IT-Gipfel: "Deutschland sollte sich nicht mit den Brosamen abgeben"

19.12.2006
Der Gründer und Aufsichtsratsvorsitzende der IDS Scheer AG, August-Wilhelm Scheer, äußerte sich im Gespräch mit CW-Redakteur Jan-Bernd Meyer zu den notwendigen Schritten, um den IT-Standort Deutschland voran zu bringen.

CW: Was für Erwartungen haben Sie an den IT-Gipfel?

Scheer: "Es ist ja das erste Mal, dass dieses Thema auf solch einer strategischen Ebene diskutiert wird. Es wird eine Analyse geben sowie konkrete Vorschläge, wie Deutschland die Aufholjagd auf dem IT-Sektor gewinnen kann. Denn wir machen mittlerweile so gut wie keine Hardware mehr und beim Thema Software spielt Deutschland auch nur noch im Bereich der betriebswirtschaftlichen Unternehmenssoftware eine Rolle. Auch bei Datenbanksystemen engagieren wir uns nicht- alles kommt aus den USA oder Asien. Dabei ist die IT eine Querschnittstechnologie, die auch andere Branchen treibt wie etwa die Automobilindustrie, die Medizintechnik und den Maschinenbau - und die dürfen wir nicht verlieren.

Insofern ist es richtig, dieses Thema auch strategisch zu positionieren, wie es Bundeskanzlerin Merkel auf der Cebit 2006 angekündigt hat. Auf der nächsten CeBIT werden erste Ergebnisse auch schon vorgestellt. Insofern ist sichergestellt, dass das alles keine Eintagsfliege ist. Ich bin also ganz optimistisch."

CW: Ist Deutschland wirklich so schlecht gestellt in punkto IT im weltweiten Vergleich?

Scheer: "Wir sind Konsumenten von IT, aber nicht mehr Produzenten und Entwickler. Wir forschen zwar viel, aber daraus entstehen keine Produkte und auch keine Arbeitsplätze.

Nehmen Sie das Beispiel MP3-Format: Das hat die Fraunhofer-Gesellschaft entwickelt. Sie hat auch ordentlich Lizenzgebühren für diese Entwicklung erhalten. Trotzdem: Die eigentliche Wertschöpfung haben wir verpasst, weil die Geräte woanders hergestellt werden, weil die darum gelagerten Services nicht aus Deutschland kommen - denken Sie an iTunes etc. Deutschland gibt sich mit den Brosamen zufrieden, das große Geschäft machen die anderen."

CW: Wie kann man dieser Situation auf die Schnelle begegnen?

Scheer: Es gibt ja momentan zwei Wege, wie Staaten in der Welt Innovationspolitik betreiben: Einmal planerisch, hierbei macht der Staat etwa 5-Jahres-Pläne und richtet seine Ressourcen daran aus. So gehen vor allem asiatische Länder wie Indien, China, Malaysia und in Europa beispielsweise Irland vor. Der andere Ansatz ist sozusagen ein kapitalistischer, aber im Positiven gemeint: Hier wird die Innovation durch Geld getrieben. Silicon Valley mit seinen Venture-Capitalist-Gesellschaften, die die Innovationen treiben und eine Firma nach der anderen hervorbringen.

Deutschland ist in diesem Szenario momentan für Venture Capitalists uninteressant. Deutsche Kapitalgeber gehen eher in die USA und bleiben eben nicht in Deutschland. Im Augenblick sind wir nicht attraktiv genug.

Der planerische Ansatz ist hierzulande etwas verpönt, Industriepolitik hört man hierzulande nicht so gern. Trotzdem glaube ich, dass wir eine Mischform etablieren sollten. Wir müssen durch eine staatliche Initiative wieder auf Augenhöhe kommen mit anderen Ländern und dokumentieren, dass hier was Interessantes passiert. Dann kann auch der marktwirtschaftliche Ansatz einsetzen. Wenn also hier Ideen generiert werden, die in Produkte münden, werden sich auch die Wagniskapitalisten wieder hierher orientieren. Am Ende steht dann im besten Fall ein sich selbst gestaltender Prozess, der keine staatliche Unterstützung mehr benötigt.

Um das anzuschieben, braucht es eine Durchgangsphase, in der auch etwas passiert. In der Hightech-Strategie der Bundesregierung gibt es da auch schon erste Ansätze, die zudem Ressort übergreifend Ziele gesetzt hat. Da wurde auch eine Stärken-Schwächen-Analyse des Standorts Deutschland angestellt. Das ist ein guter Ansatz. den man darüber hinaus mit der IT-Initiative verbinden kann.

CW: Wenn man sich große IT-Projekte in Deutschland ansieht, in die die Politik involviert war und ist - also etwa das aktuelle Thema "Tetra"-Polizeifunksystem oder das "Herkules"-Projekt, früher auch das Maut-System - vor diesem Hintergrund: Was kann man eigentlich von Politikern und Regierungsstellen erwarten, wenn sie nun solch eine IT-Initiative starten? Sind das überhaupt die richtigen Leute, um den IT-Standort Deutschland voranzubringen?

Scheer: Das Herkules-Projekt war ja meines Erachtens schon deshalb problematisch, weil man es ursprünglich an ein ausländisches Unternehmen vergeben hat, ohne die Chance zur Förderung inländischer IT-Unternehmen zu nutzen. Und wenn man schon Innovationen in Deutschland fordert, dann muss man eben auch eine innovative Beschaffungspolitik betreiben. Dann kann man nicht nur immer danach gehen, ob die Ausschreibungsrichtlinien nach Punkt und Komma erfüllt sind. Vielmehr muss man, wenn man schon solche vom Staat vergebenen Leuchtturmprojekte in Deutschland hat, eben auch dafür sorgen, dass deutsche Unternehmen involviert sind, die auch Innovationen und Kenntnisse aufbauen.

Aber nicht, dass ich missverstanden werde: Ich habe nichts gegen ausländische Unternehmen. Wir haben nur ein Ungleichgewicht. Wir sind für ausländische Unternehmen eher ein Absatzland. Wir müssen auch als Entwicklungspartner für die internationalen IT-Unternehmen auf gleiche Augenhöhe kommen.

Das Mautsystem ist kein negatives System - gut, es hat sich verzögert, aber es läuft jetzt und es lässt sich vielleicht sogar ins Ausland verkaufen. Das sehe ich eher als Erfolgsgeschichte.

CW: Die Regierung tut ja zumindest bezüglich der finanziellen Alimentierung für den Hightech-Standort Deutschland schon einiges, wenn man etwa an die 6-Milliarden-Euro-Investition denkt.

Scheer: "Richtig. Aber das Geld ist nicht das eigentliche Thema. Wir haben schon immer viel Geld in die Forschung gesteckt. Es ist das Problem der richtigen Positionierung: Hinter solchen Investitionen muss ein Ziel stecken. Man muss sich fragen, was man mit solchen Ausgaben erreichen will. Wir denken da zu Input-orientiert und geben uns zufrieden mit der Aussage: "Wir haben doch viel Geld investiert." Dabei müsste man sich vor allem auch fragen, was will ich denn mit dem Geld erreichen? Wie kann ich auf dem Weg zu einem erwünschten Ziel steuernd eingreifen, wie kontrolliere ich auch den Erfolg von Initiativen? Meine Erfahrung ist, dass in Deutschland zu selten gefragt wird: "Was will ich eigentlich erreichen?"

CW: Ist denn sichergestellt, dass die Ergebnisse der acht Arbeitsgruppen auch in einigen Monaten kritisch auf ihre Erfüllung befragt werden? Und wer tut das?

Scheer: In den Arbeitskreisen sind große Persönlichkeiten aus den unterschiedlichen Branchen. Das allein ist schon einmal ein gutes Zeichen. Da sind auch Personen drin, die eine eigene Meinung haben und sich nicht gängeln lassen.

CW: Welches sind Ihrer Meinung nach die fünf Prioritäten für den IT-Standort Deutschland?

Scheer: Ich würde mit dem guten Beispiel E-Government-Initiative vorangehen. Damit kann man die Bedeutung von IT großen Bevölkerungsschichten bewusst machen. Mit E-Government-Projekten kann man zudem innovative Beschaffungsmöglichkeiten generieren und deutsche Unternehmen involvieren.

Zudem Fokussierung in der Forschungspolitik auf solche Themen, bei denen wir eine Chance haben, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Also nicht alles machen, sondern sich etwa bei einem Thema wie Embedded Systems engagieren. Hier lässt sich nämlich die gesamte Wertschöpfungskette nutzen. Fokussierte Themen wären zudem die Anwendungssoftwareentwicklung oder etwa die Spieleindustrie, die heute schon größer ist als die Filmindustrie. Auch bei letzterer Thematik läuft Deutschland Gefahr, schon wieder den Anschluss zu verlieren.

Zudem müsste man mittelständische deutsche IT-Unternehmen dazu bringen, dass sie Weltgeltung erhalten. Wir haben zwar eine Menge IT-Unternehmen. Aber die schaffen es gerade, dass sie gekauft werden wie beispielsweise Ixos oder Infor oder andere. Wir schaffen es nicht, solche Unternehmen groß zu machen. In dem Zusammenhang fällt auf, dass kein einziger Mittelständler einen der Arbeitskreise des IT-Gipfels leitet. Mir wäre es lieber gewesen, wenn ein erfolgreicher Startup-Unternehmer einen der Arbeitskreise geleitet hätte.

Zu fragen wäre zudem, wie man die angestammten, "alten" und erfolgreichen Industrien mit den IT-Industrien verzahnen kann, also beispielsweise die Automobilindustrie etc. mit der IT-Industrie.

Ausbildungsinitiative: Deutschland erlebt einen riesigen Verlust, riesige Ressourcen liegen unter anderem deshalb brach, weil wenig Mädchen IT-Berufe angehen wollen. Die Anfängerzahlen bei IT-Berufen gehen zurück. Immer weniger Studenten beginnen ein solches Studium. Hier müssen wir eine Lösung finden, um Technikberufe und insbesondere IT-Berufe im Bewusstsein der jungen Menschen und Studierenden attraktiver zu machen.