spezielle Stellenangebote zu platzieren. (hk)