IT im Gesundheitswesen: Leere Kassen aber hoher Technikbedarf

07.12.2001
Von Angelika Fritsche
Die schwierige finanzielle Lage, in der das Gesundheitswesen verharrt, bremst Investitionen in die Informationstechnologie. Doch ohne entsprechende IT-Infrastruktur ist kein Weg aus der Krise in Sicht. Das Dilemma für branchenversierte Experten mit IT-Know-how: Obwohl sie eigentlich dringend gebraucht werden, stehen derzeit kaum Gelder für sie bereit.

Das deutsche Gesundheitswesen tritt auf der Stelle. Alle Versuche, das marode System auf Vordermann zu bringen, drohen an der miserablen finanziellen Ausstattung zu scheitern. Der rigorose Sparkurs verzögert zugleich die dringend anstehenden Investitionen in die IT-Infrastruktur. Vor allem die staatlichen Krankenhäuser sind massiv davon betroffen. "Die Investitionen und Installationen von Softwarelösungen schreiten in den deutschen Krankenhäusern eher zögerlich voran, weil wenig Geld vorhanden ist", bestätigt Thorsten Opderbeck, Pressesprecher bei Siemens Medical Solutions Health Services (SMS) am Standort Erlangen. SMS bietet IT-Lösungen für das Gesundheitswesen an und ist damit inzwischen zum Weltmarktführer avanciert.

Etwas besser sieht es bei den privatwirtschaftlich geführten Arztpraxen aus, die zumindest teilweise in der Lage sind, in die IT zu investieren, wie Anja Hollmann vom Verband der Hersteller von IT-Lösungen für das Gesundheitswesen e. V. in Berlin zu berichten weiß. Der allgemeine Negativtrend schlägt sich deutlich in den Auftragsbüchern der im Umfeld des Gesundheitswesens agierenden Unternehmen wieder. So vermeldete der Fachverband Elektromedizinische Technik im Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) e. V. in Frankfurt am Main für das Inlandsgeschäft im Jahr 2000 einen Umsatzrückgang von 4,5 Prozent auf 2,34 Milliarden Mark. Den Aufschwung, von dem die Branche noch 1999 profitierte, führt der Vorsitzende des Verbandes Frank Anton allein "auf vorgezogene Investitionen im Zuge der Jahr-2000-Problematik" zurück. Und anders als noch in den Vorjahren konnte "der Export nicht als Wachstumsmotor wirken, obwohl Medizintechnologie ,Made in Germany` international weiterhin einen guten Ruf genießt", wie Anton betont.

Vor allem der Verkauf medizinischer Elektronik- und Informationssysteme ins Ausland ist derzeit ins Stocken geraten. Die knappen Kassen im Gesundheitssektor haben nach den Beobachtungen von Anja Hollmann gleichzeitig einen harten Verdrängungswettbewerb in Gang gesetzt. Um einen Fuß am Markt zu behalten, böten gerade die kleineren Softwarehersteller den Kunden aus dem Gesundheitssektor Lösungen zu Niedrigpreisen an, bei denen sie kaum noch Gewinne abwerfen. Doch mit dieser Strategie könnten sie nicht lange überleben. Schon jetzt zeichne sich ab, dass die Großen der Branche die Kleinen schlucken.

Nur Marktführer wie zum Beispiel SMS, die ihren Hauptsitz in Malvern in New Jersey hat, könnten ihrer finanzschwachen Klientel bezahlbare IT-Produkte anbieten und damit auch noch Gewinne erzielen. Folglich fallen die Prognosen, was die Nachfrage an IT-versierten Fachkräften für die Gesundheitsindustrie betrifft, sehr verhalten aus. Genaue Zahlen mögen die Fachverbände derzeit nicht nennen; einig sind sich alle lediglich in der sehr vage gehaltenen Aussage, dass "eigentlich ein hoher Bedarf aufgrund der anstehenden Strukturveränderungen im Gesundheitswesen besteht".

Gesundheitsindustrie profitiert von E-Commerce

Weitaus optimistischer fällt hingegen die Einschätzung der Unternehmensberatung Roland Berger & Partner in München aus, die kürzlich den Gesundheitssektor unter die Lupe genommen hat: "Die Gesundheitsindustrie ist am ehesten geeignet, ihre Prozesse intern durch E-Commerce zu beschleunigen, zu verbessern und kostengünstiger zu gestalten. Das ist künftig ein Tummelplatz für Informatiker mit interessanten Aufgaben und Perspektiven", so Michael Müller, Leiter des Competence Center Pharma & Medical Devices bei Roland Berger. Das steigende Interesse der Patienten an Gesundheitsinformationen aus dem Internet - so betreffen laut Müller mehr als 25 Prozent der Abfragen im Internet Informationen rund um das Thema Gesundheit - erfordere, dass die Gesundheitsindustrie ihr Angebot entsprechend auf- und ausbaue. Schon jetzt hätten "die vereinfachte, kostengünstigere Nutzbarkeit des Internet und das reichhaltige Angebot dazu geführt, dass der für die Medizintechnik-Industrie besonders interessante ältere Teil der Bevölkerung dieses Medium immer stärker nutzt".

Michael Müller
Michael Müller