Interview

"IT ist viel schwieriger, als viele CEOs glauben"

30.06.2000
Mit Michael Fleisher, CEO der Gartner Group, sprach CW-Chefredakteur Christoph Witte

CW: Was sind nach Auffassung der Gartner Group die wichtigsten Trends in der IT?

Fleisher: Über drei Dinge muss jedes Unternehmen heute nachdenken: Erstens, Vorstände und Geschäftsführer müssen anfangen, Technologie als strategisch zu begreifen. Zweitens: die Benutzung des Internet als ein Business-to-Business-Tool im Gegensatz zum Gebrauch als Business-to-Consumer-Tool. In diesem Zusammenhang wichtig ist die Diskussion um die elektronischen Marktplätze, die zur Zeit überall entstehen. Jetzt lautet die Frage, was tun Unternehmen mit diesen Warenbörsen wirklich? Drittens geht es um den Markt für drahtlose Applikationen im B-to-B-Segment.

CW: Was bedeutet Ihre Forderung, Technologie strategisch zu begreifen, konkret?

Fleisher: 50 Prozent der Topmanager in großen Unternehmen haben erkannt, dass IT für ihr Unternehmen strategisch wichtig ist, wissen aber nicht, was sie aufgrund dieser Erkenntnis tun sollen. Und die andere Hälfte weiß noch nicht einmal um die Bedeutung der IT für ihre Companies. Die meisten CEOs erkennen sehr schnell die Stärken und die Möglichkeiten ihrer Unternehmen und wissen auch, wie sie daraus Kapital schlagen können. Aber im Bereich des Internet betrachten Manager Technik zuerst als eine Bedrohung - und dann erst als Chance. Die Tatsache, dass kleine Unternehmen diese Technik so schnell gegen größere Wettbewerber nutzen konnten, hat einige Manager großer Organisationen praktisch paralysiert. Sie wissen, wie wichtig die Sache ist, hoffen aber, dass sich das Problem durch Delegieren lösen lässt - das geht aber nicht.

CW: Viele Manager haben schlechte Erfahrungen mit ihren DV-Abteilungen gemacht. Ist das auch ein Grund für ihre Lähmung?

Fleisher: Die meisten CEOs verstehen IT-Technik nicht intuitiv, nicht so, wie sie das Kerngeschäft ihres Unternehmens verstehen. Wenn ich mit Führungskräften spreche, frage ich sie oft, ob sie schon einmal für ein IT-Projekt doppelt so viel ausgeben mussten als ursprünglich veranschlagt. Das bejahen die meisten. Wenn ich sie dann frage, ob sie auch wissen, warum das Projekt so viel mehr gekostet hat, zucken die meisten mit den Schultern.

CW: Woran liegt das? Schauen sie nicht nach den Details, oder begreifen sie die Komplexität der Technologie und ihrer Anwendung nicht?

Fleisher: Ich glaube, es ist viel schwieriger, eine funktionierende unternehmensweite Informationsverarbeitung aufzubauen, als die meisten Leute - und die meisten Chief Executives - denken. Führungskräfte arbeiten auf Applikationsebene, sie sehen das fertige Produkt, das Frontend, und aus dieser Perspektive sieht die Anwendung sehr einfach aus. Sie verstehen nicht, warum IT-Leute ihre Aufträge nicht "mal eben" erledigen können, wenn es darum geht, ein Intranet oder einen Webshop aufzubauen. Sie wollen von Komplexität nichts hören.

CW: Lässt sich dieses elementare Missverstehen aus der Welt schaffen?

Fleisher: Ein Teil des Problems wird dadurch gelöst, dass nicht nur der CEO ein Business-getriebener Mensch ist, sondern sein Chief Information Officer auch. Auf diese Weise haben die beiden schon einmal kein Sprachproblem, beide haben die Business-Brille auf.

CW: Es hilft also, wenn beide nichts von IT verstehen?

Fleisher: Gestern habe ich mit dem Chief Information Officer einer großen italienischen Bank gesprochen. Das war ein Geschäftsmann, kein Techniker. Seine Rolle besteht darin, die Business-Strategie und die technische Infrastruktur zunächst miteinander abzugleichen, dann aufeinander abzustimmen und letztendlich zu verstehen, wie sich Technologie benutzen lässt, um Geschäfte aufzubauen.

CW: Im Prinzip versucht ein solcher CIO also nur, zu verstehen, wie die IT in seinem Unternehmen funktioniert, und diese Erkenntnisse unterbreitet er dann dem CEO in dessen Sprache?

Fleisher: Ja, er versucht, den Einsatz von IT aus der Business-Perspektive zu betrachten. Außerdem bringt er den IT-Leuten die Business-Strategie nahe. Sie dürfen die Sprachbarriere nicht vergessen, die immer noch besteht zwischen Business- und IT-Seite. Technisch orientierte Menschen begeistern sich für neue Technologien, nicht unbedingt für ihre Anwendungen. Geschäftsleute fragen dagegen nach der Applikation und danach, ob sie ihren Umsatz steigern oder ihre Kosten senken kann. Diesen Widerspruch hat es immer gegeben, aber plötzlich kommen die Manager darauf, dass sie auch Technologie strategisch begreifen müssen.