"Mangelhafte DV-Technik keine Ausrede mehr"

IS-Verantwortliche können nach Entmythologisierung auch gewinnen

17.01.1992

"Der DV/Org.-Leiter hat nicht mehr die Ausrede der mangelhaften Technik, wenn die Informatik die Unternehmensorganisation nicht optimal abbildet." Die nüchterne Feststellung von Rolf Hellmann, DV-Chef bei Klein, Schanzlin & Becker (KSB) in Frankenthal, wurde von den Teilnehmern einer Diskussionsrunde auf der Systems '91 in München, bei der es um das Thema "Unternehmensreorganisation und Konsequenzen für die Informatik " ging, als Aufforderung verstanden, Abschied zu nehmen von DV-Strukturen der 60er und 70er Jahre. "Das Sterbeglöcklein hat der zentralen DV zwar noch nicht geläutet", mahnte Bernhard Miebach von der MAN Gutehoffnungshütte AG (GHH), Oberhausen, "aber es bimmelt schon im Hintergrund." Doch für flexible DV-Manager, beruhigte Wolfgang Stubenrauch, Fachbereichsleiter Informationsverarbeitung bei der Knorr-Bremse AG, München, eröffneten sich auch neue Chancen: " Wir sind als Informatiker gehalten, gruppenweise Standards zu definieren, genauso wie ein Controller."

Was das Motto der öffentlichen Podiumsveranstaltung auf den ersten Blick nicht unbedingt verriet, wurde bereits in den einführenden Statements deutlich: Die Dezentralisierungswelle in vielen Firmen macht auch vor der DV-Abteilung nicht halt. Für

die DV-Chefs geht es ans Eingemachte. Im Zuge der Demokratisierung der DV werden Maßnahmen eingeleitet, die die Spielregeln für das Miteinander von Geschäftsführung, DV-Management und Anwenderbereichen verändern. Dabei geht es nicht mehr nur um die Computertechnik, die zunehmend auch für Laien beherrschbar wird, sondern vermehrt um Mitbestimmung, was die DV-Anwendungsorganisation betrifft, und nicht zuletzt um Kompetenzverlagerung - alles in allein eine äußerst delikate Machtfrage.

Wolfgang Dernbach von der Diebold Deutschland GmbH hatte als Moderator die provozierende Frage gestellt: "Was hat die DV in Zukunft noch zu entscheiden?" Angesichts einer Entwicklung in den Unternehmen zu unbürokratischen Strukturen, zu kleinen,

selbständig und ergebnisverantwortlich am Markt operierenden Organisationseinheiten (Stichwort: Profitcenter) sei es nur logisch und konsequent, so der Diebold-Marktforscher, die internen Abläufe zu vereinfachen und die Zentralbereiche - darunter die DV

- abzubauen.

Bei Hellmann stieß Dernbach nicht auf Widerspruch: "Wir sind der Meinung, daß die Organisationstechnik modellhaft der Unternehmensorganisation folgen muß." So würden sich die Anwendungssysteme zwangsläufig auseinanderentwickeln, "denn wenn man beispielsweise die PPS-Welt sehr eng mit der Prozeßwelt in der Fertigung verbinden muß, dann ist das natürlich von Fabrik zu Fabrik anders".

Unterstützt wurde der KSB-Manager in diesem Punkt von Stubenrauch: "Wir müssen bei einer Divisionalisierung mit Begleitung durch die Informatik die Unterschiede der Geschäftsbereiche ganz stark im Auge haben - dies insbesondere bei den betriebsnahen Funktionen, sprich: PPS oder Prozeßsteuerung." Der Münchner brachte aber auch den Aspekt der Angemessenheit der DV-Mittel aus der Sicht des Gesamtunternehmens ins Spiel - "Nicht jeder Bereich kann sich eine eigenständige DV leisten" - und warnte davor, das Prinzip des Profitcenters allzu einseitig auszulegen: "Was die klassischen Zentralbereiche angeht, haben wir einen Grundsatz: Einheitlichkeit soviel wie nötig, sowenig wie möglich."

Auf das Für und Wider ging auch Hellmann ein: "Wir haben heute noch einheitliche Anwendungen für alle Produktbereiche. Ich sage bewußt: heute noch." Man könne durchaus ein gleichförmiges Rechnungswesen haben, aber die einzelnen Abrechnungseinheiten, die Kalkulationsschemata müßten unterschiedlich sein: "Der Trend geht ganz eindeutig dahin, pro Geschäftsbereich ein spezielles System zu haben, und nur da, wo übergreifende Synergie-Effekte die dominierende Rolle spielen, mit einem System zu arbeiten." Das sei bei KSB beispielsweise im Einkauf gegeben: "Wir betreiben Global-Sourcing. Das wird wohl eines der wenigen Systeme bleiben, die einheitlich funktionieren werden. Alle anderen - abgesehen von Randgebieten wie Fibu - werden zunehmend geschäftsbereichspezifisch ausgerichtet."

Hier hakte der Moderator mit dem Hinweis nach, daß der Profitcenter-Leiter, also der Fachbereichs-Manager, dann aber auch frei sein müsse zu entscheiden, "was er haben will". Die Haltung Stubenrauchs zu dieser Frage war klar, nämlich im Sinne eines Sowohl-als-auch: "Wenn wir diese Gedanken konkretisieren sollten, würde das für unseren Bereich bedeuten, daß wir bei den betriebsnahen Funktionen von einer zentralen Datenverarbeitung abrücken und in unseren Produktionsstätten dezentrale PPS-Systeme

installieren. Wir würden allerdings in keinem Fall auf den Mainframe verzichten, vor dem Hintergrund der kaufmännischen Software. Wir haben immerhin auch die Funktion einer Konzernkonsolidierung zu berücksichtigen. Wir haben ein MIS zu bedienen, das um so notwendiger wird, je divisionalisierter man organisiert ist."

Nur zögernd unterstützt in der Sowohl-als-auch-Argumentation wurde der Münchner DV-Verantwortliche voll Miebach, der bei GHH den Schritt in Richtung dezentrale Organisation bereits vollzogen hat: "Wir haben vor einem Jahr die Anwendungsorganisation zum großen Teil dezentralisiert. Es ist nur eine kleine Gruppe übriggeblieben, die übergreifende Organisationsprojekte durchführt. Aber meines Erachtens wird das ganz schrumpfen, und wir werden nur noch für die kommerziellen Systeme eine Anwendungstechnik vorhalten, also Programmspezialisten, die die einzelnen Masken etc. und die Auswirkungen auf den Rechner kennen. Aber die gesamte Anwendungsorganisation wird meines Erachtens in die Geschäftsbereiche wandern."

Der GHH-Manager sieht die DV-Abteilung aber auch, in einer Beraterfunktion: "Es gibt ein gemeinsames Gremium, Informatik-Kommission nennen wir das, wo wir die unterschiedlichen Anforderungen abstimmen." Und dann habe die Sache ("Nehmen wir den PC-Bereich") noch einen Dienstleistungsaspekt: "Wir haben sehr viele PCs: Leitstand, Kalkulation etc. Wir haben festgelegt, welche Hardware bestellt wird, damit wir den Aufwand für Service niedrig halten können, aber wir legen nicht fest, welche Software der einzelne Bereich verwendet."

Daß das Autonomiestreben der Fachbereiche legitim sei, betont auch Hellmann: "Wenn das Schlagwort stimmt, daß die Informationstechnik wettbewerbsrelevant ist, dann kann ich einem operativen Geschäftsbereich dieses Instrument nicht aus der Hand nehmen. Er muß prinzipiell die Möglichkeit haben, über dieses Instrument selbst zu bestimmen."

Etwas anderes sei es, so der KSB-Manager, daß die zentrale Org./DV-Abteilung als internes Systemhaus die höchste Fachkompetenz habe, "auch gegenüber anderen Mitbewerbern". Diesem Wettbewerb müsse sie sich stellen. Hellmann: "Wir bilden uns unbescheidenerweise aber ein, daß wir aufgrund unserer Erfahrung kompetenter und stärker sind."

Einen selbstbewußten Mitstreiter fand Hellmann in Stubenrauch: "Wir müssen uns dem Markt stellen. Das heißt, wir müssen einem Verantwortlichen, einem Profitcenter, die Überlegung lassen: Ihr seid zu teuer, oder ich kann es mir billiger einkaufen

- immer dann, wenn er sich an die von der DV gesetzten Standards hält."

Auf die technische Seite der Medaille wies Dernbach in seiner Abschluß-Moderation hin. Die Technik spiele für die Frage "Zentrale oder dezentrale DV?" keine Rolle mehr, fand der Diebold-Marktforscher, "weil wir heute eine Technik haben, um für jeden Unternehmensbereich, und sei er noch so groß, die richtige DV zur Verfügung stellen zu können".

Hellmann faßte zusammen: "Die Informationstechnik hat in der Vergangenheit zentrale Strukturen begünstigt, Mainframe als Schlagwort und derartige Dinge. Die Technik ist reifer geworden. Die neuen Verfahren - Netzwerke, Server-Architekturen und vieles andere mehr - begünstigen nun nicht mehr diese zentralen Strukturen, sondern haben die Informationstechnik offen und frei werden lassen, um genau das zu leisten, was sie eigentlich schon immer hätte tun sollen, aber aus technischen Gründen nicht optimal tun konnte, nämlich dort zu dezentralisieren, wo es die Unternehmensorganisation erfordert und dort Gemeinsamkeiten zu gestalten, wo es wiederum die Organisation verlangt. Es ist jetzt für den DV/Org.-Leiter insofern schwieriger geworden, weil er nicht mehr die Ausrede der mangelhaften Technik hat, wenn die Informationstechnik nicht optimal das Unternehmen, die Unternehmensorganisation abbildet. Wenn sie diese Aussage mitvollziehen, dann wird es einen Trend zur Dezentralisierung geben, weil nun mal generell die Organisationen dabei sind, sich zu dezentralisieren. Und dem wird, technisch ist das möglich, die Informationstechnik ganz einfach folgen. Deswegen wird es in den 90er Jahren einen ganz starken Trend zur Dezentralisierung geben."