Cloud-IoT-Plattformen vor dem Aus

Ist der Internet-of-Things-Hype schon vorbei?

05.12.2022
Von 


Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Bereits jetzt steht fest: 2023 wird für den IoT-Markt das Jahr der Konsolidierung. Mit Google, IBM und SAP machen gleich drei größere Player ihre IoT-Plattformen dicht.
2023 werden gleich drei Cloud-IoT-Platformen eingestellt.
2023 werden gleich drei Cloud-IoT-Platformen eingestellt.
Foto: metamorworks - shutterstock.com

Harte Zeiten - offenbar auch für Betreiber von IoT-Plattformen: Google hat Mitte 2022 angekündigt, den erst 2019 gelaunchten Cloud-Service Cloud IoT Core binnen eines Jahres abzuschalten und empfiehlt bestehenden Kunden die Migration zu Implementierungs- oder Technologiepartnern. IBM nimmt Ende kommenden Jahres Watson IoT als eigenständigen Service aus dem Programm und will die Funktionen des Cloud-Dienstes in Zukunft nur noch über die IBM Maximo Application Suite zur Verfügung stellen. Bei SAP Internet of Things und allen vorangegangenen Services (Leonardo) ist sogar schon Ende Januar 2023 Schicht im Schacht. Nutzern empfehlen die Walldorfer, sich an das SAP-Kundenteam zu wenden, um die zukünftige Architektur ihrer IoT-Lösung zu definieren.

Ist der IoT-Hype damit schon wieder vorbei? Kapitulieren die drei Anbieter vor den Platzhirschen Microsoft Azure und AWS? Kann man mit IoT-Lösungen überhaupt Geld verdienen? Experten von Gartner, IDC, Counterpoint Research und IoT Analytics gaben Auskunft.

Von IoT-Plattformen zu IoT-fähigen Anwendungen

Zunächst einmal muss man verstehen, worauf sich "IoT Cloud Services" beziehen, erklärt Gartner-Analyst Emil Berthelsen: In den Fällen von Google IoT Cloud, IBM Watson und SAP (früher Leonardo) bezieht sich der Begriff auf ihre Cloud-basierten IoT-Plattformen, die den Kunden die Möglichkeit bieten, "Geräte zu verbinden und die Erfassung und Verarbeitung von Daten (in der Cloud) für die Entscheidungsfindung über Anwendungen und Analysen zu verwalten". Diese Plattformfähigkeiten nähmen in Umfang und Nachfrage weiter zu, in jüngster Zeit insbesondere durch die zusätzlichen Anforderungen durch Edge Computing und digitale Zwillinge. Dies habe dazu geführt, dass sich der Schwerpunkt der Wertschöpfung von eigenständigen IoT-Plattformen auf IoT-Anwendungen verlagert hat, so der Spezialist für Product Management Teams und IoT.

Gartner habe bereits im Oktober 2021 in einem Research-Bericht festgestellt, dass sich die Käufer von IoT-Lösungen bei ihren Investitionen stärker auf die damit erreichbaren Geschäftsergebnisse konzentrieren als auf die grundlegenden Merkmalen und Funktionen und daher die IoT-Plattformen auf der Grundlage der verfügbaren Unternehmensanwendungen bewerten und auswählen. Der letztgenannte Punkt ist ein besonderer Antrieb für die Entscheidungen bei IBM und SAP, erklärt Berthelsen. Was Google angehe: GCP bietet auch weiterhin Cloud-Lösungen für Unternehmen an, die IoT-Projekte umsetzen, und geht Partnerschaften mit IoT-Plattformanbietern wie Clearblade und Litmus für Kunden ein, die IoT-Projekte umsetzen.

In der Breite nur schwer skalierbar

"Der IoT-Markt ist für Anbieter komplex, weil man ihn nur schwer standardisiert adressieren kann", erklärt Marco Becker von IDC gegenüber der Computerwoche. "Jeder Kunde bringt unterschiedliche Voraussetzung mit, unabhängig davon, ob es um Endgeräte der Mitarbeiter, Smart Buildings oder industrielle Umgebungen geht."

Marco Becker, IDC
Marco Becker, IDC
Foto: IDC

Um erfolgreich zu sein, müsse ein Anbieter daher einerseits technologisch breit aufgestellt sein, um viele Dinge in seine Plattform integrieren und Daten sinnvoll verarbeiten zu können, so der IoT-Experte. Andererseits - und das sei vielleicht viel wichtiger - müsse er auch individuelle Beratung bieten, welche Möglichkeiten und Geschäftsideen existieren, was umsetzbar ist und letztendlich auch wirtschaftlich Sinn macht. Und trotz dieser individuellen Komponente müsse das IoT-Angebot des Anbieters skalierungsfähig und erschwinglich bleiben.

"Diesen schwierigen Balance-Akt haben aber dutzende Anbieter mit verschiedenen Strategien und Vorgehensweisen adressiert, beispielsweise durch Fokussierung auf einzelne Anwendungsszenarien, die Adressierung spezifischer Branchen, den Schulterschluss mit exklusiven Partnern oder dem Aufbau eigener Standards und IoT-Ökosysteme", erläutert Becker. Es überrasche daher nicht und werde von IDC auch schon seit einigen Jahren prognostiziert, dass sich nur einige Strategien und Anbieter erfolgreich durchsetzen und ein profitables Geschäft aufbauen werden.

Erfolg mit Nischenanwendungen

Mohit Agrawal von Counterpoint Research bestätigt diese Ansicht. Die kleineren und Nischenanbieter haben ein besseres Angebot für die von ihnen bedienten Branchen und seien damit in Summe erfolgreicher als die großen Anbieter, schreibt er auf Linkedin. Außerdem hätten es Google, SAP und IBM in den letzten Jahren versäumt, ihr Angebot in Bezug auf Funktionen, Benutzeroberfläche oder sogar Geschäftsmodelle zu verbessern.

"In einer Zeit, in der die Technologiebranche Fett abbauen muss, überrascht mich die Schließung dieser Plattformen nicht. Die Frage ist: Wer ist als Nächster dran?", so der Counterpoint-Experte.

Azure und AWS decken den Standardbedarf

Auch für die Kollegen von IoT Analytics waren die Ankündigungen von Google, IBM und SAP absehbar. Sie haben bereits Ende 2021 in einem Blog-Beitrag eine Marktkonsolidierung vorhergesagt, nachdem viele Plattform-Betreiber in den vergangenen Jahren auf eine Anwendung umgestellt haben, eine vertikale statt einer horizontalen Lösung oder gar eine Security-Plattform anbieten.

Anstatt mit mehr als 600 anderen Unternehmen zu konkurrieren und Millionen von Dollar in die Pflege einer hochgradig modularen und skalierbaren Softwareplattform zu investieren, folgten diese Anbieter der Nachfrage nach spezifischen - manchmal auch Nischenanwendungen, um Wettbewerbsvorteile bei vertikal-spezifischen Lösungen zu erzielen, so die Erklärung.

Der Markt für "generische IoT-Plattformen" könnte aus Sicht von IoT Analytics dagegen allein durch Azure und AWS mit ihrer riesigen Anzahl von Add-ons und Diensten abgedeckt werden. "AWS und Azure dominieren den Bereich und waren die einzigen, die in das Thema strategisch investierten und nicht einfach als 'nur einen weiteren Service' hatten", erklären die Experten gegenüber der Computerwoche: Während die beiden Anbieter eigenständige Initiativen hätten, die darauf abzielen, das IoT auf breiter Ebene zu verwirklichen, konzentrierten sich SAP und IBM beide auf andere Produkte (beispielsweise SAP HANA) und sähen IoT nur als Erweiterung ihrer Produkte.

Google: Zu spät zur IoT-Party

Mit Google verhalte sich die Sache etwas anders, so die in Hamburg ansässigen IoT-Marktforscher: "Angesichts der Dynamik und des Erfolgs von Googles Cloud-Diensten kamen die Ankündigungen recht überraschend. Das Unternehmen scheint jedoch zu dem Schluss gekommen zu sein, dass es zu spät ist und die anderen beiden Dienste bereits zwei Jahre weiter sind."

Allerdings sei es in Tech-Kreisen bekannt, dass Google die Politik verfolgt, nicht so erfolgreiche Dienste komplett abzuschaffen, erläutert IoT Analytics. Speziell im Bereich IoT habe Google im Januar 2022 Android Things eingestellt, da das Betriebssystem nie richtig Fuß fassen konnte. Und da der Marktanteil von Diensten wie IoT Core und Android Things gering sei, hat dies keine großen Auswirkungen auf Google, verursacht aber eine Menge Unannehmlichkeiten für die Kunden.

Mit IoT Core als einzigen IoT-Cloud-Service ist Google in vielen Szenarien blank.
Mit IoT Core als einzigen IoT-Cloud-Service ist Google in vielen Szenarien blank.
Foto: IoT Analytics

"Wir wissen von einigen Google-IoT-Kunden, die nun nach anderen Möglichkeiten suchen, ihre Daten in die Google-Cloud zu bringen - was auch möglich ist, nur eben nicht mit allen Tools des gleichen Anbieters. Ein mittelgroßer Nutzer erwähnte zum Beispiel, dass die Schließung von IoT Core ihn um sechs Monate zurückwerfen wird", berichten die Analysten.

Den fehlenden Fokus von Google auf IoT hatte IoT Analytics bereits im Frühjahr 2022 aufgezeigt, als sie in einer Studie die Angebote von AWS, Azure und Google miteinander verglichen. So führt die Google Cloud Platform IoT Core als seinen einzigen IoT-Cloud-Service auf. Es gibt jedoch eine ganze Liste anderer unterstützender Funktionen, die nicht IoT-spezifisch sind, aber weitere Funktionalitäten hinzufügen.

Langfristiges Potenzial vorhanden

Lässt sich mit IoT-Diensten überhaupt Geld verdienen? Jein, meinen die Marktforscher aus Hamburg. Derzeit werde das meiste Geld noch mit Cloud-Infrastruktur verdient und IoT ist nur einer von vielen Diensten, die in diese einfließen - zumal man auch Tools von Drittanbietern verwenden kann.

Allerdings könnte das Bild in ein paar Jahren anders aussehen anders aussehen, da die Unternehmen IoT-Geräte - im Vergleich zu anderen Diensten - nur sehr langsam in die Cloud integriert hätten, so IoT Analytics: "Jedes Jahr gehen mehr als zwei Milliarden neue Geräte online, und das IoT wird mehr und mehr zur Realität. Darüber hinaus gibt es eine Menge Potenzial, um mit dem breiteren Ökosystem von IoT-Software, Hardware und Integrationspartnern Geld zu verdienen. AWS und Azure haben hier bereits beträchtliche Ökosysteme aufgebaut und werden in den kommenden Jahren sicher Geld verdienen."