IT-Dienstleister kämpfen um Nachwuchskräfte

03.03.2011
Das Thema Fachkräftemangel erhitzte auch auf der CeBIT die Gemüter. Arbeitgeber müssen für Bewerber attraktiver werden, lautete eine Forderung.

Zuerst die gute Nachricht: Die Geschäfte für die IT-Dienstleister laufen wieder bestens, die Nachfrage kommt aus allen Branchen, große IT-Konsolidierungsprojekte, die wegen der Wirtschaftskrise auf Eis lagen, werden wieder angeschoben. Diese neuen Aufträge setzen die Serviceunternehmen unter Zugzwang. Sie müssen möglichst schnell viele neue IT-Experten einstellen, der beträchtliche Bedarf lässt sich aber nicht sofort oder nur unter Mühen decken. So weit die schlechte Nachricht. Kann man deshalb von einem dramatischen Fachkräftemangel in der IT sprechen? Auf diese Frage fanden die Diskussionsteilnehmer im Karrierezentrum der computerwoche auf der CeBIT keine einvernehmliche Antwort.

Für Computacenter-Chef Oliver Tuszik, der 350 offene Stellen besetzen will, ist es deutlich schwerer geworden, erfahrene Projekt-Manager oder IT-Berater als neue Mitarbeiter zu gewinnen. Einige Positionen sind schon ein Jahr lang unbesetzt. "Den Fachkräftemangel hat es immer gegeben, und er ist auch nicht kurzfristig zu beheben. Aber heute müssen wir uns wieder bei den Bewerbern bewerben", umschreibt er die veränderte Situation auf dem Arbeitsmarkt. Hans-Joachim Weis vom Vorstand der IG Metall bezweifelte, dass ein akuter Mangel an Fachkräften besteht. Dagegen spreche nicht nur die immer noch hohe Zahl von 31.000 IT-Arbeitslosen. Auch zeige die aktuelle Entgeltanalyse der Gewerkschaft, für die knapp 27.000 Daten aus 118 Unternehmen ausgewertet wurden, dass die Gehälter der IT-Experten trotz des Aufschwungs nur moderat um etwa 1,5 Prozent gewachsen sind. Dazu Weis: "Wäre der beschworene Fachkräftemangel schon eingetreten, hätten die Gehälter viel deutlicher steigen müssen." Ein wirklicher Mangel besteht nach Ansicht von Accenture-Manager Frank Mang schon in der Schweiz. Hier müssten Fachkräfte im großen Stil aus dem Ausland geholt werden, da es in dem kleinen Land nicht genügend Einwohner und damit Arbeitskräfte gebe. In Deutschland, Österreich und der Schweiz rekrutierte die IT-Beratung allein in den vergangenen sechs Monaten 1000 neue Mitarbeiter, zum Großteil Hochschulabsolventen. Im selben Zeitraum wuchs die Accenture-Belegschaft am Offshore-Standort in Indien um 20.000 Mitarbeiter an. "Man muss on- und offshore wachsen. Die Tätigkeiten, die hier verbleiben, erfordern aber eine hochwertige Ausbildung", sagte Mang. Das zeige sich etwa am Fachinformatiker: Musste der vor Jahren noch vor allem programmieren, sei er heute zunehmend gefordert, die Softwareapplikationen zu konfigurieren und den Kunden zu beraten. Lediglich die komplexen Teile einer Software würden vor Ort entwickelt.

Gefährdet die Cloud IT-Jobs?

Die gestiegenen Anforderungen an Bewerber erschweren allerdings die Suche nach ihnen. Dessen ist sich auch Brigitte Stuckart, Vorstand des mittelständischen IT-Dienstleisters Softcon, bewusst: "Java und anderes technisches Wissen sind nur das Handwerkszeug, das reicht aber nicht. Die IT-Experten müssen die Probleme des Kunden analysieren und sie niederschreiben können, sie müssen in Teams - auch in virtuellen und internationalen - arbeiten können." Auch Computacenter-Chef Tuszik räumte einfachen IT-Tätigkeiten keine lange Überlebensdauer mehr ein, wenn sich Cloud Computing durchsetzt: "Die Rechenzentren müssen dann nicht mehr in Deutschland stehen. Niedrig qualifizierte Jobs gehen wahrscheinlich verloren. Wir müssen dafür sorgen, dass durch die Cloud hierzulande viele hoch qualifizierte Jobs entstehen."

Knackpunkt Projektarbeit

Um für die anspruchsvollen IT-Berufe genug gut qualifizierte Bewerber zu finden, muss die Branche aber noch einige Hausaufgaben machen. Für IG-Metall-Mann Weis ist das mehr als eine Frage von Imagepolitur: "Die jungen Leute wollen feste Arbeitsverhältnisse und einen Job, der mit ihrem Privatleben vereinbar ist. Die Projektarbeit muss so gestaltet werden, dass man sie auch bis 65 schaffen kann." Die Projektziele müssten ohne zu großen Zeit- und Kostendruck erreichbar sein. Dann wären auch die Jobs in der IT attraktiver. Accenture-Manager Mang bezweifelte indes, ob sich das Projektgeschäft ändern lässt. Denn dieses sei nicht nur in der IT, sondern auch in anderen Branchen stressig. "Wir versuchen allerdings, das Umfeld der Projekte mitarbeiterfreundlicher zu gestalten und die Berater lokaler einzusetzen." Einige Tage in der Woche zu Hause zu übernachten sei beispielsweise besser, als die ganze Woche im Hotel zu schlafen. Die vielen Dienstreisen, die der Beraterberuf mit sich bringt, seien der Hauptgrund für unerwünschte Fluktuation. Die geforderte Mobilität macht es in Mangs Augen auch so schwierig, erfahrene IT-Experten für das Beraterleben zu gewinnen: "Es ist einfacher, die Beratung Berufseinsteigern zu verkaufen, für die ist sie ein Karriere-sprungbrett", räumte Mang ein. Ob man den Beraterberuf bis zum Alter von 65 Jahren ausüben könne, lasse sich nicht generell sagen: "Das hat nicht nur mit dem Alter, sondern auch mit dem Familienstand zu tun."

Zu wenig Frauen gehen in die IT

Die schwierige Vereinbarkeit von IT-Beruf und Privatleben schreckt vor allem viele Frauen ab. Obwohl es in der IT überdurchschnittlich gute Verdienstchancen gibt, fruchtet das Werben der IT-Arbeitgeber um die Frauen als neue wichtige Zielgruppe bisher kaum. Die Zahl der Studienanfängerinnen in Fächern wie Informatik stagniert seit Anfang der 70er Jahre bei unter 20 Prozent. Die Zahl der weiblichen IT-Auszubildenden ging im Jahr 2010 sogar erneut um fast vier Prozent zurück, nur acht Prozent der IT-Ausbildungsverträge wurden mit Frauen geschlossen. Dabei sind die Gehaltsunterschie- de zwischen Mann und Frau in der IT (zehn Prozent) viel geringer als in anderen Branchen (23 Prozent). Brigitte Stuckart, die in ihrem Unternehmen einen ungewöhnlich hohen Frauenanteil vorzuweisen hat, kann das geringe Interesse nicht nachvollziehen: "Die Mädchen müssen bei der Berufswahl die Augen aufsperren und sich fragen, wo sie später genug verdienen, um sich eine vernünftige Kinderbetreuung leisten zu können." Und hier biete ein IT-Beruf mit gutem Gehalt, flexiblen Arbeitszeiten und -orten doch viel mehr Optionen als typische Frauenberufe wie Krankenschwester, die schlecht bezahlt sind und starre Arbeitszeiten haben. Das müsse die IT-Branche den Frauen vermitteln.

Frauenquote bringt nichts

Stuckart hält allerdings von einer Quote ebenso wenig wie von einer Sonderrolle für Frauen in der IT. "Wenn ich nur den Frauen ganz flexible Arbeitszeiten verspreche, finde ich keinen Projektleiter, der sie einstellen will. Nur wenn Unternehmen allen Mitarbeitern die gleichen Bedingungen, etwa flexible Arbeitszeiten, anbieten, ist gewährleistet, dass Frauen nicht mehr benachteiligt werden." Auch Oliver Tuszik von Computacenter hält eine Frauenquote für falsch. Wichtig sei, dass der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen schwinde - bei Computacenter beträgt er auf vergleichbaren Positionen drei Prozent. Zudem setzt Tuszik auf das verstärkte Werben an Schulen: "Wir müssen die Mädchen für die IT begeistern." Er ist überzeugt, dass Frauen von Unternehmen angezogen werden, in denen schon viele Frauen arbeiten beziehungsweise in Führungspositio-nen sitzen. Brigitte Stuckart ist für diese These das beste Beispiel: 30 Prozent der Führungskräfte und 50 Prozent der Belegschaft von Softcon sind weiblich. "Wir sind schon da, wo die Telekom hinwill."

IT-Ausbildung stagniert

Gibt es einen Fachkräftemangel in der IT? Wer sich die Zahl der neuen Ausbildungsverträge in den sechs IT-Berufen anschaut, muss diese Frage verneinen. Laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) wurden 2010 nur noch 14.613 Ausbildungsverträge geschlossen, was gegenüber dem Vorjahr erneut einen Rückgang um 1,4 Prozent bedeutet. "Der Ausbildungsmarkt hat sich noch nicht erholt. Auch nach der Krise prägen unsichere Arbeitsverhältnisse wie Praktika, Leiharbeit und befristete Jobs die Arbeitssituation von jungen Arbeitnehmern", so die IG Metall in einer Analyse. Demgegenüber beklagen Arbeitgeber, dass sie nicht genügend qualifizierte Bewerber für die angeboteten Ausbildungsplätze fänden. Da die Unternehmen zu keinen großen Kompromissen bei der Qualifikation bereit sind, bleiben manche Ausbildungsplätze unbesetzt.