ISO 10303 - Stand der Technik Step auf der Systec '94: Norm steht kurz vor der Produktreife

30.09.1994

Von Bodo Machner*

Die Verbesserung der Kommunikation im Unternehmen selbst, mit Zulieferern und mit Kunden ist ein noch ungenuegend genutztes Rationalisierungspotential in der europaeischen Fertigungsindustrie. Mittels Breitbanddatennetzen soll diese Datenkommunikation ueber sogenannte Datenautobahnen zukuenftig schnell und reibungslos ablaufen. Diese Information-Highways bringen aber nur dann die gewuenschten Effekte, wenn auf allen Ebenen der Kommunikation die Daten nach genormten Vorschriften beschrieben, verpackt, transportiert, ausgepackt und weiterverarbeitet werden koennen.

Fuer die zunehmend kommunikationsintensiven Prozessketten in der Entwicklung und Fertigung sind insbesondere genormte Vereinbarungen zur Beschreibung der Produkt- und Prozessdaten von grosser Bedeutung.

Diese beiden Datentypen werden heute in unterschiedlichen, nicht kompatiblen Formaten von CAD/CAM-, Stuecklisten- und Planungssystemen erzeugt, verwaltet und verarbeitet. Aufwendige Konvertierungsprozesse mit Datenverlusten und manueller Nacharbeit sind daher die taegliche Praxis, um Produktdaten im Unternehmen und mit externen Partnern auszutauschen. Die Unhaltbarkeit dieser Situation angesichts der modernen Uebertragungsmedien ist ueberdeutlich.

Bisherige Standards waren nur Teilerfolge

Die Loesung dieses Widerspruches erfordert die Beschreibung der Produktdaten nach einem international abgestimmten Datenformat. Erste Erfolge gelangen mit den Schnittstellen-Standards Initial Graphics Exchange Specification (Iges), Verband der Automobilindustrie - Flaechenschnittstelle (VDAFS) und Standard d' Exchange et de Transfer (SET). Diese nationalen oder branchenspezifischen Festlegungen betreffen aber nur einen Teil der Produktbeschreibung.

Aus diesem Grund wurde bereits vor rund zehn Jahren mit der Entwicklung der neuen internationalen Norm Step zur Produktdatenbeschreibung begonnen. Step ist die Abkuerzung fuer "Standard for the Exchange of Product Model Data" und wird allgemein als Synonym fuer die neue Normenreihe ISO 10303 verwendet. Step beschreibt alle produktdefinierenden Informationen: geometrische und nichtgeometrische Daten (etwa zur Produktstruktur sowie technologische und administrative Daten). Eine Sprache zur Beschreibung der standardisierten Daten ist ebenfalls Bestandteil der Norm. Sie ist allgemein unter dem Namen "Express" bekannt und wurde als Norm ISO 10303-11 bereits veroeffentlicht. Diese Sprache ermoeglicht die Trennung von Inhalt und Beschreibungsmittel sowie die Trennung von logischer Beschreibung und Implementierung. Das gleiche Modell ist dadurch verwendbar fuer den Datenaustausch mittels sequentieller Datei, die Datenintegration mittels Datenbank oder die Langzeitarchivierung.

Ein Produktdatenmodell ist in der Regel anwendungsspezifisch etwa fuer Branchen wie die Automobilindustrie, den Schiffbau oder die Prozessindustrie. Step beinhaltet die Methodik zur Entwicklung dieser sogenannten Anwendungsdatenmodelle (Application Protocols), die das Anforderungsprofil der Anwendung widerspiegeln. Sie werden auf Grundlage genormter Kernmodelle definiert. Die formale Spezifikation des Anwendungsdatenmodells in der Sprache Express ist die Grundlage der Implementierung. Step hat fuer erste Umfaenge seit 1993 den Status einer ISO-Vornorm und wird in diesem Jahr als International Standard (IS) veroeffentlicht.

Weitere Teilumfaenge, die fuer die Produktbeschreibung notwendig sind, werden derzeit entwickelt.

Um diese neue, auf Step basierende Technologie in die Praxis umzusetzen, gruendeten die Unternehmen BMW, Bosch, Mercedes-Benz, Opel, Siemens und VW die Prostep Organisation. Aus einem Verbundprojekt entstanden der Prostep Verein zur Foerderung internationaler Produktdatennormen e.V. und die Prostep Produktdatentechnologie GmbH. Der Prostep Verein hat zur Zeit etwa 70 Mitgliederfirmen.

Der erste Schritt fuer die erfolgreiche Anwendung der Step- basierten Produktdatentechnologie ist die Entwicklung genormter Anwendungsdatenmodelle (Application Protocols = APs). Mit dem Anwendungsdatenmodell ISO 10303-214 (AP214) "Core Data for Automotive Mechanical Design Processes" wird erstmals eine genormte Beschreibung der Daten fuer bisher getrennt betrachtete Prozesskettenabschnitte in der Fertigungsindustrie vorliegen. AP214 ist eine Initiative der Automobilindustrie und wird von Prostep in Zusammenarbeit mit VDA und in Abstimmung mit Industriekonsortien wie PDES Inc. und Aiag

(USA), Galia (Frankreich), Jama (Japan) sowie europaeischen Forschungsprojekten entwickelt und durch die ISO genormt. Darin werden die Produktdaten fuer mechanische Teile und Baugruppen in der Automobilentwicklung beschrieben. AP214 umfasst folgende Teilmodelle:

- Struktur und Konfigurierung fuer Produkte, Baugruppen, Teile und Betriebsmittel,

- Methodenplaene,

- Geometrie und Topologie,

- technische Zeichnungen,

- Modelle fuer kinematische und dynamische Berechnungen und die Finite-Elemente-Methode,

- Material- und Oberflaechen,

- Toleranzangaben sowie

- Dokumente.

Fuer die Beschreibung der elektrischen Komponenten des Fahrzeugs wird zukuenftig das Application Protocol 212 "Electrotechnical Plants" verwendet werden.

Zur Einfuehrung von Step in die industrielle Anwendung wurden zunaechst im Rahmen der Prostep-Initiative und in enger Zusammenarbeit mit den Anwendern durch die Systemanbieter Step- Schnittstellen zu den heute in der Automobilindustrie gaengigen CAD-Systemen implementiert. Ziel war es, den Datenaustausch zukuenftig ueber Step abzuwickeln. Der Datenaustausch auf Step-Basis zwischen zehn verschiedenen CAD/CAM-Systemen wird auf der Muenchner Systec im Oktober dieses Jahres erstmals demonstriert werden. Die Produkte werden in Kuerze auf dem Markt verfuegbar sein.

Weit groessere Effekte lassen sich durch die Anwendung der Step- Datenmodelle zur Beschreibung von Produktdatenbanken erzielen, denn im Laufe der letzten Jahrzehnte haben die Unternehmen firmenspezifische Loesungen fuer die Verwaltung und Verarbeitung von Produktdaten entwickelt und so inkompatible Inselloesungen geschaffen. Auch die Integrationsfaehigkeit heutiger EDM-Systeme ist begrenzt, da diese eigene, proprietaere Datenformate verwenden und den Anwender noch staerker an ein System fesseln. Die Verwendung eines genormten Anwendungsdatenmodells wie AP214 als logisches Modell unternehmensweiter EDM-Konzepte bedarf zunaechst der Unterstuetzung durch die am Markt erhaeltlichen Anwendungssysteme und EDM-Loesungen.

Auf der Basis von international durch die Anwender genormten Produktdatenmodellen werden EDM-Systeme zu wirklichen Integrationswerkzeugen in der Fertigungsindustrie. Die zusaetzliche Beruecksichtigung von Implementierungsstandards erlaubt dann ein Plug and play von Anwendungs- und Datenverwaltungssystemen und so die Auswahl von DV-Systemen nach funktionellen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

Zur Verwirklichung dieses Konzepts hat die Automobil- und Elektroindustrie das Verbundprojekt "Step-basierte Produktdatenmodellierung und Implementierung (Step/PDMI)" initiiert. Darin sollen im Zeitraum von 1994 bis 1996 Prototypen AP214-basierter EDM-Systeme entwickelt werden. Ausserdem will man Schnittstellen zu den am Markt verfuegbaren EDM- und CAD/CAM- Systemen bereitstellen und die Entwicklung einer neuen Generation Step-basierter EDM-Loesungen initiieren. Auch hierbei arbeiten Anwender und Anbieter eng zusammen. AU Ueberhorst, Stefan und Machner, Bodo