Seit April 1998 ist der Strommarkt in Deutschland dereguliert. Ab Februar 1999 gelten EU-weit keine Beschränkungen mehr für den Handel mit elektrischer Energie. Dies bedeutet eine radikale Umwälzung der Geschäftsbedingungen: Die Akteure, die bislang im Rahmen regionaler Monopole tätig waren, müssen sich auf einen freien Markt mit aggressivem Wettbewerb einstellen. Der Strom wird von einem eher verwalteten Versorgungsgut zu einer normalen Ware, die sogar dynamischer gehandelt werden kann als die meisten anderen Güter. Aufgrund der Omnipräsenz eines gut ausgebauten Netzes kann Strom nämlich praktisch in jeder Menge aus beliebiger Quelle an jeden Abnehmer verkauft werden, und das bei potentiell stündlich wechselnden Strompreisen. Repräsentative Vertreter der deutschen Energieversorgungswirtschaft haben in einem Labormarkt der PSI AG die Zukunft vorweggenommen.
Vom Branchenriesen VEW in Dortmund bis zu den Stadtwerken einzelner Gemeinden haben insgesamt 18 Akteure der deutschen Stromwirtschaft die Gelegenheit wahrgenommen, in einem Labormarkt die zukünftige Entwicklung unter deregulierten Marktbedingungen zu simulieren.
Die Idee dazu wurde von dem deutschen Marktführer für Netzleittechnik, der Aschaffenburger PSI AG, gemeinsam mit dem Großkunden VEW entwickelt, und zwar mit dem klaren Ziel, Erkenntnisse im Sinne eines Lastenhefts über die IT- und Organisationsanforderungen des deregulierten Markts zu gewinnen.
Nach einhelliger Meinung aller befragten Teilnehmer aus der Energiewirtschaft war dies eine außergewöhnlich lernintensive und effiziente Methode, um eine unbekannte Problematik transparent zu machen.
"Unsere Kunden sind vom Gesetzgeber angehalten, die Stromerzeugung und den Netzbetrieb unternehmerisch zu entflechten. Mit den Stromhändlern und Handelshäusern treten zudem ganz neue Player am Markt auf. Und neben dem rein physikalischen Energie-Management sind nunmehr zahlreiche betriebswirtschaftliche Risiken zu beachten und Marktstrategien zu entwickeln." So beschreibt Barbara Wieler vom Consulting-Team die zur Zeit sehr komplexe Ausgangsproblematik.
Durch die Simulation im Labormarkt müssen die Beteiligten ihre Erfahrungen nicht - wie normalerweise bei völlig neuen Szenarien üblich - teuer erkaufen, sondern für taktische oder strategische Fehler lediglich in "virtueller Mark" bezahlen.
Von Runde zu Runde komplexere Szenarien
Die virtuellen Unternehmen wurden zu Beginn mit realitätsnahen Ressourcen ausgestattet und erhielten die Aufgabe, im deregulierten Energieversorgungsmarkt von "Stromland" Geschäfte zu machen.
In der ersten Phase wird die existierende Landschaft zugrundegelegt, in der die Entflechtung (Unbundling) noch kaum begonnen hat.
In der zweiten Phase treten bei fortgeschrittenem Unbundling zusätzlich Händler auf, und es wird eine Strombörse eingerichtet. Ferner wird der tägliche Direkthandel über einen Spotmarkt ermöglicht.
In der dritten Phase kommen alle Elemente eines ausgereiften liberalisierten Markts zum Tragen, von Akquisitionen und Fusionen bis hin zum Derivatehandel und entsprechendem Risiko-Management. Nach jeder Phase werten die Teilnehmer ihre Erfahrungen in zweitägigen Workshops aus.
Dietmar Heldt, Leiter Lastverteilung und Energieabrechnung bei der Essener Steag, leitet aus der Simulation zum Beispiel folgende Kernanforderungen ab: "Aufbau eines leistungsstarken, modular aufgebauten Rahmen- und Leitsystems, Aufbau eines Prognose- Management-Systems, Vorbereitung eines Handels- und Risiko- Management-Systems, das in das Rahmen- und Leitsystem eingebunden werden kann."
Abb: Die schematische Netzstrukutr des Simulationsmodells. Quelle: PSI