Ist das Büro in zehn Jahren überflüssig?

27.06.2012
Ob Home Office oder Bring your own Device: Mitarbeiter wünschen sich flexiblere Arbeitsbedingungen. Wenn der Arbeitsplatz der Zukunft nicht mehr nur das klassische Büro ist, müssen Firmen wie Mitarbeiter einiges beachten.

Welche Rolle spielt das Firmenbüro in der Arbeitswelt der Zukunft? Diese Frage stellen sich nicht nur Städteplaner, Büroausstatter und Arbeitgeber, sondern zunehmend auch die Beschäftigten selbst. Das britische Telekommunikationsunternehmen Virgin Media Business befragte 2011 britische Büroarbeiter und fand heraus, dass 60 Prozent der Befragten glauben, Firmenbüros könnten schon im Jahr 2021 überflüssig sein.

Großer Wunsch nach flexibleren Arbeitsbedingungen

So wenig realistisch die Vorstellung heute in manchen deutschen Unternehmen und Organisationen anmuten mag: Auch hierzulande wandelt sich der Büroalltag. Schon 2010 stellt der Branchenverband Bitkom in einer repräsentativen Befragung von 1000 Personen fest: Zehn Prozent der Berufstätigen in Deutschland arbeiten bereits ganz oder zeitweise von zu Hause aus. Weitere 58 Prozent der Erwerbstätigen wünschen sich flexiblere Arbeitsbedingungen: 37 Prozent der Berufstätigen möchten gern an einigen Tagen in der Woche zu Hause arbeiten und weitere 20 Prozent sogar täglich. Nur noch 30 Prozent der Befragten gehen am liebsten jeden Tag ins Büro.

Das alles spricht zwar nicht für die völlige Abschaffung von Firmenbüros, aber zumindest für neue, flexiblere Konzepte von Arbeit - auch und gerade im Interesse der Unternehmen, wie Arbeitsexpertin Nicola Millard vom Netz- und IT-Dienstleister BT betont: "Unternehmen müssen agile Organisationen werden, wenn sie am Markt bestehen wollen." Die Erfahrungen der Arbeitsexpertin aus der Praxis bei BT und anderen Unternehmen wie Cisco, Kraft und der niederländischen Versicherungsgesellschaft Interpolis lassen sich in sieben Erfolgsfaktoren für die Einführung flexibler Arbeitsorganisation zusammenfassen.

1) Auf Ergebnisorientierung umstellen

Was zählt, ist das Ergebnis der Arbeit, egal wann und wo sie erbracht wurde. Die Stechuhr als Kontrollinstrument hat ausgedient. Messbare Ziele zu vereinbaren und ihre Erreichung zu dokumentieren ist ein weitaus effizienteres Steuerungsverfahren.

2) Vertrauen beweisen

Angesichts von vielfach nachgewiesenen 20 bis 30 Prozent Produktivitätssteigerungen in Unternehmen mit Heimarbeitsmodell haben Entscheider Grund, ihren Mitarbeitern zu vertrauen. Wenn Heimarbeiter hingegen mit der Unterstellung leben müssen, dass sie zu Hause nicht arbeiten, oder wenn Heimarbeit als minderwertig eingestuft wird, verkrampfen sie. Darunter leiden die Arbeitnehmer wie auch die Produktivität.

3) Innovationsbereitschaft zeigen

Der technische Fortschritt im Bereich der Netze und Endgeräte eröffnet Unternehmen und Organisationen ständig neue Möglichkeiten. So ist es erst seit Kurzem möglich, Videokonferenzen in Business-tauglicher Qualität zwischen Teilnehmern mit Geräten verschiedener Hersteller zu schalten. Mit einer Video-Bridge können Telepresence-Räume, Tisch-Videogeräte, mobile Endgeräte und PCs mit Webcam miteinander kombiniert werden. Möglich wird das auch durch Cloud-Services, die Tablets und andere Mobilgeräte integrieren und damit technisch den Durchbruch zur räumlich und zeitlich unbegrenzten Verfügbarkeit von Video-Meetings schaffen. Von derartigen Neuerungen profitiert jedoch nur, wer sich aktiv um die Innovation in den Geschäftsprozessen kümmert.

4) Flexibel bleiben

Die unterschiedlichen Anforderungen an die Arbeit von Menschen lassen sich nicht mit einer Einheitslösung erfüllen. Mitarbeiter brauchen deshalb die Möglichkeit, das für sie und ihre Aufgabe am besten geeignete Werkzeug zu benutzen. Starre Regeln wie "iPads nur für Abteilungsleiter" helfen nicht. Eine praxisgerechte Bedarfsanalyse in Kombination mit dem Konzept des "Bring your own Device" hingegen kann schnell zu Ergebnissen führen, von denen alle profitieren. Wenn Mitarbeiter ihre eigenen modernen Endgeräte nutzen, steigert das nicht nur Motivation und Produktivität. Gleichzeitig fallen weniger Kosten an, weil der Arbeitnehmer das Gerät nicht nur selbst bezahlt, sondern in der Regel auch deutlich weniger IT-Support benötigt. Welches Gerät von wem wofür genutzt wird, sollte jedoch immer klar geregelt und dokumentiert werden, um die neue Vielfalt der Endgeräte beherrschbar zu machen. Der Überblick über die genutzte Infrastruktur ist wichtig, um Unternehmensanwendungen bereitstellen und Daten absichern zu können.

5) Sicherheit fördern und fordern

Sicherheitsbedenken gehören immer noch zu den größten Hindernissen für mehr Mobilität und Flexibilität in der Arbeitswelt. Laut einer Umfrage des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ist der "Umgang mit Smartphones" für die Unternehmen das mit Abstand wichtigste IT-Sicherheitsthema. Eine mögliche Lösung ist das sogenannte Sandbox-Konzept: Dabei kann der Mitarbeiter sich von überall einloggen und Firmendaten ansehen und bearbeiten, sie aber nicht lokal herunterladen. Für zusätzliche Sicherheit sorgen regelbasierte Zugriffskonzepte, die genau festlegen, wer welche Daten nutzt. Und um den Verlust sensibler Daten zu verhindern, setzt beispielsweise der Softwarehersteller CA Technologies auf Geo-Tracking. Dieses System schlägt sofort Alarm, wenn es unplausible Anmeldevorgänge bemerkt.

6) Qualitätsstandards setzen und einhalten

Hochwertige Technologie ist nicht nur für die Realisierung ausgeklügelter Sicherheitskonzepte, sondern auch für die Qualität der Arbeitsergebnisse unbedingt nötig. Nur mit leistungsfähigen Netzen lässt sich sicherstellen, dass in einer Videokonferenz Sprache und Bild synchron bei den anderen Teilnehmern ankommen. Ist das nicht der Fall - hier reichen bereits Abweichungen von Sekundenbruchteilen -, stört dies die Aufmerksamkeit der Teilnehmer und beeinträchtigt die Produktivität des Meetings. Es lohnt sich deshalb für Unternehmen, wenn sie virtuelle Meetings nicht einfach im "offenen Internet" abhalten, sondern Plattformen erfahrener Dienstleister benutzen, auch wenn der Zugang über das Web erfolgt.

7) Konsequent wirtschaftlich denken und handeln

Die Schaffung von Home Offices und anderen mobilen Arbeitsformen hat nichts mit sozialem Engagement zu tun. Es geht um messbare wirtschaftliche Vorteile. Mitarbeiter und Büros sind in vielen Firmen die größten Posten in der Bilanz. Durch einen Mix aus Home Office, Großraumbüros, Besprechungs- und Teamräumen lassen sich die Ausgaben in dem Bereich um zehn bis 20 Prozent senken. Wichtig ist, die Kosten für die mobile Nutzung der Geräte im Griff zu behalten.

Nicola Millards Ratschläge basieren auf ihrer Erfahrung mit der Einführung von "Agile Working" als Firmenkultur bei BT. So arbeiten in Deutschland derzeit 17 Prozent der BT-Mitarbeiter überwiegend im Home Office. Insgesamt nutzen zwei Drittel der Kollegen die Möglichkeit, gelegentlich oder regelmäßig von zu Hause oder unterwegs zu arbeiten. Dabei können sie zwischen drei Alternativen wählen: Entweder arbeiten sie ein bis zwei Tage die Woche von zu Hause aus oder 40 bis 60 Prozent oder mehr als 60 Prozent der Arbeitszeit. "BT misst die Mitarbeiter an ihren Leistungen und Ergebnissen. Dafür erhält jeder Mitarbeiter seine Zielvereinbarung. In Abstimmung mit dem Vorgesetzten können die Kollegen das für sie passende Arbeitszeitmodell wählen", erklärt Constanze Dressler aus der BT-Personalabteilung.

Diese Flexibilität ist entscheidend. Selbst perfekte Arbeitsbedingungen im Home Office sind allein kein Garant dafür, dass die Mitarbeiter dort dauerhaft zufriedener und produktiver arbeiten oder seltener krank sind. Um solche Vorteile in der Praxis zu realisieren, müssen die Kollegen in die Gemeinschaft des Unternehmens eingebunden werden. Das gelingt durch regelmäßige Teilnahme an Besprechungen im Firmengebäude, gemeinsame Workshops oder auch die Möglichkeit, bestimmte Tätigkeiten im Unternehmen zu verrichten und dabei in Teeküche, Cafeteria und Aufenthaltsräumen am gesellschaftlichen Leben mit den Kollegen teilzunehmen. Das Aussterben des Firmenbüros bis 2021 ist also noch nicht besiegelt. (am

Uwe Küll ist freier Journalist in München.

Die Tabus im Home Office

Dank moderner Technik sind Mitarbeiter im Home Office virtuell mit der ganzen Welt verbunden. Spätestens dann, wenn aus dem heimischen Büro Tele- oder Videokonferenzen geführt werden, wird der Arbeitsplatz zum öffentlichen Raum. Dementsprechend ist auch am heimischen Schreibtisch alles tabu, was unprofessionell wirken könnte:

Kinderlärm stört nicht nur die Gesprächsteilnehmer, sondern signalisiert ihnen auch, dass der Heimarbeiter ihnen nicht seine volle Aufmerksamkeit widmet. Bei fest terminierten Telekonferenzen sollten die Kinder außer Hörweite sein.

Hundegebell oder andere Geräusche von Haustieren schaden dem professionellen Image.

Essen während eines Meetings vermeiden! Bei Telefonen mit Stummschaltung erscheint dieser Ratschlag überflüssig, aber was, wenn der Teilnehmer mitten in einem herzhaften Bissen direkt angesprochen wird?

Fernseher oder Radiogeräusche im Hintergrund lenken ab und wirken unprofessionell.

Keine Hausarbeit während des Gesprächs erledigen - vielleicht stört die Waschmaschine im Hintergrund nicht mehr als der Fluglärm aus dem Handy des Kunden, aber der Image-Schaden ist unvergleichlich höher!

Ein leerer Akku ist immer ärgerlich für alle Beteiligten. Im Büro ist er obendrein peinlich.

Die private Ansage auf dem Anrufbeantworter "Hier ist die Familie ..." ruft immer Verwirrung hervor. Deshalb sollte das Bürotelefon auch nicht kurzfristig auf den Privatanschluss weitergeleitet werden.

Der Verzicht auf den Faxanschluss zu Hause ist eine grobe Unhöflichkeit gegenüber allen Faxbenutzern - und davon gibt es immer noch viele. Wer Papier sparen möchte, sollte zumindest einen digitalen Faxempfang im Home Office sicherstellen.

Nicht im Schlafanzug oder in der Badehose arbeiten. Ordentliche Kleidung fördert die Konzentration.

Wichtig vor der Videokonferenz: Einmal umdrehen und das Blickfeld der Kamera kontrollieren. Die Zeiten, als leere Pizzaschachteln noch für hohen Arbeitseinsatz standen, sind endgültig vorbei.