IT-Dienste aus der Fabrik

24.10.2005
Wettbewerbsdruck auf Anbieter- und Budgetzwänge auf Anwenderseite fördern die Industrialisierung.
Mit der Paketbildung und Produktentwiclung können Anbieter Dienstleistungen schneller und günstiger erbringen.
Mit der Paketbildung und Produktentwiclung können Anbieter Dienstleistungen schneller und günstiger erbringen.
Servicepakete machen Leistungen günstiger und trasnparenter. Individuallösungen gibt es damit nicht mehr, doch das ist oft vertretbar.
Servicepakete machen Leistungen günstiger und trasnparenter. Individuallösungen gibt es damit nicht mehr, doch das ist oft vertretbar.

Die Massenproduktion hält Einzug in den IT-Dienstleistungsmarkt. Anbieter wie Datev, Hemmersbach und Twenty4help machen zum Teil seit Jahren vor, wie sich Services standardisieren sowie günstig be- und vertreiben lassen. Die Datev tut dies mit Gehaltsabrechnungen. Hemmersbach liefert IT-Vor-Ort-Services für Hardwarehersteller wie Hewlett-Packard und Medion. Twenty4help ist ein Call-Center-Betreiber. Allen gemeinsam ist, dass sie Servicepakete mit klarem Leistungsumfang und eindeutigen Preisen offerieren. Individuelle Anforderungen lassen sich abbilden, indem Kunden einzelne Module miteinander kombinieren. "Die Paketbildung ist bei Massendiensten wie Betriebs-, Verarbeitungs-, Wartungs- und Support-Services besonders ausgeprägt. Sie ist aber in allen Segmenten möglich", fasst Wilhelm Taurel, Unternehmensberater aus Düsseldorf, zusammen. Basis dieser Einschätzung ist eine Expertenbefragung, die der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik von Helmut Krcmar an der Technischen Universität München zusammen mit Taurel betrieb.

Hier lesen Sie …

• welche Serviceprodukte es gibt;

• warum sich die Dienstleister der Industrialisierung nicht entziehen können;

• was sich Anwender von der Produktbildung versprechen;

• wie sich der Trend auf den Servicemarkt auswirkt.

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www.computerwoche.de/go/

*72229: IT-Services werden zum Massenprodukt;

*71361: IT steht erst am Anfang der Pubertät;

*48444: Dienstleistung als Produkt.

Prozessprodukte sind gefragt

Die Produktorientierung von Serviceleistung wird sich demnach in nahezu allen IT-Bereichen zu Lasten des derzeit gängigen Projektgeschäfts etablieren. "Für Commodity-Leistungen sind individuelle Lösungen nicht erforderlich. Und selbst wenn Anwendungen für strategische Aufgaben entwickelt werden, hilft die Produktorientierung, Applikationen anders zu gestalten und zu schneiden, so dass deren Betrieb einfacher wird", schildert Walter Brenner, Direktor des Instituts für Informations-Management an der Universität St. Gallen.

Das Institut beobachtet und analysiert die Entwicklung seit etwa drei Jahren und erwartet, dass sich der Produktgedanke schon bald in klassischen Unterstützungsfunktionen, also etwa in den Personalabteilungen sowie dem Finanz- und Rechnungswesen durchsetzen wird. Gefragt sind jedoch keine IT-Lösungen, sondern gebündelte Dienste, die Prozesse abbilden und in denen IT nur einen Bestandteil bildet. "Die großen IT-Dienstleister werden in allernächster Zeit von ihren internen oder externen Kunden danach beurteilt werden, in welchem Ausmaß sie Produkte definiert haben, die Fachbereichen weiterhelfen", vermutet Brenner.

Nicht nur für Commodity-Dienste

Das klingt nach Business Process Outsourcing (BPO), hat aber mit den Verfahren, nach denen heute Geschäftsprozesse ausgelagert werden, wenig zu tun. "Sämtliche IT-Vorhaben, selbst im Outsourcing, sind heute noch Projekte und damit einmalig", kritisiert Peter Dück, Vice President Consulting bei Gartner. Serviceprodukte können Anwender dagegen idealerweise aus einem Verkaufsprospekt wählen. "Vor allem bei Commodity-Diensten, die von vielen Anbietern in ähnlicher Weise erbracht werden, wünschen sich Anwender, die erforderlichen Leistungen aus einem Katalog einkaufen zu können - mit nutzungsabhängiger Abrechnung."

Dieser Trend wird nicht vor der Anwendungsentwicklung Halt machen, die heute noch als Hochburg der Individualität gilt. Selbst dort, wo für das Kerngeschäft wichtige Applikationen erstellt werden, sind nach Auffassung der Experten weit mehr Aufgaben standardisierbar, als viele IT-Leiter glauben. "Fortschrittliche CIOs haben erkannt, dass sie mit ihrer internen Anwendungsentwicklung keine kritische Masse erreichen können, um mit den global aufgestellten Anbietern in Qualität und Preis konkurrieren zu können", schildert Brenner. "Wir erwarten, dass die Anwendungsentwicklung dort auf eine Rumpfgröße reduziert wird." Ersatz liefern externe Softwareteams, die vorgefertigte Lösungskomponenten entwerfen und den Fachbereichen anbieten. "Kunden wünschen teilweise wiederholbare und erprobte Leistungen", betont Taurel.

Während Anwender aufgrund von Budgetzwängen beim Einkauf von IT-Diensten häufiger auf Standardprodukte zurückgreifen, müssen IT-Dienstleister um die knapperen Mittel der Kunden kämpfen. "Der Preisdruck und die Offshore-Konkurrenz zwingen die Systemintegratoren und Consulting-Häuser zur Industrialisierung ihrer Leistungen", schildert Taurel. Auch die Dienstleister stehen vor der Herausforderung, ihre Fertigungstiefe zu reduzieren und Teile der Lieferprozesse etwa in Niedriglohnländer auszulagern, um wettbewerbsgerechte Preise zu erzielen. In dieser Lieferkette zirkulieren Halbprodukte, der Weg zum Serviceprodukt ist hier nicht mehr weit.

Große Probleme bereitet die Industrialisierung, weil weder Geschäftsmodell noch Organisation der meisten Anbieter darauf vorbereitet sind. "Die Dienstleister können künftig nicht ausschließlich Kompetenzen im Projektstil verkaufen. Sie müssen sich stark am Bedarf des Kunden orientieren, um zielstrebig Entwicklungen voranzutreiben", verlangt Dück. Derzeit versuchen die Anbieter allenfalls, Ergebnisse aus abgeschlossenen Kundenprojekten wiederholbar zu gestalten. Das ist ein für die Dienstleister komfortabler Weg, denn die Pilotarbeiten lassen sie sich von den ersten Kunden finanzieren. "Aktive Produktentwicklung erfordert risikobehaftete Vorinvestitionen. Die Dienstleister müssten Produkte entwerfen, ohne mit letzter Sicherheit zu wissen, ob sie im Vertrieb damit erfolgreich sein werden", schildert Dück.

So arbeiten alle klassischen Produkthersteller etwa in der Automobilbranche oder in der Konsumgüterindustrie. Die Gefahr von Fehlinvestitionen versuchen sie durch Marktforschung und Kundenbefragungen zu reduzieren, dergleichen gibt es bei den IT-Dienstleistern nicht, zumindest nicht, wenn eine Produkt- und Paketbildung angestrebt wird. Laut Expertenbefragung der TU München entscheiden über die Paketbildung in den IT-Serviceunternehmen vornehmlich die Delivery- und Marketing-Abteilungen. Anregungen von Kunden und vom Vertrieb, die die Ansprüche der potenziellen Käufer kennen sollten, fließen seltener ein.

Forschung gibt es selten

Kaum ein Serviceanbieter weist zudem einen Etat für Forschung und Entwicklung aus, Abrechnungs- und Kostenrechnungsmodelle fehlen weitgehend. Lifecycle-Management, das Services von der Planung, Umsetzung, Markteinführung sowie Marketing und Vertrieb bis hin zur Einstellung begleitet, gibt es in den wenigsten Unternehmen. Immerhin scheinen die Anbieter die Bedeutung eines Produkt-Managaments, das laut Thilo Böhmann vom Wirtschaftinformatik-Lehrstuhl in München in den Unternehmen eine Wächterfunktion über die Serviceprodukte übernehmen könnte, zu akzeptieren. "Wer Standardisierung ernst nimmt, kommt am Produkt-Management als Disziplinierungsfunktion nicht vorbei", zitiert Böhmann ein Ergebnis des 3. Münchner IT-Service-Workshops, den der Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik veranstaltet hat.

Umbruch im Servicemarkt

Den IT-Servicemarkt könnte diese Entwicklung grundlegend verändern. "Im IT-Markt wird immer noch viel zu viel handwerklich gearbeitet", fasst Dück zusammen. Eine weitgehende Paketierung, Produktorientierung und Industrialisierung würde etwa das Projektgeschäft stark reduzieren, das in den Anwenderunternehmen erforderliche IT-Know-how in die Einkaufsabteilungen verlagern und bei den Projektbetreibern weniger Mitarbeiter vor Ort erfordern. "Bis sich auf Anwender- und Anbieterseite die Logik der industrialisierten IT-Services durchgehend etabliert hat, werden sicher noch zehn Jahre ins Land ziehen", beschwichtigt Dück.