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Ist das Internet schuld am massiven Anstieg von Kinderpornografie?

13.01.2004

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die britische Kinderwohlfahrtsorganisation NCH hat ein Thesenpapier veröffentlicht, in dem ein direkter Zusammenhang zwischen dem Aufkommen des Internets und dem massiven Anstieg von Kinderpornografie festgestellt wird. Zwar vertreten einige Experten die These, das Internet sei nur ein zusätzlicher "Vertriebsweg" für kriminell veranlagte Pädophile. Demgegenüber vertritt NCH die Meinung, die Einfachheit, mit der heutzutage jeder an Fotos und Kontaktadressen zu Kinderpornografiethemen gelangen könne, befördere dieses schwere Kriminaldelikt erheblich.

John Carr, Autor des zehnseitigen Papiers "Child abuse, child pornography and the internet" argumentiert, zwar hätten Gesellschaften schon immer Probleme gehabt, Kindesmissbrauch zu verhindern oder auch nur aufzudecken. Mit dem Internet seien aber die Möglichkeiten für Kriminelle zum sexuellen Mißbrauch von Kindern noch erheblich gewachsen.

Carr argumentiert vor allem mit Fakten, um die Signifikanz seiner Aussagen zu unterstreichen: Wurde die Polizei im Prä-Internet-Zeitalter eines kriminell agierenden Pädophilen habhaft, habe man in aller Regel vielleicht eine Handvoll Fotos gefunden, die Missbrauchsdelikte darstellten. Heutzutage würden bei Razzien sehr häufig Tausende solcher Bilder auf Computern entdeckt. Vergangenes Jahr habe man einen Mann im englischen Lincolnshire verhaftet, der auf seinem PC 450.000 Fotos gespeichert hatte, die sexuell mißbrauchte Kinder darstellten. In New York habe man ebenfalls vergangenes Jahr eine Privatperson dingfest gemacht, die sogar eine Million solcher Fotos auf ihrem Rechner hortete.

Auch habe sich die Zahl der im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch verhafteten Täter seit dem Aufkommen des Internet drastisch erhöht. 1988 habe man in Großbritannien 35 Menschen wegen dieser Straftat verhaftet. Im Jahr 2001 war die Polizei bereits 549 Mal erfolgreich, solche Kriminelle festzusetzen. Das entspricht einer Steigerung von 1500 Prozent. Damit nicht genug: Für die Jahre 2002 und 2003 sei mit einer weiteren erheblichen Steigerung der Missbrauchsdelikte zu rechnen. Allein in Großbritannien führte die international angelegte Fahndungsaktion "Operation Ore" im Jahr 2002 zur Erfassung von 6500 Verdächtigen. Diese Personen seien Kunden einer einzigen Kinderpornoseite im Internet gewesen, auf der sie mit Kreditkarten für Kinderpornografiefotos zahlten. 2300 von diesen sind immer noch in Haft.

Carr schreibt weiter, viele wegen Kindermissbrauchs Verhaftete hätten zugegeben, dass erst die Ansicht von Pornobildern ihre sexuellen Phantasien so angeregt hätten, dass sie diese auch an Kindern ausleben wollten. Diverse Studien hätten diesen Zusammenhang bestätigt. Die größte Untersuchung hierzu - deren Titel und Herkunft Carr allerdings nicht näher bezeichnet - habe ergeben, dass jeder dritte wegen Kinderpornografie Inhaftierte ausgesagt habe, erst durch den Fotokonsum zum Missbrauch geführt worden zu sein. Carr betont ferner, während früher der Austausch von Fotos eher im privaten Kreis stattgefunden habe, habe sich hieraus mittlerweile eine organisierte Kriminalität entwickelt.

Carr schreibt ferner, mit dem zunehmenden Gebrauch multimedialer, "intelligenter" GPRS- beziehungsweise 3G-Handys verbreite sich das Internet mit seinen Zugriffsmöglichkeiten auf kriminell indizierte Inhalt noch mehr und sei im Prinzip ubiquitär und ständig verfügbar.

Carr betont, dass das Internet für sich genommen eine wertvolle und schätzenswerte technische Entwicklung darstelle. Trotzdem dürfe man aber nicht über die dunklen Seiten dieser Technologie hinwegsehen und sich ihr vermeintlich hilflos ausliefern.

Fällt Carr die Statusbeschreibung noch leicht, tut er sich erwartungsgemäss mit Lösungsansätzen schwerer. Er schreibt, da fast alles, was in irgendeiner Weise mit dem Internet zu tun habe, aus den USA komme, sollten die Menschen vor allem auf die US-Regierung und auf die amerikanische Jurisprudenz einwirken. Die zuständigen Behörden müssten ihre Effizienz im Kampf gegen Kinderschänder steigern. Auch müsse die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen Kindermissbrauch verstärkt und verbessert werden.(jm)