IT GmbHs: Modell ohne Zukunft?

04.11.2004
Von Peter Kreutter
Wer oder was entscheidet über die Zukunft der Konzern-IT? Wie viel IT benötigt ein Unternehmen für das Kerngeschäft? Welchen Platz haben die IT-Töchter noch im Unternehmensverbund?

Mit seinem provokativen Aufsatz "IT doesn’t matter" im "Harvard Business Review" hat Nicholas Carr eine Diskussion angestoßen, die auch in Deutschland viele Gemüter erhitzt. Zwar wurde die Debatte zum Teil differenziert geführt, doch allzu oft endet der Disput nach wie vor in einer Sackgasse, weil der eine oder andere auf einer Extremposition beharrt und den eigenen Standpunkt mit geradezu dogmatischer Vehemenz verteidigt. Zentrale Argumente der Gegenseite werden in diesem Zusammenhang pauschal als "komplett falsch" abgetan. Die Richtigkeit der eigenen Aufassung versucht man dagegen über zugespitzte Einzelbeispiele zu belegen.

Das ist nicht weiter verwunderlich, geht es doch um Besitzstände auf der einen beziehungsweise erhebliches Geschäftsvolumen auf der anderen Seite. So dürften IT GmbHs und die interne Konzern-IT aus verständlichen Gründen ein möglichst großes Interesse daran haben, dass "IT matters", um Existenz, Einfluss und Budgets zu sichern. Im Gegensatz dazu wird jeder Vertriebsmitarbeiter eines Outsourcing-Dienstleisters die Carrsche These unterstützen. Wenn "IT doesn’t matter", ist die Vergabe der IT via Outsourcing oder Verkauf an einen externen Dienstleister nur logische Konsequenz. Doch weder IT-Mitarbeiter noch Outsourcing-Vertriebler entscheiden über die Stellung der IT GmbHs in den Konzernen.

Die Entwicklung im deutschen IT-Markt seit Ende 2002 deutet an, dass deutsche Konzernlenker der IT für die Zukunft nur sehr bedingt strategische Bedeutung beimessen. Große Outsourcing-Deals etwa zwischen Deutscher Bank und IBM sowie das laufende Vorhaben von Gerling und Siemens Business Services (SBS) und die bereits abgeschlossenen Veräußerungen von IT GmbHs lassen sich als Beweise anführen. Beispiele auf Seiten der IT GmbHs sind der Verkauf der Thyssen-Krupp-Tochter Triaton an Hewlett-Packard (HP), die Verlagerung weitreichender IT-Funktionen von Itellium (Karstadt-Quelle) an Atos Origin oder der angestrebte Verkauf der RAG Informatik.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist dabei die Tatsache, dass die Verkäufe stets mit einem langfristigen Outsourcing-Vertrag einhergingen und es sich eben nicht nur um reine Verkäufe handelte. Für die verbleibenden großen Adressen, wie BASF IT Services, Lufthansa Systems, VW Gedas oder Bayer Business Services scheint die Zukunft ebenfalls ungewiss. So zumindest die Einschätzung von Katharina Grimme, Analystin des Markforschungshauses Ovum.

Man kann nun trefflich über die Sinnhaftigkeit eines Outsourcings beziehungsweise Verkaufs streiten. Eines hat sich in allen Fällen deutlich gezeigt: Die treibende Kraft war in der Regel nicht der CIO, sondern der CEO und CFO, also nicht die IT-, sondern die Firmen- und Finanzchef. Kaum hilfreich ist die Diskussion um die Bedeutung der CIO-Position im Konzernvorstand. Letztlich geht es nur darum, dass die IT nicht um ihrer selbst willen Teil des Konzerns ist. Ihr Verbleib im Unternehmen und ihr Erfolg werden nur an einem einzigen Kriterium gemessen: Kann sie den Konzern aktiv in dessen Bemühungen unterstützen, die Wettbewerbsfähigkeit im Kerngeschäft zu sichern und zu verbessern? Im Prinzip interessieren sich CEOs und CFOs nur dafür und entscheiden entsprechend.

"Strategisch kann nur sein, was mir erlaubt, mich langfristig erfolgreich im Wettbewerb zu differenzieren. Man muss klar sagen, dass für unser Geschäft die IT nur für sehr ausgewählte Bereiche diese strategische Funktion erfüllen kann. Mein Hauptziel ist daher eine kosten- und leistungseffiziente IT-Bereitstellung, für die sicherlich auch interne IT-Kapazitäten notwendig sind. In vielen Fällen stellen aber standardisierte Lösungen vom Markt die wirtschaftlichere Alternative dar", schildert Till Schwarzlose, Finanzvorstand der Wedeco AG und in dieser Funktion gleichzeitig für die IT verantwortlich.

Die Wettbewerbsfähigkeit im Kerngeschäft lässt sich sehr vereinfacht an zwei Merkmalen festmachen. Im einen Fall sind die Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens so hochwertig, dass der Kunde hierfür gerne einen angemessenen Aufpreis gegenüber denen der Konkurrenz bezahlt. Im Falle gleicher Qualität kann der Anbieter dagegen nur über den Verkaufspreis einen Wettbewerbsvorteil geltend machen. Einen günstigeren Preis kann nur derjenige bieten, der niedrigere interne Kosten als die Konkurrenz hat. Idealerweise sind Unternehmen gleichzeitig in beiden Aspekten besser als die Kontrahenten. Die gleichen Maßstäbe gelten für die interne IT beziehungsweise für die IT-Töchter. Aus diesen Überlegungen heraus lässt sich ein Analyseraster skizzieren, in das sich jedes einzelne Leistungsbündel der IT einordnen lassen muss. Strategisch ist die IT in diesem Sinne nur dann, wenn es ihr gelingt, gezielt den Konzern bei seinen Differenzierungsbemühungen zu unterstützen, und zwar auf einem hohen Niveau an Kosten- und Leistungseffizienz (siehe Grafik "Know-how-Raster").

In der täglichen Praxis zeigen sich jedoch Fälle, in denen der Anteil des internen IT-Leistungsportfolios, das dem Konzern gerade dieses Differenzierungspotential bereitstellen könnte, erschreckend gering ist. Die Gründe können vielfältig sein, sei es, dass in gewissen Geschäftsfeldern IT nur sehr bedingt wettbewerbsstrategisch eingesetzt werden kann, sie es, dass es der IT-Bereich versäumt hat, die eigene Kompetenz regelmäßig zu überprüfen und anzupassen. In beiden Fällen gilt es, den Leistungsumfang der internen IT zu überarbeiten und auf Know-how-kritische Bereiche auszurichten.

Technik ist unwichtig, Prozesse sind entscheidend

Selbst dann bleibt den IT-Einheiten die nicht zu unterschätzende Herausforderung, die zumeist technologisch begründeten Vorteile in klare wirtschaftliche Ziele umzusetzen, oder anders ausgedrückt: dem CEO und CFO die Vorteile in deren Sprache zu erläutern. Die aktuell geführte Diskussion um die Notwendigkeit des Wandels vom CIO zum CPO (Chief Process Officer) folgt nur der Erkenntnis, dass der zentrale Fixpunkt für die IT die wettbewerbskritischen Geschäftsprozesse des Mutterkonzerns sein sollten. Die IT muss sich von der Rolle des Erfüllungsgehilfen emanzipieren und sich stärker in Richtung Business Enabler entwickeln. "Für uns ist Informationstechnologie ein Instrument, über das wir nachhaltige Wettbewerbsvorteile generieren können.

Ein Outsourcing oder Verkauf dieses Know-hows wäre daher aus unternehmensstrategischer Sicht in den meisten Fällen kontraproduktiv. Dennoch - oder gerade deshalb - stehen bei uns CEO, CIO und CFO in regelmäßigem, intensivem Austausch, was Schwerpunktsetzung, Umfang und natürlich auch Kosteneffizienz dieser Aktivitäten angeht. Die konsequente Integration von Geschäfts- und IT-Prozessen ist in unserem Geschäft ein zentraler Erfolgsfaktor", erläutert Mathias Hlubek, Finanzvorstand der Deutschen Börse AG.

Die IT gezielt zur Prozessverbesserung nutzen

Der Anspruch der IT, eine strategisch relevante Position einzunehmen, kann nie pauschal begründet, sondern muss stets für jeden einzelnen Leistungsbereich untermauert werden. Gleichzeitig - und hier öffnet sich die zweite Dimension der Betrachtung - müssen sich auch strategisch relevante Aktivitäten hinsichtlich ihrer Kosten- und Leistungseffizienz messen lassen beziehungsweise diese schon im Voraus transparent darstellen.

"Die stetige Überprüfung der Kosten- und Leistungseffizenz muss bei einmal definierten Leistungsbündeln und Kompetenzfeldern der IT hohe Priorität haben. Es geht dabei weniger um das Ziel mit allen Mitteln Kosten zu senken, als vielmehr auch darum, permanent die Leistungsfähigkeit der Prozesse zu verbessern. Dies gilt vor allem in qualitativer Hinsicht", sagt Andreas Dietrich, CIO und Senior Vice President bei der Thomas Cook AG.

Hier kann für die interne IT nur gelten, auf möglichst hohe Kosten- und Leistungseffizienz hinzuarbeiten und diese über Ausschreibungen oder marktnahe Benchmarkings regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen. Sich nur auf Faktoren wie die Komplexität der internen Kundenanforderungen zu berufen, um den eigenen - aus CFO-Sicht fast immer zu hohen - IT-Kostenblock zu rechtfertigen, greift zu kurz.

Die Achilles-Ferse interner IT-Abteilungen liegt damit letztlich in der Kombination von fehlender Kostentransparenz und zu breit angelegtem Leistungsportfolio mit vielen Commodity-Diensten wie Desktop-Infrastruktur oder Netzbetrieb. Strategische Relevanz haben diese Services selten. Wird darüber hinaus das bereits erreichte Effizienzniveau dem CEO und CFO nicht transparent dargestellt, finden Outsourcer bei den Topmanagern ein offenes Ohr.

Dabei wäre es falsch, die Outsourcer als den natürlichen Feind der internen IT oder der IT GmbHs zu betrachten. Die Erfahrung zeigt, dass zumindest erfahrene Outsourcer gut einschätzen können, ob eine Zusammenarbeit sowohl aus Know-how- wie aus Kostensicht für beide Seiten sinnvoll ist. Mittlerweile ist auch den Dienstleistern klar geworden, dass überzogene Einsparversprechen nur für unzufriedene Kunden oder unwirtschaftliche Verträge sorgen.

Insofern müsste es für jeden CEO oder CFO eines Konzerns ein deutliches Signal sein, wenn sich Outsourcer aus der obersten Liga aus laufenden Verhandlungen zurückziehen. Hier lohnt es, kritischn zu fragen, ob die noch mitbietenden Dienstleister die Situation realistisch einschätzen und sinnvolle Angebote unterbreiten. Im Idealfall liegt der Grund für den Rückzug in einem derart hohen Effizienzniveau der internen IT, dass dem Outsourcer nur noch wenig eigene Verbesserungsmöglichkeiten und damit Ansätze zur Kostensenkung bleiben. Im ungünstigeren Fall schrecken die professionellen Dienstleister vor einem ganzen Bündel von Problemen zurück, die nicht über ein Outsourcing der Funktionen zu lösen sind.

Der "neuen Offenheit" bei einigen wenigen Outsourcern steht auf der Gegenseite zunehmend eine neue, junge CIO-Generation gegenüber. Mit starkem Fokus auf das Kerngeschäft des Konzerns suchen diese für ausgewählte Themen gezielt nach strategischen Partnerschaften mit Outsourcern. Damit hoffen sie, das Ziel zu erreichen, das für beide Seiten eigentlich im Vordergrund stehen sollte: eine konsequente und langfristige Arbeitsteilung zu etablieren, in der beide Partner einen Gewinn sehen. Das jüngst von BASF an BT Global Services vergebene Outsourcing im Netzbereich gilt als ein gutes Beispiel für diese Entwicklung.

Was bedeutet das alles für IT GmbHs und ihr Drittmarktgeschäft? Langfristig liegt der Erfolg der IT-Ausgründungen fast ausschließlich in einem fokussierten Leistungsportfolio, das gezielt das Kerngeschäft des Mutterkonzerns unterstützt und weiterentwickelt. Die jüngsten Umfragen bestätigen diesen Ansatz. Die meisten IT-Töchter haben das Ziel, den Drittmarkt nachhaltig zu erschließen, wieder in den Hintergrund gerückt. Erfolgreich können die IT-GmbHs hier ohnehin nur sein, wenn sie sich über Spezial-Know-how von den Wettbewerbern im IT-Markt abgrenzen. In der Regel schaffen sie das dann, wenn sie über intensives Branchen- und Geschäftsprozess-Know-how verfügen. Aus Konzern- und damit auch aus CEO-Sicht stellt sich die Frage, ob es strategisch Sinn gibt, dem Wettbewerb Zugang zu einer IT-Tochter mit einem Fachwissen zu verschaffen, dass für den Konzern selbst als geschäftskritisch gilt.

"Does IT matter?" - Je nachdem

Letzten Endes lässt sich die Frage, "Does Konzern-IT matter or not?", nicht grundsätzlich beantworten. Das Ergebnis hängt im Einzelfall davon ab,

- ob es auf Entscheiderebene CEOs und CFOs gibt, die das Spannungsfeld "Business und IT" differenziert einschätzen können,

- ob die IT das Unternehmen von der Konkurrenz abgrenzen sowie diese Leistung im Konzern transparent machen kann, und schließlich

- ob die Kosten- und Leistungseffizienz der internen IT beziehungsweise der IT GmbH ein wettbewerbsfähiges Niveau gegenüber externen Dienstleistern aufweist.

Daran fehlt es noch. Oft lässt sich allenfalls nachweisen, dass "IT doesn’t hurt". (jha)