Wenn F&E zum Kostenfaktor wird

IT-Firmen treten auf die Innovationsbremse

08.03.2002
MÜNCHEN (rs) - Innovative Produkte können die Nachfrage ankurbeln. Doch statt sich gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten verstärkt in Richtung Forschung und Entwicklung (F&E) zu engagieren, bewegt sich in den entsprechenden Budgets kaum etwas. Manch einer setzt sogar den Rotstift an.

Die Rechnung ist zunächst ganz einfach. Da die Ausgaben für F&E in Form eines bestimmten Prozentsatzes vom Umsatz budgetiert werden, führen sinkende Einnahmen in den meisten Unternehmen zwangsläufig zu reduzierten Aufwendungen in diesem Bereich. Die Wirtschaftsflaute ging also auch an der Erforschung neuer sowie der Weiterentwicklung bestehender Produkte nicht so spurlos vorüber, wie es manch ein Chefentwickler vorgaukeln möchte.

Hewlett-Packard (HP) beispielsweise meldet für das erste Quartal im Geschäftsjahr 2001/02 einen F&E-Aufwand von 5,9 Prozent des Umsatzes. Im Vergleichsquartal des Vorjahres hatte die Quote bei zirka 5,6 Prozent gelegen. Angesichts des Umsatzrückgangs bedeutet die prozentuale Steigerung einen realen Rückgang der F&E-Ausgaben. De facto flossen im ersten Viertel des laufenden Jahres knapp 670 Millionen Dollar und damit gut 25 Millionen Dollar weniger in die F&E-Division des Herstellers. Ähnliches lässt sich bei Intel beobachten: Der Chipkonzern sparte in diesem Bereich im Geschäftsjahr 2001 rund 100 Millionen Dollar gegenüber dem Vorjahr ein.

Antwort auf die Krise"Jetzt erst recht", tönt es hingegen aus dem Traditionshaus Siemens. Als erstes deutsches Unternehmen startete der Münchner Elektronikkonzern im Jahr 1869 mit einem industriellen Forschungslabor. Mittlerweile gibt Siemens im Geschäftsjahr knapp acht Prozent seines Umsatzes für F&E aus. Dieses Geld fließt fast vollständig (96 Prozent) in die Produkt-, System- und Fertigungsentwicklung. Nur vier Prozent gehen in Forschung, Grundlagen- sowie produktionstechnische Entwicklung. Auch heute hält der Konzern die Innovationsfahne hoch. Siemens-Chef Heinrich von Pierer sieht in der Investition in Forschung und Entwicklung die Antwort auf die derzeitige Krise. "Wir setzen mit einem Spitzenwert von sechs Milliarden Euro auf Forschung und Entwicklung", sagte er erst vor kurzem der Wochenzeitung "Die Zeit".

Um angesichts der schwachen Konjunktur dennoch nicht von den Kosten überrollt zu werden, wird genauer auf die Effizienz der F&E-Abteilung geschaut. SAP hat damit bereits im Geschäftsjahr 2000 begonnen und konnte laut Firmensprecher Markus Berner dank einem effizienteren Kosten-Management erste Erfolge verbuchen. Die Neuordnung des Bereiches nach Produkten, die bereits am Markt sind, und solchen, die erst noch entwickelt werden, führte dazu, dass der Bereich ohne eine Erhöhung der Ausgaben aufgestockt werden konnte. "Die Zahl der neuen Mitarbeiter ist in diesem Bereich stärker gestiegen als der Gruppendurchschnitt", berichtet er. Im Durchschnitt fließen 15 Prozent des Umsatzes der Walldorfer in F&E. Dabei konzentriert sich das Unternehmen vor allem auf die Produktentwicklung und kaum auf Grundlagenforschung.

Rückläufiges Wachstum in den USA"F&E ist die heilige Kuh der Wirtschaft", meint Hans Mosesman, Analyst bei Prudential Securities. "Firmen, die hier geizen, werden die Leidtragenden sein." Doch was tun, wenn die Kuh ein zu großes Loch in den Haushalt frisst? Für die Wirtschaft in den USA liegen Zahlen darüber vor, dass die Bereitschaft, in Forschung und Entwicklung zu investieren, deutlich gesunken ist: Laut einer Umfrage im Auftrag des "R&D Magazine" werden die F&E-Ausgaben von US-Unternehmen im laufenden Jahr wesentlich schwächer wachsen als in den vorhergehenden Jahren. Demnach ist mit einem Anstieg um 3,6 Prozent auf rund 195 Milliarden Dollar zu rechnen, was die niedrigste Wachstumsrate seit rund zehn Jahren sei. Dass trotz der Rezession die Ausgaben über-haupt weiter zunehmen, hat mehrere Gründe. Zum einen bedeutet das F&E-Engagement eine gewisse Unabhängigkeit. "Wir wollen nicht darauf angewiesen sein, von anderen Firmen Innovationen zu kaufen", erklärt Roger Needham, Leiter des Forschungsinstituts von Microsoft in Cambridge.

Labs als AushängeschildFür amerikanische Firmen, aber auch in Japan gelten Labore und Entwicklungseinrichtungen als Aushängeschild für die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens. Einige von ihnen haben es zu einem beachtlichen Renommee gebracht. Das Palo Alto Research Center (Parc) von Xerox zählt dazu, das für sich in Anspruch nimmt, Erfindungen wie die erste kommerziell nutzbare Maus, die grafische Benutzeroberfläche, den ersten Personal Computer oder die Netztechnik Ethernet hervorgebracht zu haben. Oder die von IBM zu Beginn der 50er Jahre gegründeten Labs, die Nobelpreisträger zu ihren Mitarbeitern zählen und mit ihren zahreichen Erfindungen Big Blue bereits seit neun Jahren zum Spitzenreiter in puncto Patentanmeldungen machten.

Nicht in Forschung und Entwicklung zu investieren kann für ein Unternehmen der IT-Branche das Aus bedeuten. "Das geht vielleicht ein Quartal gut", schätzt Mirko Maier, Analyst bei der Landesbank Baden-Würtemberg (LBBW), "aber nicht länger." Dabei muss jedoch unterschieden werden, in welchem Geschäftszweig das Unternehmen aktiv ist. Für die Hersteller von Basiskomponenten wie die Chipindustrie ist der Verzicht auf F&E nahzu unmöglich, zu schnell wäre der Anschluss an den Markt verloren.

Infineon beispielsweise investierte 2001 rund 21 Prozent seines Umsatzes in F&E, das sind 1,19 Milliarden Euro. "Halbleiter ist einer der forschungsintensivsten Bereiche überhaupt", sagt Reinhardt Ploss, Leiter des Geschäftsbereiches Automobil und Industrieelektronik des Münchner Halbleiterkonzerns. Man habe gar nicht die Möglichkeit, an F&E zu sparen, der Markt erwarte schließlich alle drei Jahre eine völlig neue Produktgeneration. Dabei setzt das Unternehmen auf Entwicklungskooperationen auch mit den Wettbewerbern, laut Ploss lässt sich damit das Risiko teilen und die Produktentwicklung beschleunigen. In der Fertigungs- und Prozesstechnologie etwa arbeitet Infineon mit IBM, Toshiba, Intel, Samsung, Micron und NEC zusammen.

Forschung bedeutet RisikoGanz anders sieht das Engagement beim Computerhersteller Dell aus. Maximal drei Prozent des Umsatzes gibt das Unternehmen für F&E aus. Technisch gilt der Anbieter, anders als sein Vertriebsmodell, nicht als innovativ. Doch Firmenchef Michael Dell sieht dafür auch keine Notwendigkeit: "Wenn sich 20 Firmen darum reißen, den schnellsten Grafikchip der Welt herzustellen, warum sollte man als 21. Pferd ins Rennen gehen?", fragt der Firmengründer. Joel Kocher, ehemals weltweiter Vertriebs-Manager bei Dell, sieht in solcher Sparsamkeit allerdings die Gefahr, dass der Computermarkt veröden könnte. Statt "Innovation ist Trumpf" laute der Branchengrundsatz jetzt "nur die Effizienz zählt", kritisiert er. Auch von der Konkurrenz wird Dell wegen seiner Haltung mit Spott bedacht. "F&E ist lebensnotwendig. Ohne Forschung und Entwicklung ist man bloß der Händler für die Technologie anderer. Wenn man ein Michael Dell ist, kann man es sich damit gut gehen lassen, aber das ist nicht das, was wir wollen", lästert Scott McNealy, CEO von Sun.

Aus Sicht von Analysten macht Dells Strategie jedoch durchaus Sinn. Das Hardwaregeschäft arbeitet mit geringen Margen und der Kapitalmarkt will hohe Margen sehen. "Firmen wie Dell müssen alles, was kostenintensiv ist, vermeiden", sagt LBBW-Analyst Maier. Hinzu kommt, dass vorher schwer abzusehen ist, ob F&E-Ausgaben sich irgendwann lohnen. Apple zum Beispiel punktete mit dem Imac, der noch origineller als Lifestyle-Produkt entworfene Cube dagegen erwies sich als Flop.

Auf die lange Bank geschobenDennoch schützt die Reputation viele Forschungsabteilungen vor den Rotstiften der Manager. Hinzu kommt, Einsparungen in diesem Bereich sind längst nicht so leicht, wie es manchem Finanzchef oder Controller wohl lieb wäre. Samuel Kortum, Wirtschaftprofessor an der Universität Boston, weist darauf hin, dass Kürzungen und Neustarts von Forschungsprojekten "verglichen mit anderen Investitionsformen mit einem hohem Aufwand verbunden sind".

Statt Projekte ganz aufzugeben, reduzieren die Firmen lieber ihr Engagement und verteilen so die Ausgaben auf einen längeren Zeitraum. Zu spüren bekommen dies auch externe Forschungseinrichtungen, die im Auftrag der Unternehmen arbeiten. Das Fraunhofer-Institut in München beispielsweise sieht eindeutige Anzeichen dafür, dass die Industrie in wirtschaftlich schwachen Zeiten Forschung mehr als Luxus denn als Notwendigkeit betrachtet. Die Aussage, "wenn es der Wirtschaft schlecht geht, braucht sie umso mehr Forschung" erweist sich als graue Theorie. Das Plus, das die Institute im vergangenen Jahr verzeichneten, geht nach Aussage von Institutssprecher Franz Miller keinesfalls auf ein gestiegenes Interesse an Forschung zurück, sondern darauf, dass mehr Kunden gewonnen werden konnten. Bei den einzelnen Unternehmen, so der Sprecher, sei klar zu erkennen, dass sie ihre eigenen Forschungsvorhaben auf die lange Bank geschoben haben.

Eine weitere Strategie, in Krisenzeiten die Kosten in den Griff zu bekommen, ist die Konzentration auf Projekte, die schnell zum Erfolg führen. Von langwieriger Grundlagenforschung mit teilweise unklarem Ziel wird Abstand gehalten. "Trotz einiger toller Ansätze", bedauert Miller. Die Manager, so die Erfahrung des Instituts, sehen in schlechten Zeiten vor allem ihre aktuelle Situation, "da interessiert niemanden, was in zehn Jahren ansteht".

Xerox gliedert Parc ausEinen etwas anderen Weg schlägt der unter Druck stehende Kopier- und Digital-Imaging-Spezialist Xerox ein. Hier versucht man es zunächst einmal mit einem Kompromiss. Anstelle von Einsparungen kündigte Xerox Ende vergangenen Jahres an, das renommierte Forschungslabor Parc als eigenständige Tochtergesellschaft auszugliedern. Dem Unternehmen, das mehr als 14000 Patente hält und sich einen jährlichen F&E-Etat von rund einer Milliarde Dollar leistet, war es nicht gelungen, die Ergebnisse der Forscher in bare Münze umzuwandeln. Im Gegenteil: Wichtiges Know-how wanderte ab. Ehemalige Parc-Mitarbeiter nutzten ihr Wissen und gründeten eigene Unternehmen - beispielsweise 3Com oder Adobe.

Abb: Tendenz uneinheitlich

Quelle: CW