X.25 und ISDN: Erfahrung kontra Nutzenoptimierung

ISDN erleichtert die Umsetzung vieler strategischer Massnahmen

07.05.1993

Fuer eine rosige ISDN-Zukunft sprechen nicht nur einzelne Markterhebungen, sondern auch die steigende Zahl von Pilotprojekten und das zunehmende Engagement der Hersteller und Softwarehaeuser. Vor allem sind es jedoch sachliche Argumente, die in den Augen der Anwender inzwischen deutlich an Ueberzeugungskraft gewonnen haben und ISDN nach einer lang anhaltenden Akzeptanzschwaeche nun offenbar den Weg in eine gesicherte Zukunft ebnen - trotz des etablierten X.25, das technisch sehr ausgereift ist und seit Jahren die Basis unterschiedlichster Kommunikationsloesungen bildet. Der Erfolg der X.25- Paketvermittlung beruht in erster Linie auf der vom CCITT international genormten Empfehlung, die einen weltweiten Uebergang zu ueber 160 verschiedenen X.25-Netzen ermoeglicht.

X.25 bietet mehr Sicherheit als ISDN

Dies ist ein Aspekt, der heutzutage gerade durch die fortschreitende Globalisierung der Maerkte mehr denn je den Wert eines Dienstes beziehungsweise dessen Standing im TK-Markt bestimmt. Das digitale ISDN hat hingegen noch nicht einmal die Huerde "Euro-ISDN" genommen. Gleichzeitig steht der zukuenftige Kommunikationsstandard aber auch noch aus einem anderen Grund im Schatten von X.25, naemlich in puncto Sicherheit. Basierend auf dem HDLC-Protokoll mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 109 nehmen auch hier X.25-Netze eindeutig die Spitzenposition ein. Da ISDN urspruenglich als Sprach- und nicht als Datennetz konzipiert wurde, muss es sich mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 106 bescheiden. Statistische

Differenzen dieser Groessenordnung erhoehen zwar im Regelfall nicht wesentlich das reale Risiko, fuer Unternehmen mit sehr sensiblem Datenmaterial kann ein Optimum an Sicherheit durchaus ein relevantes Entscheidungskriterium darstellen.

Will man ISDN mit X.25 vergleichen, ist auch die Frage der Wirtschaftlichkeit zu pruefen. Nicht umsonst beklagen die Anwender seit langem die Gebuehrenpolitik der Deutschen Bundespost Telekom bei den Mietleitungstarifen beziehungsweise Festverbindungen und fuehren die im Vergleich weitaus guenstigeren Tarife im Ausland ins Feld. In diesem Zusammenhang koennte also den Datex-P-Anwendern ISDN als kostendaempfende Alternative gerade recht kommen.

Immerhin zeigen Gebuehrenvergleiche, dass der renommierte X.25-Dienst in vielen Faellen unguenstiger abschneidet als ISDN.

Dies gilt vor allem fuer Anwendungsbereiche, wo in relativ kurzer Zeit ein grosses Datenvolumen uebertragen werden soll; auch dann, wenn sowohl die teure Weitzone im ISDN als auch der guenstigste Datex-P-Tarif zugrunde gelegt wird. Diese Kalkulation stimmt jedoch dann nicht mehr, wenn die Verbindung relativ lange bestehen bleiben muss und verhaeltnismaessig wenig Daten uebertragen werden. Hier erweist sich in aller Regel X.25 als die kostenguenstigere Alternative.

Unabhaengig davon taeuschen mathematische Kostenvergleiche darueber hinweg, dass Entscheidungen pro und kontra ein Medium fuer die Datenuebertragung nicht pauschal oder anhand von Modellrechnungen getroffen werden koennen. Erst die genaue Betrachtung der individuellen Situation macht konkrete Aussagen moeglich, bei denen etwa auch das Verhaeltnis von monatlichen Grundgebuehren und Zeit- beziehungsweise Mengentarifen zu betrachten waere.

Ebenso muss beantwortet werden, wie sich etwa diese Relationen auf veraenderte Datenvolumina auswirken und welche Gewichtung die guenstigen Uebertragungskosten gegenueber niedrigen Grundgebuehren bekommen sollen.

Obgleich diese Zahlenspiele interessante Modelle und Alternativen aufzeigen, nehmen monetaere Aspekte in der Rangordnung der Auswahlkriterien nicht unbedingt die vorderste Position ein. Vielmehr steht das Anforderungsprofil des Anwenders im Vordergrund, das letztlich ein differenziertes Bild der jeweiligen Bedarfsstruktur wiedergibt. Folglich bestimmt also eine Vielzahl Faktoren die Entscheidung fuer einen bestimmten Datendienst. Dazu gehoeren unter anderem das Spektrum der Anwendungen (einschliesslich der Optionen fuer zukuenftige Kommunikations-Erfordernisse und spezifischer Anforderungen wie dialog- oder batch-orientierter Datenaustausch), die Struktur der geographischen Verteilung - vor allem in bezug auf eine moegliche internationale Datenuebertragung - sowie eine variable, sich staendig veraendernde Datenmenge.

Weitere Entscheidungskriterien sind die Zahl der Teilnehmer (geordnet nach Anwendungen, Datenvolumen und Zahl der gleichzeitigen Benutzer), der Bedarf an einem schnellen Verbindungsaufbau und kurzen Antwortzeiten, Ansprueche in puncto Zugangsschutz und allgemeiner Sicherheit sowie das technische Umfeld. Angesichts eines solchen Szenarios kann die Schlussfolgerung nur lauten, unter Beruecksichtigung spezifischer Anwenderbedingungen und Wirtschaftlichkeitsvergleiche die Nutzenoptimierung in den Mittelpunkt zu stellen. Geschieht dies, spricht zumindest optional vieles fuer ISDN.

Dies gilt zum einen fuer seinen diensteintegrierenden Charakter, Services wie Telefax, Datenfernuebertragung, Teletex, das Telefonieren, Bildschirmtext, Bild- und Tonuebertragung auf ein Medium zu konzentrieren. Zudem stellt ISDN mit seinen zwei B- Kanaelen eine - im Vergleich zu X.25 - doppelte Uebertragungsrate zur Verfuegung, die die gleichzeitige Daten- und Sprachuebermittlung ueber eine einzige Leitung sowie einen schnellen Verbindungsaufbau in weniger als zwei Sekunden ermoeglicht; abgesehen davon, dass mit dem Einsatz von ISDN auch das Tor zur Multimedia-Welt weit geoeffnet wird.

Eine ganz besonders grosse Rolle bei der Abwaegung von Vorteilen spielt aber der Integrationsaspekt, da alle ISDN-Dienste und - Anwendungen aus einer einzigen genormten Kommunikationssteckdose zu beziehen sind. Vorteil: Statt unterschiedlicher Uebertragungsverfahren (Modem-, Telematik- und sonstige Protokolle) gilt ein einheitliches Basisverfahren. Eine attraktive Begleiterscheinung ist zudem - eine entsprechende Anschlussquote vorausgesetzt - die digitale Datenuebertragung von praktisch jedem beliebigen Standort aus. Gerade letzteres kommt dem rasch steigenden Bedarf an mobiler Kommunikation und Integration in geographisch entfernte Rechnernetze entgegen.

Fuer ISDN spricht die einfache Anwendung

Generell muss man sich im Zusammenhang mit ISDN aber auch mit der Realisierung strategischer Massnahmen im Unternehmen auseinandersetzen. Das Stichwort Downsizing und die damit verbundenen organisatorischen Strukturkonzepte implizieren naemlich auch die veraenderten Anforderungen an die Kommunikationsverhaeltnisse. So haben die heutigen Migrationsbestrebungen von der zentralen DV hin zu Client-Server- Architekturen nicht in erster Linie technische Ursachen, sondern sind im Zusammenhang mit einer Abflachung bis dato hierarchisch aufgebauter Firmenstrukturen zu sehen. Dabei steht aber nicht nur der administrative Overhead in den Unternehmen zur Disposition, sondern es geht um eine Verselbstaendigung der Fachbereiche, indem diese zentrale Funktionen wie die Planungs- und Dispositionsaufgaben, Qualitaetssicherung etc. uebernehmen.

Ein derartiges Fitness-Programm nach der Lean-Formel hat jedoch eine Veraenderung der informationstechnischen Anforderungen zur Folge, denn eine Abflachung der Organisationshierarchien und die Verlagerung von Verantwortlichkeiten auf kleinere Unternehmenseinheiten bedingt geradezu den Aufbau von Client- Server-Architekturen. Schliesslich geht es darum, einen erweiterten Zugriff auf geschaefts- und marktrelevante Informationen einem groesseren Mitarbeiterkreis zur Verfuegung zu stellen. Damit wird auch ISDN zum einem immer wichtigeren Thema, da sich Dezentralisierungsbestrebungen keineswegs nur auf den Inhouse- Bereich erstrecken.

Klassische ISDN-Zielgruppen sind Unternehmen mit geographisch verteilten Produktionsstaetten, Geschaeftsstellen, Serviceeinrichtungen und Aussendienstbueros.

Gerade fuer diesen Einsatzzweck bietet sich ISDN wegen seiner technisch einfachen Anwendbarkeit und einer demnaechst flaechendeckenden Verfuegbarkeit an wie keine zweite Netzinfrastruktur - sei es als WAN mit der klassischen transaktionsorientierten PC- oder LAN-Host- Connectivity oder fuer die Vernetzung isolierter LANs und Einbindung von Remote-Rechnern, zum Beispiel mobilen PCs.

*Wilfried Heinrich ist freier Journalist in Koeln.