Business as usual statt Innovationen

Ist Apple der langweiligste Smartphone-Hersteller der Welt?

07.09.2022
Von 
Steffen Zellfelder ist freier Diplom-Journalist (FH) aus Bonn. Als Experte für Trends und Themen aus den Bereichen Software, Internet und Zukunftstechnologie konzentriert er sich auf die Schnittstelle zwischen Mensch und IT.
Wenn Apple früher neue Produkte vorgestellt hat, konnten sich die Zuschauer vor Begeisterung kaum halten. Heute fehlt solchen Präsentationen jeder Nervenkitzel. Hat der Tech-Riese aus dem Silicon Valley seinen Schneid verloren?
Ist Apple der langweiligste Smartphone-Hersteller?
Ist Apple der langweiligste Smartphone-Hersteller?
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Als Steve Jobs am 9. Januar 2007 das erste iPhone präsentierte, hat sich die Welt verändert. Zwar hatten Hersteller wie Nokia, Blackberry oder Motorola schon vorher so etwas wie ein Smartphone auf den Markt gebracht (etwa Nokias „ Communicator“ bereits im Jahr 1996) – doch erst Apple leitete eine echte Revolution auf dem Verbrauchermarkt ein. Und zwar mit Innovativen, die den Zeitgeist damals ins Mark getroffen haben: Beim Internetzugang, den Telefonfunktionen und als Musik-Player setzte das erste iPhone völlig neue Maßstäbe.

Doch wo sind diese technologischen Meilensteine heute? Haben die Kalifornier mit Ihrem Jahresumsatz von fast 400 Milliarden US-Dollar kein Gespür mehr für Trends und für den Puls der Zeit? In Anbetracht der immer gleichen Produktserien sieht es zumindest so aus. Der Konzern aus Cupertino will seine ausgetretenen Pfade kaum noch verlassen, Sonderwünsche werden ungern bedient.

Oder haben Sie schon einmal von einem Outdoor- oder von einem Gaming-iPhone gehört? Wir auch nicht. Apple-Kunden können bestenfalls zu einer dicken Hülle greifen, um die Geräte zumindest halbwegs Outdoor-tauglich zu machen. Wie langweilig. Besonderen Spielspaß versprechen die Apple-Handys ebenfalls nicht.

Auch ein faltbares iPhone ist bei Apple noch ferne Zukunftsmusik, während Android-Nutzer solche Gadgets längst kaufen können. Dazu kommt die Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten im Android-Universum. Größe, Farben, Preise, Spezifikationen oder Designs – aktuell gibt es rund 1300 Marken für mehr als 24.000 verschiedene Android-Modelle.

Dass das iPhone immer langweiliger wird, hat verschiedene Gründe. Die betreffen aber einen großen Teil der Apple-Produktpalette.

Apple hat fast alles – nur keinen Wettbewerbsdruck

Eine zentrale Regel der Marktwirtschaft lautet, dass Konkurrenz den Konsumenten dient. Denn sie drückt nicht nur Preise, indem sie Hersteller zu wirtschaftlichem Handeln zwingt. Sie fördert auch Innovation und Fortschritt, weil der Umsatz steigt, wenn man sich von Mitbewerbern durch neue und bessere Ideen abhebt. Aber mit wem konkurriert Apple überhaupt noch? Eigentlich nur noch mit sich selbst.

Apples Smartwatch ist dafür ein gutes Beispiel. Auch wenn die neue Watch 8 erst am 7. September vorgestellt wird, kann man heute schon davon ausgehen, dass es die wohl beste Smartwatch der Welt sein wird. Das Problem: Damit löst sie die bisher beste Smartwatch ab, die in Form der Watch 7ebenfalls von Apple stammt. So haben die Entwickler wenig Anlass, mutige Schritte in neue Richtungen zu tun – man hält lieber am bewährten System fest und optimiert ein paar Komponenten. Klar, aus wirtschaftlicher Sicht ergibt das Sinn: Wieso ein Wagnis eingehen, wenn die Profite ja quasi schon garantiert sind. Besonders spannend ist das freilich nicht.

Das Gleiche gilt auch für Apples iPad, das iPad Mini und das iPhone 13. Als Konkurrenzprodukte fallen einem da Chromebooks oder die Surface-Reihe von Microsoft ein. Wir denken an das Galaxy S22 Ultra oder das OnePlus 10 Pro – doch keines dieser Produkte kann seinem Pendant mit Blick auf das gesamte Apple-Portfolio und -Ökosystemwirklich das Wasser reichen. Da wundert es nicht, dass auch bei den pompös inszenierten Produktpräsentationen der Kalifornier immer die gleichen Schlagworte fallen: Bessere Kamera, schnellere CPU und noch tollere Displays. Hatte Steve Jobs bei seiner Vorstellung des ersten iPhones noch 14-mal das Wort „revolutionär“ bemüht, scheint Apple die Vokabel heute längst gestrichen zu haben.

Wo ist der Nervenkitzel?

Wer sich zum Release neuer Produkte früher in die Schlange vor dem Apple Store stellte, der wurde Teil von etwas völlig Neuem. Bei der Gestaltung seiner Geräte hat sich das Unternehmen damals nicht nur am Puls der Zeit orientiert, es hat ihn vorgegeben. Vom ersten Macintosh über den iPod bis hin zum iPhone: Apple hat immer wieder Geräte entwickelt, von denen viele Nutzer noch gar nicht wussten, wie dringend sie diese haben möchten.

Die Liste geht weiter: Ob iPad, Macbook, Airpods oder die Apple Watch – wer diese Geniestreiche der Alltagselektronik zum ersten Mal in Händen hielt, der erlebte eine kleine technologische Offenbarung. Und heute, wo ist der Nervenkitzel? Wann kommt endlich die nächste Lifestyle-Revolution, die wir von Apple doch so gewohnt sind?

Vielleicht ist der Tech-Gigant Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Man ist so sehr daran gewöhnt, dass Apple den Innovations-Ofen schürt, dass man beinahe Entzugserscheinungen bekommt, wenn die Konzernspitze keine neuen Meilensteine enthüllt. Wenn man das Rad aber schon erfunden hat, wie soll man dann immer wieder einen draufsetzen?

Womöglich trägt auch Apples neuer CEO Tim Cook seinen Teil dazu bei, dass man sich bei Apple nichts wirklich Neues mehr traut. Dafür spricht auch die bissige Kritik, die ein ehemaliger Mitarbeiter am heutigen Konzernchef übt. Bob Burrough, seinerseits sieben Jahre lang als Ingenieur für Apple tätig, warf Cook nämlich vor, das Unternehmen von einem „dynamischen Veränderer in ein langweiliges Betriebsunternehmen“ verwandelt zu haben.

Burrough zufolge gibt es unter Cook zwar weniger interne Konflikte im Konzern – das sei aber nicht unbedingt eine gute Sache. In einem Interview für CNBC erzählte er vom „Chaos“ bei Apple unter Steve Jobs – doch daraus seien eben auch kreative Ideen und neuartige Produkte erwachsen – das erste iPhone zum Beispiel. Man habe sich damals mehr mit Projekten befasst und weniger mit dem Erfolg des Unternehmens aus wirtschaftlicher Sicht.

Die Aktionäre von Apple würden sich solcher Kritik wohl kaum, schließlich ist der Konzern unter Cook zu einem der reichsten Unternehmen der Welt geworden. Seit seiner Übernahme hat sich der Jahresumsatz fast vervierfacht.

Langeweile, die sich (leider?) auszahlt

Wer abends nicht müde wird, der muss sich eigentlich nur das aktuelle iPhone SE ansehen, das bringt einen nämlich garantiert zum Gähnen. Im Vergleich zu Vorgängermodellen hat Apple dabei zwar ein paar Funktionen überholt und das Gerät auf die Höhe der Zeit gebracht. Am Design hat sich aber seit fünf Jahren fast nichts geändert, nicht einmal Ultrabreitband hat man dem Smartphone spendiert.

Im Prinzip ist das Handy also eine technisch solide Schlaftablette, für die sich kaum jemand in eine Schlange vor dem Apple Store stellen würde. Einer cleveren Strategie folgt man damit trotzdem: Denn Apple hat mit dem Gerät vor allem jüngere Nutzer oder deren Eltern im Visier, wenn die dem Nachwuchs ein neues Mobilgerät kaufen möchten. Das sind überwiegend also Kunden, denen ein fast vierstelliger Betrag für das neueste iPhone zu hoch ist. Das iPhone SE gibt es schon für den halben Preis.

Der Schachzug: Man gewöhnt junge Nutzer mit vergleichsweise preiswerten Geräten möglichst früh ans Apple-Ökosystem. Erhöht sich dann in ein paar Jahren deren Kaufkraft, werden sie schon zu neuen und deutlich teureren Produktreihen greifen. Und diese Rechnung könnte aufgehen, denn mit dem aktuellen A15 Bionic Chip von Apple ist das iPhone SE schneller als alle Android-Konkurrenten und zieht auch mit dem aktuellen iPhone 13 gleich. Es ist also ein richtig gutes Angebot.

Auch daraus lassen sich aber wieder schlechte Nachricht für alle ableiten, die sich spannende Quantensprünge in der mobilen Tech-Welt wünschen: Aktuell zahlen sich mutige Manöver oder gewagte Innovationen für Apple einfach weniger aus, als an bewährten Produktreihen festzuhalten und diese Jahr für Jahr ein bisschen besser zu machen. So kann man auch mit Langeweile Erfolg haben – leider. (Macwelt)