IT in Banken/Auch Finanzinstitute sparen mit dem Internet Protocol

IP: Mehr Kommunikation, weniger Kosten

03.09.2004

Seit Neujahr 2004 gibt es bei der Stadtsparkasse Mönchengladbach kein Telefonnetz mehr. Die knapp 1000 Mitarbeiter telefonieren seither über ein nagelneues Gigabit-Ethernet-Glasfaser-Backbone, das nicht nur die Abteilungen der Hauptgeschäftsstelle, sondern auch die Filialen miteinander verbindet. Mit diesem Netz wurde nicht nur die Datenkommunikation modernisiert, sondern auch eine der bislang größten IP-Telefonie-Lösungen bei Geldinstituten in Deutschland aufgebaut.

Heute wandern Telefonate der Mönchengladbacher - verpackt in kleine Pakete wie Daten aus dem Internet - über das Datennetz und werden anschließend wieder zu einem "voicestream" zusammengesetzt. Damit die Qualität der Telefongespräche nicht unter Verzögerungen und Verzerrungen leidet, werden die Pakete aus der Sprachkommunikation vorrangig vor Datenpaketen übers Netz der Stadtsparkasse transportiert.

Komplett auf IP-Telefonie umgestellt

Anders als Unternehmen, die sich vorsichtig über Teillösungen an Voice over IP herantasten, hat die Stadtsparkasse in einem großen Wurf nahezu komplett auf IP-Telefonie umgestellt. In der Hauptgeschäftsstelle und in den Filialen sind 1165 IP-Phones installiert. Nur in geringem Umfang wurde veraltete Technik - 61 analoge Telefone und 96 Faxgeräte - über "Analog Terminal Adapters" (ATAs) an das modernisierte Datennetz angeschlossen.

Jürgen Hendricks, Leiter PC- und Netzwerkservice, kennt nur Vorteile der neuen Lösung. Die Stadtsparkasse habe "etwa 70 Prozent der Kosten für die Wartung der früheren Telefonanlage" eingespart. Generell sei das Management der Daten- und Telefonkommunikation wesentlich einfacher geworden, so Hendricks. Auf die Frage, ob denn die Sprachqualität zufriedenstellend sei, antwortet der Teamleiter mit der Gegenfrage, ob der Anrufer denn etwas auszusetzen habe, man telefoniere gerade per Internet Protocol.

Unabhängig davon profitieren die Mitarbeiter in erheblichem Maße von neuen Diensten, die durch Computer-Telefonie-Integration (CTI) möglich wurden. Erhält ein Mitarbeiter der Stadtsparkasse einen Telefonanruf, öffnet sich an seinem PC-Bildschirm ein Popup-Fenster mit den Basisdaten des jeweiligen Anrufers, sofern dessen Daten in einer Datenbank hinterlegt sind. Die Beschäftigten können auch auf Anrufnummernlisten aus dem PC zurückgreifen und per Mausklick wählen. Für Hendricks selbst ist der "hohe Flexibilitätsgrad" das hervorstechendste Merkmal der neuen IP-Telefonie-Lösung: "Wir können den Usern alles bieten, was sie brauchen."

Mit weitaus weniger finanziellem Engagement und Technikeinsatz hat die Volks- und Raiffeisenbank Biedenkopf-Gladenbach in Nordhessen das Internet Protocoll für die Modernisierung ihrer Telefonie genutzt. Nach Auskunft des Technikers Holger Jung wurden die drei größten Geschäftsstellen über IP-Datenleitungen miteinander verbunden. Die über den Landkreis verstreuten Mini-Filialen mit einem oder zwei Beschäftigten behielten dagegen ihre konventionellen Telefonanschlüsse. Dennoch rechnet sich der Einsatz der IP-Technik. Jung erzählt: "Neue IP-fähige Telefonanlagen sind viel günstiger. Bisher hatten wir drei Telefonzentralen. Jetzt laufen alle Gespräche in einer Zentrale auf, so dass wir Personal für die Telefonvermittlung einsparen können."

Noch überwiegt die Skepsis

"Immer mal wieder über IP-Telefonie nachgedacht" hat der für Telefontechnik zuständige Bankkaufmann Werner Rehkamp bei der Volksbank Osnabrück. Nach Fusionen hat das Institut eine bunte Mischung aus Telefonanlagen verschiedener Hersteller im Einsatz. Doch das Potpourri funktioniert "recht gut", so Rehkamp, es gebe nur wenige Störungen. Generell überwiegt in Osnabrück "die Skepsis" gegenüber IP-Telefonie. Aus diversen Kanälen, insbesondere dem Rechenzentrum der Bank, höre man Botschaften, wonach bei VoIP die Sprachqualität nicht zufriedenstellend sei und Störungen bei der Übertragung von Daten und Telefonaten über ein Netz auftreten könnten. Die Volksbank halte sich daher an den immer wieder gehörten Rat: "Lasst die Finger davon!"

Von derlei Unkenrufen lässt sich eine wachsende Zahl von Geldinstituten nicht mehr beeindrucken. In Deutschland sind es vor allem filialstrukturierte Banken und Sparkassen, die ganz oder teilweise auf IP in der Telefonie setzen. Erfolgsgeschichten von Telefonausrüstern und IP-Spezialisten berichten von ähnlichen Tendenzen in den USA (Peoples Bank, United Bank and Trust), Japan (Shinsei Bank), China (Agricultural Bank of China), Thailand (Bank of Asia).

Internationale Großbanken indessen halten sich in Sachen IP-Telefonie zurück. Investitionen und Installationen bei Branchengiganten sind nicht bekannt. Doch sind sich Hard- und Softwarehersteller sowie neue, auf Telefonielösungen spezialisierte IT-Serviceunternehmen einig, dass dem Internet Protocol in der Telefonie die Zukunft gehört. Helmut Reisinger, Deutschland-Chef des aus Alcatel ausgegründeten IT-Dienstleisters Nextira One, prognostiziert den bevorstehenden Durchbruch der neuen Technik in unternehmensinternen Netzen: "Die nächsten zehn Jahre stehen im Zeichen der Umstellung auf IP-Telefonie." In den Firmen ersetze die IP-Telefonie "Standleitungen und ganze Nebenstellenanlagen". Damit reduzierten sich die "Anschaffungs-, Service- und Administrationskosten".

Holger Hegemann, CEO von Nortel Networks Central Europe und Emea (Europa, Mittlerer Osten und Afrika), ist überzeugt, dass Unternehmen - nicht nur Banken - in den kommenden Jahren "schrittweise auf VoIP migrieren" werden. Seit 2002 sei der Verkaufsanteil hybrider Telefonsysteme stark angestiegen, die sowohl für die traditionelle als auch für Internet-Telefonie gerüstet seien. Hegemann begründet die IP-Wende in der Telefonie mit der Wirtschaftlichkeit. Voice over IP reduziere die "Kosten für Fernzugriffe mobiler Mitarbeiter" um 40 bis 90 Prozent, die Kosten für Telefonkonferenzen "sogar um bis zu 86 Prozent". Der firmeninterne Umzug eines Mitarbeiters kostet im Durchschnitt 125 Euro weniger als bisher, da man das VoIP-Telefon im neuen Büro "nur noch an das Netzwerk anschließen" müsse.

Flexiblere Arbeitszeitmodelle

Der auf IP-Telefonie spezialisierte Unternehmensberater Robert Willebrand hebt als Vorteil der neuen Technik hervor, dass sich die Rufnummer von der pysikalischen Schnittstelle löse, mobil werde und im Prinzip überall auf der Welt genutzt werden könne. An verschiedenen Orten eingesetzte "Springer" bei Filialbanken könnten dank VoIP überall unter ihrer Telefonnummer erreicht werden.

Für Finanzdienstleister ergebe sich aus der IP-Telefonie, so Willebrand weiter, die "uneingeschränkte Integrationsfähigkeit von Heimarbeitsplätzen in Call-Center-Anwendungen". Arbeitgeber könnten im Call-Center wesentlich flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten und die hohe Fluktuation in diesem Bereich abfedern. Für Mitarbeiterinnen im Mutterschutz, die keine Ganz- oder Halbtagesstellen besetzen könnten, ergebe sich eine "gute Chance, sich nicht zu stark von ihrem Beruf zu entfernen".

Sind die Rechenzentren der Bankenwelt wirklich die großen Bremser, wenn es um IP-Telefonie geht? Aus manchen Gegnern sind inzwischen Konvertiten geworden. Die Fiducia IT AG in Karlsruhe, IT-Competence-Center für Volks- und Raiffeisenbanken, hat ihre "eher zurückhaltende Position" zur IP-Telefonie über bankinterne Netze aufgegeben und bietet jetzt den angeschlossenen Instituten "Beratung und Integration", so der Bereichsleiter für Systemtechnik, Roland Schütz. Bereits 36 der insgesamt rund 900 Partnerbanken im Geschäftsgebiet der Fiducia haben nach Angaben von Schütz VoIP-Projekte betrieben. "Wir sehen hier einen wachsenden Markt und stoßen bei unseren Banken auf großes Interesse", betont der für Infrastrukturen in den Banken und im Fiducia-eigenen Rechenzentrum verantwortliche Bereichsleiter. "IP-Telefonie lohnt sich bei anstehenden Ersatzinvestitionen", so Schütz weiter.

Hoher Aufwand für die Integration

Bei VoIP-Projekten arbeitet die Fiducia mit drei größeren spezialisierten Partnerunternehmen zusammen. Systemtechnikexperte Schütz begründet die Zurückhaltung, kleinere örtliche Anbieter ins Boot zu holen, mit diesen Worten: "Die Integration der Telefonie in die Netze und die Parametrisierung der Telefonanlagen auszuarbeiten ist ein ziemlich hoher Aufwand. Ein VoIP-Projekt muss verknüpft werden mit der Netzplanung. Reicht die Bandbreite im Netz nicht aus, kommt es zu Störungen und Ausfällen." (bi)

*Johannes Kelch ist Wissenschaftsjournalist in München.

Hier lesen Sie ...

- warum es bei der Stadtsparkasse Mönchengladbach kein Telefonnetz mehr gibt;

- wie das Finanzinstitut etwa 70 Prozent der Wartungskosten für die frühere Telefonanlage einsparen konnte;

- welche Dienste durch die neue Computer-Telefonie-Integrationslösung (CIT) möglich wurden;

- warum andere kleinere Banken und Finanzdienstleister ebenfalls auf IP-Telefonie umgestiegen sind.

Sparpotenziale

Per IP-Telefonie möglich und verbilligt:

- Bildtelefonate;

- Telefonkonferenzen;

- Videokonferenzen;

- zentrales Adressbuch;

- per Mausklick wählbare Telefonnummern;

- Alarmmeldungen auf Telefon-Display;

- am PC-Bildschirm sichtbare Daten von Anrufern;

- Speisepläne der Kantine auf dem Display von IP-Phones;

- Zählerablesung via IP;

- Statusmeldungen von Geräten/Heizungen;

- Callcenter (mit räumlich verteilten Mitarbeitern);

- Contactcenter für alle per Telefon, Fax, E-Mail eingehenden Anfragen.

Wann lohnt sich der Umstieg?

Mit Helmut Reisinger, Deutschland-Chef des IT-Dienstleisters Nextira One in Stuttgart sprach Johannes Kelch.

CW: Für welche Geldinstitute eignet sich der Umstieg auf IP-Telefonie?

REISINGER: Die Faustregel lautet: Je mehr Filialen, desto größer die Hebelwirkung und Kosteneinsparung.

CW: Lohnt sich der Einstieg, wenn die herkömmliche TK-Anlage reibungslos funktioniert?

REISINGER: Wenn die Altanlage weitestgehend abgeschrieben ist, auf jeden Fall. Bei einer Großbank, die nur einen Riesenstandort hat, kann es sein, dass sich der Umstieg nicht rechnet.

CW: Welche Vorteile bietet VoIP den Banken?

REISINGER: Kosteneinsparungen, verbesserte interne Kommunikation, Optimierung des Serviceportfolios, zum Beispiel durch Contact-Center für die wachsende Zahl der Online- und Tele-Banking-Kunden.

CW: Sollten Geldinstitute Hybridanlagen einsetzen, die ISDN und IP beherrschen?

REISINGER: Bei einem Neukauf spricht nichts gegen reine IP-Lösungen. In etlichen Fällen kann es günstiger sein, mit einer Hybridanlage sukzessive in die neue Welt zu migrieren.

CW: Was kostet der Umstieg auf IP-Telefonie?

REISINGER: Das hängt von der Bandbreite und Qualität der vorhandenen Datennetze ab. IP-Technik für Telefonie ist aber im Sinne der Total Cost of Ownership (TCO) günstiger als die alten TK-Anlagen.

CW: Was halten Sie von "Managed Services" beim Umstieg auf IP-Telefonie?

REISINGER: Bei diesem Konzept zahlt die Bank lediglich einen bestimmten Betrag pro Monat an einen Dienstleister, der Hard- und Softwarekosten, Installation, Monitoring, Wartung und Betrieb übernimmt. Es fallen keine Anfangsinvestitionen an, die Bank muss keine eigenen Ressourcen aufstellen.