Die Bundespost auf dem Weg zum digitalen integrierten Netz

ISDN fördert neue Dienste und Dienstmerkmale

29.06.1984

Das ISDN (Integrated Services Digital Network) ist gekennzeichnet durch eine transparent übermittelte Bitrate von 64 KBit/s. Sie kann damit als Träger für alle jene Fernmeldedienste herangezogen werden, deren Informationsfluß in digitaler Form übertragen werden kann und bei denen die 64 KBit/s als Bitrate hierfür ausreichen. Hier soll aus Gründen der Vereinfachung lediglich zwischen bisherigen und neuen Diensten unterschieden werden.

Wegen der Bitrate von 64 KBit/s kann mit dem ISDN eine neue Generation von Diensten geschaffen werden, die optimiert ist für diese Übertragungsgeschwindigkeit. Dadurch, daß alle im ISDN eingesetzten Dienste dieselbe Zeichengabe auf der Teilnehmeranschlußleitung, das sogenannte D-Kanal-Protokoll, und eine einheitliche Bitrate für die Nutzinformation verwenden, dürfte sich insbesondere bei den Endgeräten aufgrund der Vereinheitlichung und der damit möglichen Massenproduktion eine Kostenreduzierung ergeben. Insbesondere bieten sich im ISDN folgende neue Dienste an:

ISDN-Fernsprechen

Das ISDN-Fernsprechen bietet zunächst gegenüber heute eine wesentlich bessere Sprachqualität, die bis zur Stereofähigkeit für hochwertige Audiokonferenz entwicklungsfähig ist. Aufgrund der vielfältigen Leistungsmerkmale des digitalen Fernsprechnetzes und der digitalen Teilnehmeranschlußleitung kann darüber hinaus im ISDN-Fernsprechdienst eine Fülle von neuen Dienstmerkmalen angeboten werden.

ISDN-Datenübertragung

Die Bitrate von 64 KBit/s eröffnet für das Übertragen von Daten eine Vielfalt neuer Möglichkeiten. Mit 64 KBit/s steht ein außerordentlich leistungsfähiger Übertragungsweg zur Verfügung, der ein Vielfaches dessen übertragen kann, was heute üblich ist. Eine gebührengünstige ISDN-Standard-Datenübertragung mit 64 KBit/s wird dazu beitragen, die derzeitige Vielfalt an relativ teuren Übertragungsgeschwindigkeiten "auszutrocknen" und zu verringern. Dies dürfte mittelfristig zu einer spürbaren Dienst- und Produktbereinigung führen.

Im geschäftlichen Bereich wird die 64-KBit/s-Datenübertragung die Bürokommunikation prägen. In den privaten Haushalten eröffnen sich neue Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel durch den Anschluß von Heimcomputern für Fortbildungsprogramme, Haushaltsführung, Steuererklärungen etc.

ISDN-Bildschirmtext

Der Dienst Bildschirmtext wird ebenfalls von der höheren Übertragungsgeschwindigkeit durch bessere Bildauflösung und schnellere Bildaufbauzeiten profitieren. Mit 64 KBit/s können die im neuen Bildschirmtext-Standard enthaltenen, zur Zeit noch ungenutzten Möglichkeiten, erst verwirklicht werden.

Die Prognosen sagen für den heutigen Bildschirmtextdienst derart große Zuwachsraten vorher, daß verhältnismäßig schnell mit einer hohen Versorgung aller Haushalte gerechnet werden kann. Schließlich hat im Mittel bereits heute fast jeder Haushalt sowohl einen Fernseh- als auch einen Fernsprechanschluß. Damit ist wahrscheinlich der Bildschirmtextdienst kurz- bis mittelfristig geradezu prädestiniert, zusammen mit dem Fernsprechdienst über den ISDN-Basisanschluß angeboten zu werden. Der heutige Doppelanschluß findet im ISDN-Basisanschluß seine technische moderne Realisierung.

ISDN-Textübertragung

Zur Zeit findet die schnellste Textübertragung im Teletex-Dienst statt. Mit einer Bitrate von 2,4 KBit/s werden etwa zehn Sekunden für das Übermitteln einer DIN-A4-Seite benötigt. Bei 64 KBit/s wird der attraktive Wert "kleiner als eine Sekunde" bei geringeren Kosten (Gebühren) erreicht. Der 64-KBit/s-Textdienst wird sich besonders für die künftige moderne Bürokommunikation eignen. Dienst- und Netzübergänge zu den Telex- beziehungsweise Teletexdiensten werden voraussichtlich für die Übergangszeit bis zum "Austrocknen" dieser Dienste angeboten wenn es sich wirtschaftlich erweist. Für den Privatbereich ist ein ISDN Heimterminal denkbar, das auf eine Tastatur verzichtet und statt dessen auf einem Handschrifttableau mit dem "elektronischen Griffel" dem fernen Kommunikationspartner einen "Bildschirmzettel" zukommen läßt. In Verbindung mit Mailbox-Diensten als Netzdienstleistung kann abwesenden Gesprächspartnern eine handschriftliche Notiz hinterlassen werden.

ISDN-Telefax

Die heutigen Telefaxdienste leiden ganz erheblich darunter, daß für das Übermitteln einer DIN-A4-Seite noch eine Minute oder mehr benötigt werden. Damit ist der Telefaxdienst zur Zeit noch keine gute Ergänzung des Fernsprechdienstes. Im ISDN sieht es dagegen wesentlich günstiger aus: Mit der ISDN-Bitrate werden etwa nur noch ein bis zehn Sekunden für das Fernkopieren einer DlN-A4-Seite gebraucht. Mit dieser Übertragungsgeschwindigkeit eröffnen sich weitere Anwendungsmöglichkeiten, insbesondere im Bereich der Bürokommunikation. ISDN-Telefax wird zum Beispiel zur gesprächsbegleitenden Ergänzung, die ohne Beeinträchtigung der Sprechverbindung auf dem zweiten Basiskanal des ISDN-Anschlusses übertragen wird.

Wenn man einmal berücksichtigt, welche lawinenartige Entwicklung das ortsgebundene Kopieren in den Büros durchlaufen hat, darf man annehmen, daß sich auch ein schnelles Telefax ähnlich rasant im ISDN entwickeln wird.

Das ISDN-Telefax - eine Kombination von Text- und Faksimileübertragung - wird schließlich nach seiner Standardisierung und Massenfertigung die Bürokommunikation vollends revolutionieren.

ISDN-Bildübertragung

Ähnliches wie für den Kopierdienst gilt für das Übertragen von (Fest-)Bildern. Mit Hilfe der 64 KBit/s dürfte es im ISDN auch möglich sein, langsame Bewegtbilder (slow motion), zum Beispiel alle vier Sekunden ein neues Bild, sowie Grafiken auch farbig zu übermitteln. Da im ISDN-Zeitalter der 90er Jahre viele Privathaushalte über eine Videokamera verfügen dürften, kann man sich vorstellen, daß als gesprächsbegleitende Information alle paar Sekunden ein neues Standbild des Gesprächspartners oder ein langsames Bewegtbild ein attraktiver Komfortzusatz zu Fernsprechgebühren werden kann.

Auch im geschäftlichen Bereich dürfte ein Großteil des Bedarfs an Bildfernsprechen und Videokonferenz diese 64-KBit/s-Bildübertragung zu Fernsprechgebühren einer x-fach teureren Bildübertragung im 2-, 34-, 70- oder 140-MBit/s-Bereich vorziehen. Da daneben nur wenig privater Bildfernsprechbedarf zu erwarten ist, muß es sich erst noch zeigen, wie groß die echte zahlungswillige Nachfrage nach einem späteren Breitband-ISDN noch sein wird.

Schmalband- und Breitband-ISDN werden hier vermutlich um denselben schmalen Marktsektor im Wettstreit liegen. Da man sich in der modernen ISDN-Kommunikation beim Gespräch alle Arten von Texten, Grafiken, Dokumenten oder handschriftlichen Aufzeichnungen in Sekundenschnelle "über den Tisch" reichen kann, als säße einem der Gesprächspartner körperlich gegenüber, muß sich in der Praxis zeigen welcher Bedarf noch für eine "Face-to-Face"-Übertragung bleibt.

ISDN-Temex

Hinter dem Begriff "Temex" (Telemetry exchange) verbirgt sich des Fernwirken in Anwendungsgebieten wie

- Alarme

- Fernüberwachen

- Fernsteuern

- Zählerablesen

Die Deutsche Bundespost leitet zur Zeit die Temex-Dienste im herkömmlichen Fernsprechnetz ein und wird sie später auch im ISDN - wesentlich leistungsfähiger - anbieten.

Übernahme bestehender Dienste in das ISDN

Grundsätzlich kommen auch alle bestehenden Fernmeldedienste für das ISDN in Betracht, solange sie mit der Bitrate von 64 KBit/s übertragbar sind. Es bietet sich an, daß insbesondere jene Dienste, die bisher schon im analogen Fernsprechnetz geführt werden, auch auf das ISDN übernommen werden. Hierzu gehören: Fernsprechen, Datenübertragung, Fernkopieren sowie der Zugang zu Bildschirmtext. Zur Zeit wird noch untersucht, inwieweit Nichtfernsprechdienste, zum Beispiel Datendienste gemäß Benutzerklasse X.1, Telex, Teletex, Datex-P, aus dem bestehenden Daten- und Fernschreibnetz der Deutschen Bundespost wirtschaftlich im ISDN angeboten werden können.

Ministerialdirektor Dipl.-Ing. Helmut Schön ist Abteilungsleiter Fernmeldewesen im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen in Bonn. Der vorliegende Beitrag ist Teil eines Referates, das auf der "telematica" in Stuttgart gehalten wurde. Der Gesamtvortrag ist enthalten in: Wolfgang Kaiser (Hg.): telematica Kongreßband Teil 3, Stuttgart 1984, Seite 56-84.