Qualifikation/Qualifizierte Arbeitskraefte machen den Standort Schottland attraktiv

Investoren orientieren sich nicht nur an den Billigloehnen

16.02.1996

Von Winfried Gertz*

Vor dem Hintergrund einer modernen Qualifikationsdefinition ist es interessant, der Frage nachzugehen, welche Standortfaktoren zu einer potentiellen Investitionszusage beitragen koennen und in welchem Ausmass die Rahmenbedingungen vor Ort zur Sicherung beziehungsweise zum weiteren Ausbau der Investitionen fuehren.

Am Beispiel der in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegenen Investitionen im schottische Silicon Glen, Europas High-Tech-Produktionsstandort Nummer eins zwischen Glasgow und Edinburgh, laesst sich das gesamte Spektrum an Qualifikationsanforderungen festmachen, ohne die im globalen Wettbewerb kaum noch ein Blumentopf zu gewinnen ist.

Wer noch immer glaubt, Schottland habe ausser ein paar Golfplaetzen und jede Menge Schafe nichts zu bieten, muss sich eines Besseren belehren lassen. Inzwischen ist aus dem Land ein High-Tech-Mekka allererster Guete geworden. Seit der Ansiedlung IBMs im Jahre 1951 haben sich Infrastruktur, Arbeitskraefteangebot und staatliche Foerderung zu einem Qualitaetsmix entwickelt, der seinesgleichen sucht.

Mittlerweile zaehlen 450 Unternehmen zur IT-Gemeinde Silicon Glens. Die auslaendischen Firmen haben allein waehrend der letzten fuenf Jahre 40 000 Arbeitsplaetze geschaffen. Insbesondere Grosse der internationalen IT-Branche wie Motorola, AT&T und Compaq verstaerken zusehends ihr Investment.

Erst vor wenigen Wochen gab ein weiterer Konzern gruenes Licht fuer ein langfristiges Engagement: Chung Hwa Picture Tubes Ltd., 88,5prozentige Tochter des taiwanischen Elektronikriesen Tatung Co. Ltd. und weltweit fuehrender Hersteller von Fernseh- und Computerbildroehren, entschied sich zum Bau einer Produktionsstaette fuer Kathodenstrahlroehren - mit einem Volumen von 260 Millionen Pfund die mit Abstand groesste Investition in der Geschichte der Region. Bis 1999 sollen 3300 neue Jobs geschaffen werden. Irland und Frankreich mussten im Kopf-an-Kopf-Rennen um den begehrten Investor aus dem fernen Osten zuletzt Federn lassen.

Allein im letzten Jahr stiegen die auslaendischen Investitionen in Silicon Glen um 80 Prozent. Dass die Aufwaertsentwicklung vorerst nicht abreissen wird, dafuer buergen eindrucksvolle Zahlen: zwoelf Prozent der Chips, 38 Prozent der Marken-PCs und ueber 50 Prozent der Bankautomaten fuer den europaeischen Markt verlassen Werktore in Schottland.

Solche Ergebnisse kommen nicht von ungefaehr: Hat man erst einmal einen Investor gewonnen, wird alles getan, um ihn bei der Stange zu halten und zum Re-Investment zu animieren. Fuer David McFadyen, Europa-Chef der staatlichen Beratungsagentur fuer auslaendische Investoren "Locate in Scotland", zahlt sich das aus: "Wir wollen unsere Investoren nicht mit billigen Versprechen ins Land locken und damit unsere Ergebnisse aufpaeppeln. Die Richtigkeit und der Erfolg eines Investments spiegeln sich erst im Re-Investment wider. Die ueberwiegende Mehrzahl der Unternehmen fuehlt sich hier wohl und beabsichtigt ihr Investment zu verstaerken." 70 Prozent der Investitionen in Schottland seien Folgeinvestitionen.

Woher ruehrt dieser Erfolg? Welches Qualifikationsprofil kennzeichnet die Region im Norden Europas, und wie unterscheidet sie sich im internationalen Standortwettbewerb von der Konkurrenz? Vor wenigen Wochen praesentierte das Roland-Berger-Forschungs-Institut vor der Presse in Muenchen die Ergebnisse einer Befragung unter deutschen Managern.

Die Experten gingen der Frage nach, welche Einstellungen zum schottischen Standort bei potentiellen Investoren festzumachen sind. Wie die Ergebnisse zeigen, plant jedes zehnte deutsche Unternehmen, das sich bereits europaweit orientiert, konkret Investitionen in Schottland. Als wichtigste Entscheidungskriterien fuer eine Direktinvestition wurden Kundennaehe und Absatzpotential, die stabile Lage, geringe Kosten und das Angebot an hochqualifizierten Arbeitskraeften genannt.

Im Vergleich zu anderen Standorten weltweit belegt Schottland den siebten Platz, waehrend die neuen deutschen Bundeslaender mit Platz fuenf und die Tschechische Republik mit Platz sechs einen knappen Vorsprung verteidigen. Gut jeder dritte, der sich nach Grossbritannien orientiert, zieht Schottland als Standort vor. Trotz der vermuteten Nachteile wie der geografischen Randlage und verhaeltnismaessig unguenstigen wirtschaftlichen Daten, lobten 65 Prozent der befragten Entscheider das attraktive Umfeld aus qualifizierten Arbeitskraeften und niedrigen Kosten.

Die erste Investitionswelle auslaendischer IT-Unternehmen stand vor allem im Zeichen der Erschliessung der europaeischen Maerkte. Heute orientieren sich Investoren nach Schottland in erster Linie wegen der Vorteile der gewachsenen Infrastruktur. Einige Firmen wie die deutsche Escom AG nutzen den Standort fuer die Erschliessung des britischen Marktes oder schlagen von dort eine Bruecke zu den Maerkten in UEbersee. Im Hinblick auf das Qualifikationsniveau der Arbeitskraefte konnten die neuen Technologieunternehmen von Anfang an aus dem vollen schoepfen.

Kaum ein anderes europaeisches Land verfuegt ueber ein derart engmaschiges Netz an Hochschulen wie Schottland. Die bewaehrte Kooperation zwischen Universitaeten, Forschungseinrichtungen und der Industrie ist ein unschaetzbarer Standortvorteil. Die Universitaet Edinburgh zum Beispiel zaehlt zu den weltweit fuehrenden Forschungsstaetten im IT-Bereich. Vor allem das Artificial Intelligence Applications Institute (AIAI), das von Firmen wie Hewlett-Packard, ICL und Toshiba unterstuetzt wird, gilt als Schrittmacher bei der kuenstlichen Intelligenz.

Schottische Mitarbeiter gelten als sehr loyal

Weitere Institute von internationalem Rang sind das Parallel Computing Centre, das den schnellsten Supercomputer Grossbritanniens beherbergt, sowie das Zentrum fuer Sprachtechnologie als europaweit bedeutendes Forschungsinstitut fuer sprachorientierte Mensch-Maschine-Kommunikation. Aber auch andere Hochschulen im Einzugsbereich des Silicon Glen praegen das Bild des High-Tech-Mekkas.

Waehrend an der Universitaet Glasgow die Entwicklung von Nanostrukturen fuer Halbleiterbauelemente vorangetrieben wird und die Aachener Parsytec mit dem Parsytec Parallel Processing Centre ein eigenes Forschungszentrum unterhaelt, beherbergen die Computerwissenschaften an der Universitaet Sterling die groessten Software-Entwicklungslabors Grossbritanniens.

Insgesamt 13 Universitaeten sorgen fuer ein im internationalen Vergleich hohes Bildungsniveau. Im Bereich Forschung und Entwicklung unterhalten acht Hochschulen ueber sogenannte Science Parks enge Kontakte zur Industrie. Im Verhaeltnis zur Einwohnerzahl hat Schottland gegen-ueber anderen EU-Staaten die meisten Hochschulabsolventen. Rund 25 000 Studenten beenden pro Jahr ihr Studium mit einem qualifizierten Abschluss, ueber ein Drittel diplomiert in den Fachrichtungen Informatik, Mathematik und Elektrotechnik.

Hochkaraetiges Fachpersonal zu bekommen ist die eine, es auch bei der Stange zu halten die andere Seite der Medaille. Loyalitaet zum Arbeitgeber mit der Folge einer kaum schwachen Fluktuation ist zweifellos ein Charakteristikum, das potentielle Investoren hellhoerig macht. Es hat in Schottland Tradition und wird insbesondere durch das Angebot zukunftsorientierter Arbeitsplaetze noch gefoerdert. Der hierzulande und auch andernorts erforderliche Zusatzaufwand fuer die regelmaessige Personalsuche und Ausbildung faellt in Schottland viel geringer aus.

Lohnkosten sind 40 Prozent niedriger als in Deutschland

Was die Bereitstellung von Arbeitskraeften generell angeht, erlaeutert McFadyen, habe Schottland wesentliche Vorteile im internationalen Vergleich. Die zunehmend geforderte Flexibilitaet bei Arbeits- und Maschinenlaufzeiten sei durch die grosse Bereitschaft zu Schicht- und Mehrarbeit garantiert. Diese Haltung sei gesellschaftlich fest verankert, wie die vergleichbar seltenen Streiktage belegen.

Compaq als PC-Hersteller Nummer eins nutzt diesen Vorteil, um alle Produktionsaufwendungen fuer seine grosse Angebotspalette innerhalb eines Jahres abzuwickeln. Das erklaert auch, warum zahlreiche Markenanbieter sich hier ansiedeln und nicht den Weg etwa nach Tschechien oder anderen neuen Standorten gehen. Diese Laender werden mittelfristig vor allem fuer Anbieter interessant sein, die Standardprodukte und Clones fertigen wollen.

Die Qualifikation des schottischen Standorts laesst sich also auch in den Kategorien Produktivitaet, Lohnkosten und Steuern messen. Mit rund 44 Stunden pro Woche und rund 1800 Stunden pro Jahr zaehlen die schottischen Arbeitnehmer zu den fleissigsten Europas. Lohn- und Lohnnebenkosten liegen 20 Prozent unter dem europaeischen Durchschnitt sowie 40 Prozent niedriger als in der Bundesrepublik Deutschland. Mit den Hoechstsaetzen fuer Koerperschaftssteuer von 33 und Einkommenssteuer von 40 Prozent sind die Schotten ebenfalls attraktiv.

Um sich weiter fuer die Zukunft zu ruesten und ihre wirtschaftliche Kompetenz fuer Synergien zu nutzen, gruendeten die grossen IT-Investoren aus UEbersee juengst eine uebergeordnete Vereinigung. Im Zentrum ihrer UEberlegungen steht die Sicherung der Qualifikation. "Eine sehr einflussreiche Initiative in Schottland", meint McFadyen.

*Wingried Gertz ist freier Fachjournalist in Muenchen.

Kurz & buendig

High-Tech-Investoren draengen nach Schottland. Als wichtige Entscheidungskriterien fuer eine Direktinvestition nennen Unternehmen Kundennaehe und Absatzpotential, die stabile Lage, geringe Kosten und das hochqualifizierte Arbeitskraefteangebot. Kaum ein anderes europaeisches Land verfuegt ueber ein derart engmaschiges Netz an Hochschulen wie Schottland. Die Kooperation zwischen Universitaeten, Forschungseinrichtungen und der Industrie gilt als unschaetzbarer Standortvorteil. Mit rund 44 Stunden pro Woche und rund 1800 Stunden pro Jahr zaehlen die schottischen Arbeitnehmer zudem zu den fleissigsten Europas. Ausserdem liegen Lohn- und Lohnnebenkosten 20 Prozent unter dem europaeischen Durchschnitt.