Ist der DV-Nachwuchs zu teuer?

21.11.1980

Als Schlag ins Gesicht der alten "DV-Hasen" wertet Peter Muntermann, RZ-Leiter bei der Goebel GmbH, Darmstadt, die Gehaltspolitik in der Datenverarbeitung. Gestandene DV-Mitarbeiter müssen heute die "bittere Erfahrung" machen, daß beim Gehaltsgerangel zum größten Teil die Personal-Engpässe auf dem DV-Arbeitsmarkt bestimmend seien. Bereits das Anfangsgehalt eines Newcomers, mokiert sich Muntermann, bewege sich in gleicher Höhe wie der Verdienst von DV-Leuten, die sich auf dem traditionellen Weg hochgearbeitet hätten. Eine andere Auffassung vertritt DV/Org.-Chef Egon Kerst (McCann-Erikson GmbH, Frankfurt): "Müßten sich die EDV-Leute ihren Nachwuchs selbst über eine zwei- bis dreijährige Lehre heranbilden, würde das mit Sicherheit noch wesentlich mehr kosten." ha

Egon Kerst, Leiter der EDV und Organisation, Mc Cann-Erickson GmbH, Frankfurt (IBM 370/125, 4331- DOS/VSE)

Die gestellte Frage, ob der Nachwuchs zu teuer ist, erfordert eine Begrenzung der Thematik. Unter Nachwuchs wird hier nur der Teil des EDV-Nachvuchses verstanden, der von außerhalb des Unternehmens zum Zwecke der Ausbildung für EDV-Berufe eingestellt wird. Die Weiterbildung eigener Mitarbeiter für qualitativ anspruchsvollere Tätigkeiten (zum Beispiel Operatoren zu Programmierern, Programmierer zu System-Analytikern) wird hier nicht erörtert, obwohl sie sicherlich ebenso wichtig ist.

Die Vielzahl inzwischen recht spezialisierter EDV-Berufe verlangt ebenfalls eine Beschränkung. Die gestellte Frage soll am Beispiel des Nachwuchses für Operatoren und für System-Anaytiker beantwortet werden.

Die Kosten werden bestimmt durch

- die Höhe des Gehalts,

- den Zeitraum der Ausbildung,

- den Aufwand für Ausbilder, Kurse, Lehrmaterial etc. sowie

- die Ausfallquote während oder unmittelbar nach der Ausbildung. Sie sind zu vermindern um den Betrag an verwertbarer Leistung, den der Auszubildende während der Ausbildungszeit erbringt. Die einzelnen Kostenfaktoren können einander bedingen, es besteht jedoch kein kausaler Zusammenhang. In unserem Unternehmen hat sich gezeigt, daß die erfolgreiche Ausbildung und die dafür benötigte Zeit am stärksten von der Qualität der Ausbilder abhängt. Wer daran spart, spart mit Sicherheit an der falschen Stelle. Der Auszubildende sollte in den ersten drei Monaten (bei Operatoren) oder den ersten sechs Monaten (bei System-Analytikern) sehr eng mit einem erfahrenen Operator beziehungsweise System-Anaylitiker zusammenarbeiten. Für den Ausbilder darf nicht Shaws Feststellung gelten: "Wer fähig ist, schafft, wer unfähig ist, lehrt."

Nach drei bis sechs Monaten, sollte der Nachwuchs bereits verwertbare Leistungen erbringen. Seine weitere Ausbildung muß jetzt vor allem als "Training on the Job" betrieben werden. Das beschleunigt die berufliche Entwicklung und spart einen Großteil der wertvollen und teuren Zeit des Ausbilders.

Was kostet nunmehr ein Nachwuchs-Operator? Im folgenden Beispiel wird davon ausgegangen, daß unser Nachwuchsmann bisher mit EDV nichts zu tun hatte. Wie teuer wird er, bis er sein Geld verdient?

Monatliche Kosten:

Gehalt 2000 Mark

Gehaltsnebenkosten 700 Mark

Kosten für Ausbilder 1000 Mark

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3700 Mark

Geht man von einer Gesamtausbildungszeit von sechs Monaten aus, ergeben sich Kosten von 22 000 Mark. Dazu kommen Lernmittel und ein Kurs, die zusammen mit etwa 3000 bis 4000 Mark anzusetzen sind. Der Leistungsbeitrag vom vierten bis sechsten

Monat kann mit 1500 Mark je Monat veranschlagt werden.

Somit kostet uns ein Operator (der aber noch nicht jeder Situation gewachsen ist) zirka 21000 Mark. Nicht berücksichtigt sind anteilige Kosten für die Ausfallquote.

Was kostet ein Nachwuchs-System-Analytiker? Vorausgesetzt wird eine gute theoretische Ausbildung. In unserem Fall der Abschluß eines Studiums der Betriebswirtschaft oder der Mathematik.

Monatliche Kosten:

Gehalt 2750 Mark

Gehaltsnebenkosten 900 Mark

Kosten für Ausbilder 1500 Mark

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5150 Mark

Die Gesamt-Ausbildungszeit muß mit zwölf Monaten angenommen werden. Was dann kommt, ist

Weiterbildung. Die Kosten belaufen sich demzufolge auf 61 800 Mark. Als Leistungsbeitrag können 20 000 Mark angesetzt werden. Für Kurse und Lehrmaterial werden 6000 Mark erforderlich sein. Die Gesamtkosten betragen etwa 48 000 Mark, wobei keine Kosten für die Ausfallquote eingesetzt wurden.

Bei all diesen Berechnungen ergibt sich die Frage: Ist der DV-Nachwuchs tatsächlich zu teuer? Ich meine nein. Würde die EDV sich ihren Nachwuchs über eine zwei- bis dreijährige Lehre heranbilden, so würde das mit Sicherheit mehr kosten, zumal der Nachwuchs nach einer Lehre für die Systemanalyse oder ähnlich

schwierige Aufgaben ohne längerfristige Weiterbildung ebenfalls noch nicht sofort eingesetzt werden könnte.

Peter Muntermann, RZ-Leiter, Maschinenfabrik Goebel GmbH, Darmstadt (Siemens 7.730, BS1000)

Die Zahl der DV-lnstallationen nimmt ständig zu und damit auch der Bedarf an gut ausgebildeten Spezialisten. Eine bittere Erfahrung für jeden alten DV-Hasen, der feststellen muß, daß nicht wie bisher Qualifikation und Engagement bestimmend sind für den Berufsweg oder die finanzielle Entwicklung der Datenverarbeitung, sondern in besonders starkem Maße die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt.

Eine ähnliche Situation hatten wir schon Anfang der siebziger Jahre. Nach einem relativ starken Run auf EDV-Jobs folgte sehr schnell die Trennung der "Spreu vom Weizen". Überlebt haben weitgehend nur DV-Leute, die an sich weitergearbeitet und sich somit einen fachlichen Background für die Zukunft gesichert haben. Diese Mitarbeiter, die den Job von der "Pike" auf gelernt haben, sind heute noch immer gefragt.

Die derzeitige Personalsituation im DV-Arbeitsmarkt ist jedoch eine Ohrfeige ins Gesicht der "alten DV-Hasen", die sich auf dem traditionellen Weg hochgearbeitet haben. Ebenso kontinuierlich entwickelte sich auch das Gehalt dieser Leute. Inzwischen beträgt allein das Anfangsgehalt (zumindest aber die Forderungen) eines Hoch- oder Fachhochschulabsolventen fast soviel wie das gestandener Mitarbeiter. Dabei befinden sich die älteren Praktiker auf einem zum Teil höheren Niveau wie die ausschließlich theoretisch geschulten Anfänger.

Nicht selten verlangen Newcomer bereits beim Einstellungsgespräch ein Monatsgehalt von 4000 Mark. Bedenkt man, daß ein Unternehmen zuerst einmal eine hohe Investition durch die praktische, anwendungsbezogene Ausbildung des neuen Mannes tätigen muß, sind diese Gehaltsvorstellungen eindeutig zu hoch geschraubt. Hinzu kommt, daß der erste Job von Hochschulabsolventen meist nur als Sprungbrett benutzt wird und sie schon bald (nachdem sie sich das praktische Handwerk angeeignet haben) das Unternehmen wieder verlassen, um beim nächsten Arbeitgeber mit einem noch höheren Gehalt einzusteigen.

Die Ausbildung eines Newcomer stellt somit bei der derzeitigen Personalmisere für jedes Unternehmen ein echtes Risiko dar, das es jedoch zur Zeit eingehen wird und eingehen muß. Es ist jedoch immer eine Investition, die auf wackligen Füßen steht.

Jörk Spranger, Leiter der Organisation, Fiat Automobil AG, Heilbronn (IBM 370/148, 370/138 - OS/VS1)

Da das derzeitige Angebot an Informatikern von den Universitäten, Hoch- und Fachhochschulen relativ gering ist, bestehen vor allem im Bereich der Systemanalyse relativ hohe Gehaltswünsche. Zwar gibt es bereits eine wesentlich größere Auswahl bei Programmierern, aber auch diese sind im Vergleich zu

ihrer sofort verfügbaren Leistung immer noch sehr teuer.

Die Qualifikation von Berufsanfängern in Systemanalyse und Programmierung liegt in erster Linie im theoretischen Bereich. Das heißt, um in der Fachabteilung oder in der Datenverarbeitung die gewünschte Leistung zu bringen, ist vorerst eine weitere interne Ausbildung in Form von "Training on the Job" erforderlich. Insofern halten wir den DV-Nachwuchs von "draußen" im Verhältnis zu den Newcomern, die wir aus den eigenen Reihen rekrutieren, für erheblich kostspieliger.

Inzwischen versuchen wir verstärkt, unseren DV-Nachwuchs selbst heranzuziehen und auszubilden. Dabei beginnen wir mit der Auswahl geeigneter Mitarbeiter beziehungsweise "Azubis" für das Operating. Gleichzeitig ermutigen wir tüchtige Operatoren zur Weiterbildung zum Programmierer. Gute Programmierer werden indessen in die Systemanalyse, System- oder Programmpflege übernommen.

Die Vorteile dieses Verfahrens liegen vor allem:

- Im Leistungsanreiz für die interessierten Mitarbeiter ;

- in der Sicherstellung einer systematischen Ausbildung "von der Pike auf";

- im Erhalten eines einheitlichen Gehaltsniveaus.

Bedingt durch die geschilderte Situation unseres Hauses, sind wir in der glücklichen Lage, nur in Sonderfällen auf "externen" DV-Nachwuchs zurückgreifen zu müssen. Allerdings sind wir der Meinung, daß dies auch eine systematische Förderung und Ermutigung der jungen Mitarbeiter unseres Unternehmens erfordert.

Herbert Tilders, EDV-Leiter, Paguag GmbH & Co" Düsseldorf (IBM 370/125, DOS/VS)

Die Beantwortung der Frage, ob der DV-Nachwuchs zu teuer ist, sollte man in zwei

Gruppen einteilen:

1. DV-Nachwuchs vom freien Markt, also von den Hoch-, Fachhoch- oder Privatschulen.

2. DV-Nachwuchs aus dem eigenen Haus.

Nach meinen Erfahrungen sind die finanziellen Forderungen der Newcomer von den externen Ausbildungsstätten zu hoch geschraubt. Als DV-Verantwortlicher muß man sich hier die Frage stellen, ob diese Leute derartige Beträge, vor allem in den ersten Jahren, überhaupt wert sind.

Der von den Schulen kommende DV-Nachwuchs besitzt zunächst nur theoretische Kenntnisse, mit denen er in der DV- Praxis oft sehr wenig anfangen kann. Die Schuld liegt aber nicht nur bei den Studierenden, sondern auch an den Ausbildern, die DV-Anfänger meist mit zu hohen finanziellen Versprechungen in das Berufsleben entlassen.

In unserem Unternehmen versuchen wir bereits seit geraumer Zeit, unseren Mitarbeiterbedarf in der EDV möglichst aus dem eigenen Hause zu rekrutieren und auszubilden (zum Beispiel durch Lehrgänge beim Hersteller).Diese "interne" DV-Ausbildung hat den Vorteil, daß gezielt Lehrgänge besucht werden können, die für die praktische Arbeit eines neuen Mannes erforderlich sind. Theorie und Praxis gehen bei diesem Verfahren ineinander über, was sowohl für den DV-Anfänger, aber auch für das Unternehmen von Vorteil ist. Außerdem sind hier die Probleme der "gerechten" Bezahlung leichter zu regeln. Es besteht allerdings verstärkt die Gefahr,

daß Mitarbeiter nach der betrieblichen Ausbildung oder nachdem sie genügend praktische Erfahrungen gesammelt haben, das Unternehmen für einen wesentlich höher bezahlten Job verlassen. Spätestens dann muß von seiten des Unternehmens dafür gesorgt werden, daß die Gehälter angemessen aufgestockt werden, um den Nachwuchs zu motivieren und ihn somit an das Unternehmen zu binden.