IT-Arbeitsmarkt Bayern: Hier scheint noch die Sonne

31.10.2008
München und sein Umland gelten als wichtiger IT-Standort. Doch andere Regionen in Bayern entwickeln ein eigenes Profil.

Der Großraum München gilt nach wie vor als Aushängeschild der ITK-Branche", sagt Stephan Pfisterer vom Branchenverband Bitkom. Hier sind Forschungseinrichtungen, große internationale IT-Firmen und namhafte Unternehmen angesiedelt. Eine 2007 veröffentlichte Studie untermauert das mit Zahlen. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern analysierte zusammen mit dem Referat für Arbeit und Wirtschaft der Stadt München die Bedeutung der Branche für die Region. Mehr als 20 000 IuK- sowie Medienunternehmen sind in Stadt und Landkreis angesiedelt. In diesen Firmen arbeiten mehr als 240 000 Menschen in Festanstellung.

Microsoft in Unterschleißheim ist einer dieser Global Player. Kürzlich gab das Unternehmen bekannt, dass in London, Paris und München Such-Technologiezentren entstehen sollen. Bis 2011 möchte der Softwaregigant für diese drei Standorte mehr als 300 Entwickler engagieren.

Führung aus den eigenen Reihen

In den kommenden drei Jahren will das Unternehmen sowohl Young Professionals mit rund fünf Jahren Berufserfahrung als auch Hochschulabsolventen einstellen. Dagegen sollen Führungspositionen aus den eigenen Reihen besetzt werden, so eine Unternehmenssprecherin.

"Wir haben in diesem Jahr mehr als 200 neue Mitarbeiter eingestellt und planen im kommenden Jahr 300 Neueinstellungen", so Uwe Kloos vom Beratungsunternehmen Cirquent. Der Personalchef ergänzt vorsichtig: "Wenn die Rahmenbedingungen stimmen." Die Hälfte der neuen Kollegen kommen direkt von der Hochschule, nur rund fünf Prozent sind Führungskräfte. "Am schwierigsten ist es, berufserfahrene Leute zu finden", ergänzt Kloos. Die neuen Mitarbeiter beginnen zwar meist am Firmenstandort München, arbeiten allerdings deutschlandweit in Projekten beim Kunden. Viele Auftraggeber sind in und um München angesiedelt, etwa Firmen der Fertigungsbranche sowie Telekommunikations- und Mobilfunkanbieter.

Seit sich der neue japanische Anteilseigner NTT Data bei Cirquent eingekauft hat, stehen dem Beratungshaus neue Wege offen. "Wir expandieren über Deutschland hinaus vor allem in Europa", so Kloos. Das Unternehmen strebt einen weiteren Wachstumskurs an, die Personalpolitik setzt auf ein langfristiges Engagement der Fachkräfte. "Wir möchten unseren Mitarbeitern eine Perspektive bieten", so Kloos.

Interessante Anwendungsgebiete

"München und sein Umland sind nach wie vor einer der wichtigsten ITK-Standorte in Deutschland", meint Jürgen Rohrmeier, Personalberater und Vorstand der Pape Consulting Group in München. "Momentan sind besonders stark Vertriebsmitarbeiter gefragt, und zwar über die Grenzen Bayerns hinaus", so Rohrmeier. "München ist nach wie vor ein attraktiver Platz für Firmen. Hier sind vor allem große internationale sowie amerikanische Unternehmen angesiedelt." Darüber hinaus sieht der Berater allerdings auch andere Standorte im Aufwind, etwa Ingolstadt, Deggendorf oder die Region um Nürnberg.

Der Autobauer Audi zählt zu den großen Arbeitgebern in der Region. Die Ingolstädter möchten bis zum Jahresende 900 Akademiker einstellen, darunter rund 20 bis 40 IT-Spezialisten. Für diese Positionen sollten die Bewerber neben ihrem IT-Wissen auch Prozesswissen sowie Projekt-Management-Know-how und Kenntnisse aus der Automobilbranche mitbringen.

Berufschancen für Informatiker gebe es viele, betont der Informatikprofessor Manfred Broy von der TU München. Neben der klassischen Softwareentwicklung könne man in verwandten Disziplinen wie Maschinenbau, Medizin und Energieversorgung neue Berufsfelder für Informatiker entdecken. "Es gibt eine Fülle von Anwendungsgebieten", schwärmt Broy. Die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften sei nach wie vor hoch, doch leider fehle es an Absolventen. Auch Bitkom-Mann Pfisterer fürchtet, dass der Fachkräftemangel die Branche noch weiter beschäftigen wird.

Selbstbewusste Franken

In der europäischen Metropolregion Nürnberg leben rund 3,5 Millionen Menschen. Die Arbeitslosenquote liegt mit 5,4 Prozent zwar über der in München (4,3 Prozent), doch die wirtschaftliche Entwicklung der Region sei auf einem guten Weg. Während die spektakuläre Pleite des Traditionsunternehmens Grundig oder der Wegzug von AEG vielen noch im Gedächtnis haftet, entstanden dort viele neue Unternehmen. Bernd Schostok vom Amt für Wirtschaft der Stadt Nürnberg lobt besonders die enge Zusammenarbeit über die Stadtgrenzen hinaus, denn "Metropolregion Nürnberg" sei mehr als ein Marketing-Begriff, nämlich erfolgreich praktizierte Kooperation. Ein gemeinsames Entwicklungsleitbild für die Wirtschaftsregion definierte für sechs Sparten besondere Wachstumspotenziale; neben Information und Kommunikation zählen dazu innovative Dienstleistungen sowie Automation und Produktionstechnik.

Hartmut Beck von der IHK in Nürnberg schätzt den IT-Arbeitsmarkt in der Region als stabil ein. "Die Auftragslage ist gut, viele Unternehmen suchen Mitarbeiter", so Beck. Zu den großen mittelständischen Unternehmen am Ort zählt Datev. Das Unternehmen beschäftigt in Nürnberg rund 5500 Mitarbeiter, davon arbeiten rund 1200 als Entwickler. "Wir gehen weiter von einem Wachstumskurs aus", erzählt Wolfgang Zdral. Für 2009 plant Datev 250 Neueinstellungen, davon vermutlich zwei Drittel im IT-Umfeld. Im IT-Bereich sucht das Unternehmen weiterhin Informatiker, Wirtschaftsinformatiker, Softwareentwickler sowie Wirtschaftswissenschaftler und Vertriebsmitarbeiter.

Das Mekka der Freiberufler

Außer Kenntnissen und Erfahrung entscheidet die Region über die Verdienstchancen eines Freiberuflers. Wer im Osten der Republik wohnt, muss sich laut dem Projektportal Gulp mit wenig Projektanfragen und kleinen Preisen begnügen. In Leipzig und Dresden setzen selbständige IT-Profis durchschnittlich 63 Euro in der Stunde an, in München acht Euro mehr. In der bayerischen Landhauptstadt und in Frankfurt am Main sitzen die meisten Kunden und auch die meisten Freiberufler. Da die Projekte oft die Präsenz des Freiberuflers beim Kunden erfordern, sind diejenigen, die in der Nähe der Kunden wohnen, im Vorteil. Mehr zum Thema unter www.computerwoche.de/1872684.

Wer sich für die fränkische Metropole und Datev entscheidet, bleibe meist länger, die Fluktuation im Unternehmen sei gering. "Wir haben mehr Bewerbungen als offene Stellen", erzählt der Datev-Mann Zdral. "Als Genossenschaft denken wir langfristig und orientieren uns nicht nur an Quartalsergebnissen." Zahlreiche Sozialleistungen wie eine aktive Gesundheitsvorsorge und attraktive Teilzeitmodelle erhöhten die Zufriedenheit.

Wer in der Region lebt, möchte oft auch dort bleiben. Das kann Berater Rohrmeier bestätigen, denn auf seinen Schreibtisch flattern viele Bewerbungen aus Franken. "Leider wollen die meisten nicht nach München umziehen", bedauert er. Rohrmeier lobt die Region Nürnberg, die "mit dem Fraunhofer-Institut und zahlreichen Startups viel kreatives Potenzial" biete. Allerdings gebe es dort nicht genügend Arbeitsplätze. Mit dem Fraunhofer IIS (Institut für Integrierte Schaltungen) in Erlangen befindet sich ein weiterer großer Arbeitgeber in der Region. An dem Forschungsinstitut arbeiten rund 580 Mitarbeiter. Jährlich rekrutiert Personalerin Meike Dückert zwischen 30 und 40 neue Kollegen, manchmal kommt sie sogar auf 100 Neueinstellungen pro Jahr. Am größten Fraunhofer-Institut sind vor allem Elektrotechniker und Informatiker gefragt.

Zu wenig Bewerber

Doch Personalerin Dückert klagt über zu wenige Bewerbungen. "Es besteht durchaus Fachkräftemangel. Wir konkurrieren mit der gesamten Wirtschaft um die Bewerber." Zwar wartet das Institut mit interessanten Forschungsprojekten auf. Der MP3-Player wurde dort erfunden, in 16 Forschungsabteilungen und einer Vielzahl an Projekten tüfteln Entwickler an Neuem. Doch ein Handicap stellt vermutlich der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst dar: Die im Vergleich zur freien Wirtschaft bescheidenen Gehälter schrecken manchen Bewerber ab. Andere möchten vermutlich eine längerfristige Perspektive, denn die Arbeitsverträge am IIS sind auf höchstens sechs Jahre befristetet.

Finanzkrise und die Folgen für die IT-Jobs

Die Auswirkungen der Finanzkrise und Rezessionsängste verschrecken auch die ITK-Branche. "Wir haben eine starke Verflechtung der Märkte, deshalb wird es Auswirkungen geben. In welchem Umfang, ist allerdings noch nicht absehbar", meint der Personalberater Jürgen Rohrmeier. Nach seiner Einschätzung wird es weitere Fusionen geben, die zu Verschiebungen innerhalb des Marktes beitragen.

Doch ähnlich wie die Prognose des Branchenverbandes Bitkom sagt auch Rohrmeier, dass IT-Profis immer noch gesucht sind. Als besonders wichtige Branchen stuft der Berater Transport und Logistik, Embedded Systems, Automotive und Medizintechnik ein. "Kunden interessieren sich nicht für schicke Technik, sondern wollen Lösungen für ihre Probleme. Durch die Turbulenzen der vergangenen Wochen wird die Forderung nach intelligenten Geschäftslösungen noch dringender", vermutet der Berater. Das Schlagwort von der "Krise als Chance" wird somit zur echten Losung für lukrative Geschäftsfelder.

"Wir sind ein Durchlauferhitzer. Das ist durchaus gewollt, denn wir sind kein Arbeitgeber auf Lebenszeit", verteidigt Dückert das Modell. Die enge Verknüpfung zwischen Wirtschaft und Forschung ermögliche es jungen Hochschulabsolventen, sich für einige Jahre intensiv mit innovativen Fragen zu beschäftigen. Der Freiraum, den eine Forschungseinrichtung biete, sowie die Möglichkeit, Ideen einzubringen, Netzwerke zu knüpfen und das eigene Profil zu schärfen, erhöhten anschließend die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die spätere Suche nach dem nächsten Job bezeichnet Dückert als "problemlos". Den Fraunhofer-Mitarbeitern ständen anschließend viele Wege offen.

Niederbayern statt Indien

Dieter Hilgärtner arbeitet seit 2003 als Innovationsberater für die IHK in Niederbayern, um "mittelständischen Unternehmen unter die Arme zu greifen", Netzwerke zu bilden und die Stärken der Region sichtbar zu machen. Im Dreiländereck zwischen Tschechien und Österreich dominieren zwar Tourismus, Wellness und Gastronomie das Wirtschaftsleben, doch Logistik und IT stellen zwei weitere wichtige Säulen dar. "Gerade IT gewinnt an Bedeutung. Schätzungsweise 10 000 Arbeitsplätze hängen von der IT ab", meint Hilgärtner. Mit Veranstaltungen bringt der Innovationsberater die kleinen Unternehmen miteinander ins Gespräch. In einem weiteren Schritt möchte er die Marktpräsenz der niederbayerischen IT-Unternehmen in der Region erhöhen. "Mir ist es wichtig, mit diesen Veranstaltungen Vertrauen zu schaffen."

Spitzenverdiener

Wer in der IT-Branche gut verdienen will, sollte nach Frankfurt am Main oder München ziehen. Laut CW-Gehaltsstudie verdient der IT-Profi in München durchschnittlich 54 240 Euro, das sind über 6000 Euro mehr als noch im Vorjahr und 13 Prozent mehr als der Durchschnitt. Nur in Frankfurt kommen die IT-Profis auf drei Prozent mehr. In der Franken-Metropole Nürnberg gelangt ein IT-Experte statistisch dagegen nur auf 48 000 Euro.

Nach solchen Treffen sind bereits erste Kooperationen zwischen einzelnen Unternehmen entstanden, indem ehemalige Konkurrenten jetzt kooperieren. "Kunden erwarten gerade im IT-Dienstleistungssektor Service vor Ort", so die Beobachtung des Beraters. Hier sieht Hilgärtner für regionale Firmen eine Chance, an Aufträge zu kommen und gegenüber größeren Anbietern aus dem Großraum München mit "Service vor Ort" zu punkten.

Die Fachhochschulen in Deggendorf und Landshut sowie die Universität Passau bauen ihre IT-Studiengänge aus. In den Augen Hilgärtners bringen mehr IT-Studenten die Chance mit sich, dass wieder neue Firmen gegründet werden und die Bedeutung der IT-Branche in der Region wächst. Zugleich biete sich die Provinz auch an, Dienstleistungen hierher zu verlagern, so genanntes Nearshoring. "Passau statt Indien" eignet sich vermutlich nicht als griffiger Werbeslogan, doch der IHK-Innovationsberater sieht für niederbayerische Unternehmen Outsourcing-Aufträge als gute Geschäftsmöglichkeit. (am)

Glücklich in der Provinz

Vom Startup zum mittelständischen Softwarehaus und IT-Dienstleister.

"Unseren Kunden aus Hamburg ist es egal, ob sie zu einem Meeting nach Straubing oder München anreisen", erzählt Mario Kandler von nbsp. Beide Städte liegen in Bayern, also ziemlich weit weg für jemanden aus dem Norden. Ein extra eingerichteter Shuttle-Service bringt die Besucher in rund 50 Minuten vom Flughafen in Freising nach Niederbayern an den Verhandlungstisch. Die Fahrt vom Flughafen in die Münchner Innenstadt dauert in der Rushhour genauso lang.

Die Geschäfte des 1997 gegründeten Unternehmens nbsp laufen gut. Damals entwickelte Kandler gemeinsam mit zwei Freunden Websites, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte und es chic war, ein Startup zu gründen. Doch aus dem Zusatzverdienst neben der Ausbildung entstand über die Jahre ein solides Unternehmen.

Der 35-jährige Kandler beschäftigt heute 61 Mitarbeiter in Straubing, darunter rund 40 Entwickler. Arbeitsschwerpunkte des Unternehmens sind Content-Management-Systeme wie "Sitefusion", Web-Anwendungen und Web-Design. Seit einiger Zeit entwickelt nbsp auch E-Learning-Lösungen für ausgewählte Kunden. So lernen etwa Mitarbeiter von Reisebüros mit einer Software aus Straubing, was Urlauber auf einer Kreuzfahrt in die Karibik erwarten. Neben Verlagen zählen Unternehmen der Tourismusbranche zu den Hauptauftraggebern.

"Straubing war immer mein Lebensmittelpunkt", erzählt Kandler. In München sind zwar einige seiner Kunden angesiedelt, doch das dortige Büro hat er kürzlich aufgelöst. Die niederbayerische Stadt mit knapp 50 000 Einwohnern lockt außerdem mit niedrigeren Mieten und Lebenshaltungskosten. Durch Kooperationen mit der EDV-Schule in Plattling findet Kandler leicht Entwickler, außerdem bildet er selbst in den IT-Berufen aus. Doch wenn es gilt, Entwickler, Manager oder Vertriebsmitarbeiter nach Straubing zu locken, wird es schwierig. "Viele, die in Regensburg oder Passau studieren, zieht es in die Großstädte", bedauert Kandler.

Tom Weinberger arbeitet seit knapp zwei Jahren für nbsp. Den Wirtschaftswissenschaftler mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik zog es nach dem Studium in Passau nicht in die Großstadt. Der 28-Jährige bewarb sich ganz frech als Berufsanfänger auf eine von nbsp ausgeschriebene Projektleiterstelle, für die eigentlich zwei Jahre Berufserfahrung gefordert waren. "Er hat uns im Vorstellungsgespräch überzeugt", erzählt Kandler. Seit einigen Monaten unterstützt Weinberger Kandler im Vertrieb.

Selbstbewusstsein fehlt den Niederbayern keineswegs, und den Vergleich mit München scheuen die meisten ebenso wenig. Kandler fühlt sich wohl in der Provinz.