Angriff auf die Android-Mittelklasse

iPhone SE 2020 im Macwelt-Test

29.04.2020
Von 
Stephan Wiesend schreibt für die Computerwoche als Experte zu den Themen Mac-OS, iOS, Software und Praxis. Nach Studium, Volontariat und Redakteursstelle bei dem Magazin Macwelt arbeitet er seit 2003 als freier Autor in München. Er schreibt regelmäßig für die Magazine Macwelt, iPhonewelt und iPadwelt.
Das neue SE überzeugt im Test der Macwelt mit guter Kamera und rasend schneller CPU, die größte Stärke ist allerdings der niedrige Preis.

Ein 4,7-Zoll-Bildschirm ist für ein Smartphone recht klein, daran lässt sich nicht rütteln. Hat man sich an den großen Bildschirm eines iPhone 11 gewöhnt, ist man beim Wechsel zum iPhone SE anfangs doch irritiert. Es ist aber nicht nur die ausgezeichnete Kamera, die uns mit Apples neuem iPhones versöhnt. Insgesamt bietet das neue iPhone ein sehr attraktives Smartphone zu einem angemessenen Preis. Sogar das iPhone 8 war manchen Anwendern schließlich noch zu groß, die dem einhändig bedienbaren Vormodell mit 4-Zoll-Bildschirm nachtrauern. Das iPhone SE ist ganz sicher kein iPad-Ersatz wie das iPhone 11 Pro Max, der Bildschirm ist aber groß genug für das Lesen von Artikeln, Bearbeiten und Konsumieren von Fotos und Videos und so gut wie alle Spiele, Kommunikation und Social Media.

Das neue iPhone SE der zweiten Generation empfiehlt sich vor allem für Fans kleiner Smartphones.
Das neue iPhone SE der zweiten Generation empfiehlt sich vor allem für Fans kleiner Smartphones.

Design und Optik

Der Autor hatte befürchtet, bei seinem 399-Dollar-Handy würde Apple etwas an der Materialqualität und Verarbeitung sparen. Beim iPhone 5C hatte Apple es nämlich etwas übertrieben, was wohl für dessen Misserfolg sorgte. Beim iPhone SE ist dies aber nicht der Fall, bei „Spaltmaßen“ und Verarbeitungsqualität kann das neue Einstiegsmodell gut mit dem einstigen Premium-Handy iPhone 8 mithalten.

Für die Abgrenzung von der iPhone-Pro-Linie sorgen die neuen, etwas langweiligen Farben: Schwarz (statt dem Spacegrey des iPhone 8) und erstmals Weiß. Erstmals gibt es gleich beim Erscheinen eines Modells eine RED-Version – nach unserer Meinung die eleganteste der drei Optionen. Ein 4,7-Zoll-Display und breite Ränder erscheinen vielen nicht mehr zeitgemäß, so ist es wohl eine Konzession an die randlosen Displays der Konkurrenz, dass das Display des iPhone jetzt komplett in Schwarz gehalten ist: Breite weiße Ränder sind anscheinend nicht mehr zumutbar – eigentlich schade. Der elegante Glasrücken ist wie beim iPhone 8 schick aber recht glatt, wir empfehlen schon allein deshalb eine Schutzhülle.

Den (für Apple) niedrigen Preis konnte Apple wohl durch die Weiterführung alter Produktionslinien und das günstigere Display gewährleisten. Basiert doch das neue SE sehr stark auf dem alten iPhone 8, sogar einige Bauteile kann man nach neuesten Berichten zwischen beiden Modellen austauschen. Viel einsparen konnte Apple wohl vor allem durch das neue Display ohne teure 3D-Touch-Funktion.

Die nach unserer Meinung größte Stärke des SE sind aber die kleinen Abmessungen und das geringe Gewicht. Es ist kleiner und leichter als das nächstgrößere iPhone 11 Pro, vor allem das iPhone 11 wirkt neben den SE fast wie ein Mini-iPad. In einer Jeans ist das SE bequem dabei und wäre auch noch für die Hemdtasche tauglich. Touch ID beansprucht relativ viel Platz, das ist für uns aber kein Nachteil: Der Fingerabdrucksensor ist zwar eine alte Technologie, liefert dafür aber einige ergonomische Vorteile. So funktioniert das Entsperren auch mit Maske – was wirklich praktisch ist – und man kann das iPhone gleich beim Anheben entsperren.

Der neue Bildschirm

Eine wichtige Eigenschaft eines Smartphone-Displays: Es sollte bei Sonnenschein gut ablesbar sein. Das iPhone SE erfüllt diese Anforderung ohne Beanstandung, mit 650 Nits ist das Display hell genug und spiegelt nur mäßig. Tipp für Anwender mit älteren Augen: Man kann über die Systemeinstellung "Anzeige & Helligkeit" den Anzeigezoom aktivieren, dann werden alle Bildschirminhalte etwas größer angezeigt. Zu klein fanden wir das Display vor allem bei manchen Webseiten: Ruft man eine auf größere Geräte optimierte Webseite wie Faz.de auf, wird oft die Hälfte des Bildschirms allein von der obligatorischen Werbung blockiert.

Für Apps und für die meisten Alltagsaufgaben ist das Display aber auch 2020 noch ausreichend. E-Mails, Whatsapp und ein Youtube-Video sind auf dem hellen und scharfen Display gut nutzbar. Was man ebenfalls nicht vergessen sollte: Der Bildschirm des fast dreimal so teuren iPhone 11 Pro ist größer, zeigt durch die höhere Pixel-Dichte aber nur unwesentlich mehr Bildschirminhalte.

Geld einsparen konnte Apple beim SE durch die Streichung von 3D-Touch: Noch das iPhone 8 und das XS hatten Displays mit sogenannten kapazitativen Sensoren. Dadurch kann die Stärke eines Fingerdrucks erkannt werden und ermöglicht innovative Bedienoptionen wie Peek and Pop. Dies war aber den meisten Anwender zu kompliziert und machte die Displays so unnötig teuer. Apple ersetzte deshalb ab dem XR 3D-Touch durch das einfachere Haptic Touch, bei dem man Zusatzoptionen einfach durch langes Drücken aufruft. True Tone wird unterstützt, ebenso die augenschonende Night-Shift.

Was schon viele Tester enttäuschte: Die alte Funktion Tap-To-Wake funktioniert mit dem neuen Display nicht mehr. 3D-Touch hatte gar nicht so viele Fans, das einfache Aktivieren des Bildschirms dagegen schon. Will man einen Blick auf den Ruhebildschirm werfen – etwa für den Wetterbericht – muss man auf den Homebutton drücken – mit einem nicht registrierten Finger.

Der Bildschirm ist klein, was vor allem im direkten Vergleich mit einem der großen iPhone-Modelle auffällt - hier einem XR.
Der Bildschirm ist klein, was vor allem im direkten Vergleich mit einem der großen iPhone-Modelle auffällt - hier einem XR.

Dass es kein OLED-Display ist, sollte man nicht überbewerten. Auch diese Displays haben ihre Nachteile, so ist etwa beim Pixel 3a das Display bei Sonne kaum ablesbar.

Kamera

Das iPhone 11 Pro ist unbestritten das iPhone mit dem besten Kamera-System, im Alltag kann das iPhone SE mit seiner Einzel-Kamera aber gut mithalten. Was Kamerasensor und das Objektiv betrifft, hat Apple gegenüber dem iPhone 8 zwar kaum etwas geändert, mithilfe eines neuen Bildprozessors holt das neue SE aber erstaunliche Ergebnisse aus diesen Modulen heraus. Bei Tageslicht erhält man detailreiche und gut ausgeleuchtete Fotos mit starken Farben und tollen Kontrasten.

Was man nicht unterschätzen darf, ist der hohe Aufwand an Rechenleistung, den der A13-Chip im Hintergrund betreibt. Dank Mehrfachaufnahmen sind auch problematische Gegenlichtaufnahmen gut ausgeleuchtet und die Winzoptik erstellt dank Apples „Smart HDR der nächsten Generation“ Aufnahmen mit hoher Dynamik – neben denen manche Spiegelreflex-Aufnahme blass aussieht.

Im Unterschied zu anderen Herstellern verfolgt Apple dabei einen eher konservativen Ansatz und versucht möglichst realitätsnahe Fotos abzuliefern – ein grauer Himmel wird etwa nicht per Software nachgebläut. Das betrifft auch Aufnahmen von Personen, Porträts wirken recht natürlich. Diese naturgetreue Foto-Erstellung hat natürlich Nachteile, ebenso der neutral abgestimmte Bildschirm: So sehen auf dem OLED-Panel eines Galaxy oder Huawei Fotos oft eindrucksvoller aus, als auf dem LCD-Panel des SE.

Die Fotos sind sehr naturgetreu, vor allem bei guter Beleuchtung sind Farben und Schärfe ausgezeichnet.
Die Fotos sind sehr naturgetreu, vor allem bei guter Beleuchtung sind Farben und Schärfe ausgezeichnet.

Für eindrucksvolle Porträts sorgt aber zumindest der Porträtmodus, der auf dem SE sowohl für Front- als auch Rückenkamera-Aufnahmen zur Verfügung steht. Dank des neuen Prozessors kann man auf sechs Effekte zugreifen, dagegen muss sich das XR noch mit drei Effekten begnügen. Seit dem Erscheinen des Porträtmodus hat die Funktion viel Kritik und Häme geerntet, offensichtlich ist sie aber bei den Nutzern beliebt und wurde immer besser. Beim iPhone SE kommt übrigens eine andere Technologie als beim iPhone XR oder iPhone 11 Pro zur Verwendung, wie die Halide-Entwickler nachwiesen. In der Praxis funktioniert die Freistellung trotz Einschränkungen bei der Hardware überraschend gut, man ist aber auf Porträts von Menschen begrenzt.

Der Porträtmodus unterstützt nur Gesichter, auch Fotos und Statuen, aber keine Haustiere.
Der Porträtmodus unterstützt nur Gesichter, auch Fotos und Statuen, aber keine Haustiere.

Leider ist der Sensor kleiner und lichtschwächer als bei den Top-Modellen. Bei Nachtaufnahmen und in dunklen Bildbereichen werden schneller Artefakte sichtbar, leider muss man außerdem auf die Funktion Night Shot verzichten. Warum ausgerechnet diese Funktion fehlt, ist uns nicht ganz klar, vielleicht ein Problem mit dem verbauten Sensor. Allerdings gibt es mittlerweile auch die App Neural Cam, die eine Nachtfoto-Funktion nachliefert und wie Night Shot auf Mehrfach-Aufnahmen basiert.

Was vielen vermutlich gar nicht auffällt: Die Hauptkamera ist mit 3,99 mm etwas weniger weitwinklig als beim iPhone 11 und iPhone Pro mit 4,25 mm. Statt dem Kleinbildäquivalent von 26 mm stehen dem SE-Nutzer nur 28 mm zur Verfügung – der Bildeindruck ist also minimal enger. Auf eine Tele-Kamera und ein Ultraweitwinkel muss man verzichten, allerdings ist dies wohl für viele Anwender kein Problem – die meisten Fotos und Videos werden wohl doch mit der Hauptkamera gemacht.

Will man die Vorteile einer Tele-Linse erklären, gerät man schließlich spätestens dann ins Schleudern, wenn man erklärt, dass diese bei vielen Fotos eh deaktiviert wird. Nicht vergessen sollte man die Frontkamera, die ebenfalls keinen Anlass zur Kritik bietet. Auf Slofies muss man verzichten, Slomo-Videos darf nur die Hauptkamera drehen. Auch Memojis bleiben weiterhin den FaceID-Geräten vorbehalten.

Akkulaufzeit

Die Akkulaufzeit ist keine Sensation, reicht aber um den Nutzer durch den Tag zu bringen. Laut Apple entspricht die Laufzeit dem des iPhone 8, reicht also für 8 Stunden Streaming-Video oder 13 Stunden lokal gespeichertem Video. Gut: Nutzt man ein leistungsfähiges Ladegerät, ist das iPhone nach 30 Minuten zu 50 Prozent aufgeladen – leider liegt wieder mal nur ein lahmes, wenn auch kompaktes Netzteil bei. Drahtloses Aufladen ist ebenfalls möglich.

Beim Surfen hält das Gerät ausreichend lange durch, wie unser Surftest zeigt. Wir lassen bei diesem Test durch ein Tool eine Webseite alle zehn Sekunden aufrufen, die Bildschirmhelligkeit beträgt 75 Prozent und Auto-Helligkeit ist deaktiviert. Das iPhone X hielt diesen Extremtest nur 7 Stunden durch, das iPhone 11 Pro schafft dagegen gleich 10 Stunden und 18 Minuten – immerhin 7 Stunden und 21 Minuten unser neues iPhone SE. Für ein iPhone mit Top-CPU und kleinem Akku eine gute Leistung: Offensichtlich benötigt der kleine Bildschirm – meist der größte Energiefresser – nur wenig Energie. Bei permanenter Höchstleistung wie AR-Apps oder Gaming sollte man aber keine langen Laufzeiten erwarten. Mit dem Akku-Benchmark von Geekbench 4, der die Akkulaufzeit bei hoher Last misst, erzielt unser iPhone mäßige 2673 Punkte, ein 11 Pro 4263 Punkte.

Lautsprecher

Bei den Pro-Modellen waren wir vom Klang der Lautsprecher begeistert, das SE schneidet nur – wie schon so oft in diesem Test – mit „in Ordnung“ ab. Allerdings kann selbst das iPhone 11 oder XR hier nicht mit den Pro-Modellen mithalten. So ist das iPhone 11 Pro nicht nur lauter und klingt besser, es bietet sogar Spatial Audio bzw. virtuellen Surround Sound.

Leistung (Update)

An der erstklassigen Performance der Apple-CPUs gibt es nichts zu rütteln, Apple ist hier weiterhin den Android-Herstellern eine Nasenlänge voraus. In unseren Tests sind wir aber überrascht, dass das iPhone SE nicht ganz mit iPhone 11 Pro und iPhone 11 mithalten kann – trotz gleichem Prozessor. Mit dem Benchmark Geekbench 4 messen wir 5480 Punkte im Single Core, 13945 Punkte im Multi-Core Score. Das ist sehr nah am iPhone 11 Pro mit dem gleichen Prozessor, hier maßen wir 5467 Punkte im Single Core, 13822 Punkte im Multi-Core Score.

Unterschiede gibt es bei der Grafikleistung: Das iPhone SE kann sich vom Vorgänger XS deutlich abheben. Im Benchmark Slingshot schafft das iPhone SE 4063 Punkte, deutlich weniger als das iPhone 11 Pro mit 5292 Punkte. Auch beim iPhone XS Max waren es höhere 4339 Punkte. ICE Storm Unlimited erzielt 97 354, Antutu 482 249 Punkte.

Wir vermuten, dass Apple dem A13-Chip schneller heruntertakten lässt, also kürzere Zeit die volle Leistung erbringen lässt als die Pro-Modelle – ist doch der Akku deutlich kleiner. Es könnte auch thermische Gründe geben, da das Gehäuse kleiner ist, was für die Abführung von Wärme problematisch ist. Auffallend fanden wir, wie stark die Benchmark-Ergebnisse zwischen einzelnen Messungen abwichen, weshalb wir vor allem die Ergebnisse von Geekbench 5 mit ein wenig Misstrauen betrachten. Das iPhone 8 wird aber klar deklassiert und auch das XR überholt.

LTE

Auf 5G muss man vorerst verzichten, ein echter Nachteil. Allerdings ist die Technologie in Deutschland noch wenig ausgebaut und steht nur in ausgewählten Gegenden zur Verfügung. Bei Android-Smartphones scheint der schnelle Datenfunk außerdem zu Akkuproblemen zu führen, vielleicht ist man vorerst mit LTE sogar besser dran. Gut: Der Standard Wi-Fi 6 wird unterstützt, was höhere Transferraten ermöglicht – zumindest mit einem Wi-Fi-6-Router. In der Praxis lud das iPhone SE auch große Downloads äußerst schnell und bewies gute Verbindungsqualität.

Preis

Viele werden das iPhone SE schon aufgrund des Preises kaufen – vermutlich auch Unternehmen. Für 479 Euro gibt es das Basismodell mit gerade noch akzeptablen 64 GB, für das iPhone 11 müsste man mindestens 320 Euro mehr investieren und für das iPhone 11 Pro ganze 570 Euro mehr. Preislich gibt es aber noch weitere Vorteile: Apple Care+ kostet für das iPhone SE nur 99 Euro, für das iPhone Pro sind es dank teurer Ersatzteile 229 Euro.

Sogar die Einzelreparaturen sind günstiger: Die Display-Reparatur kostet 151 Euro, der Akku-Wechsel 49 Euro. Vielleicht der größte Preisvorteil gegenüber dem iPhone-Pro-Modell: Für nur 50 Euro Aufpreis gibt es ein Modell mit 128 GB Speicherplatz. Sind 64 GB zu wenig, muss der Pro-Käufer dagegen gleich zum Modell mit 256 GB greifen – inklusive Apple Care+ eine Investition von 1548 Euro.

Fazit und Kaufempfehlung

Mit dem iPhone SE will Apple wohl nicht zuletzt neue Kunden für sein Ökosystem erschließen: Als erstes Smartphone für die Kinder oder Großeltern, aber ebenso als Firmen-Smartphone für den Angestellten. Zugleich konkurriert das neue iPhone aber mit Mittelklasse-Android-Smartphones wie dem Google Pixel 3a. Stärke des SE sind nach unserer Meinung vor allem die kompakten Abmessungen und das geringe Gewicht: Will man ein handliches iPhone, kommt man um das SE nicht herum.

In gewisser Weise ist das SE das ideale iPhone für Leute, die einen Nachfolger für ihr iPhone 7 suchen, denen aber das iPhone 11 zu groß und schwer und iPhone XS oder 11 Pro zu teuer sind. (Macwelt)