Web

Interview: Drei Minuten mit Tim Berners-Lee

26.11.1999
Der Web-Erfinder plaudert aus dem Nähkästchen

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Journalisten der CW-Schwesterpublikation "PC World" hatten unlängst Gelegenheit zu einem Interview mit Tim Berners-Lee, der Anfang der 90er Jahre an seiner Next-Workstation im schweizerischen Kernforschungszentrum CERN das Hypertext-Informationssystem erfand, das wir alle heute als World Wide Web kennen und nutzen. Berners Lee ist mittlerweile Direktor des World Wide Web Consortium (W3C), das technische Standards für das Web setzt.

CW: Sind Sie eigentlich enttäuscht, daß so viele Leute denken, es ginge beim Web vorrangig um E-Commerce und weniger um die Zusammenarbeit und Kommunikation, die Sie ursprünglich erreichen wollten?

BERNERS-LEE: Nein. Ich denke, beide Aspekte sind wichtig. Der elektronische Handel scheint ein Selbstläufer zu sein. Die Zusammenarbeit über das Web funktioniert bisher nur teilweise. Aber das kommt schon noch.

CW: Was sind Ihre Lieblingsbeispiele für erfolgreiche Gemeinschaftsarbeit via Web?

BERNERS-LEE: Das W3C selbst ist eigentlich ziemlich gut in diesem Bereich. Wir haben regelmäßig Telefonkonferenzen, bei denen jeder vor seinem Browser sitzt, und wir unterhalten uns in Chat-Sitzungen. Wir schmeißen unsere Browser an, jeder kann sehen, worüber wir diskutieren. Und wir verteilen unsere Materialien schnell an alle Mitglieder. Damit sparen wir uns die Reisen zu Meetings.

Es stimmt aber leider, daß die bisherigen Tools für gemeinsames Arbeiten noch reichlich plump daherkommen. Es ist immer noch schwierig, jemanden neu ins Team zu holen und ihm zu zeigen, wie die Tools funktionieren. Eigentlich wie in der Vor-Web-Zeit, mit lauter proprietären Protokollen und unterschiedlichen Ansätzen.

CW: Arbeiten Sie mit elektronischen Schautafeln ["white-boarding tools"]?

BERNERS-LEE: Wir haben zwar solche "elektronischen Flipcharts", aber die sind nicht mit dem Browser integriert, das Resultat ist keine Web-Page. Warum nicht integriert mit dem Browser? Es gibt ein Integrationsfrage, die man auch in "tieferen Schichten" wiederfindet, wo es einfach um Fragen der Sicherheit ["security frameworks"] geht... Es fehlen immer noch Millionen von Teilen zum großen Puzzle.

CW: Was halten Sie vom Web-Surfen über das Telefon?

BERNERS-LEE: Meinen Sie Sprachabfragen?

PCW: Nein, wir reden von Mini-Browsern, die auf Handies oder Palmtop-Bildschirmen erscheinen.

BERNERS-LEE: Diese winzigen Screens sind eigentlich ausreichend. Die Herausforderung liegt allerdings darin, daß wir weiterhin ein einziges Web behalten, und nicht ein separates Netz bekommen, wo bestimmte Arten von Information nur für diese kleinen Bildschirme aufbereitet sind. Es gibt auch recht große Bildschirme, die man immer noch in der Jackentasche unterbringen kann. Manchmal ist es eine Frage der Bildschirmgröße, manchmal eine der Rechenleistung oder der Bandbreite - wenn man ein Gerät aus der Tasche zieht, weiß man nicht von vornherein, in welchen Bereichen es eingeschränkt ist.

Und das mag sich ändern. Vielleicht haben wir schon in fünf Jahren überall in Gebäuden eingebaute, schnelle Netze. Und bieten diese auch DHCP [Dynamic Host Configuration Protocol, automatische Vergabe von IP-Adressen], so daß wir Besucher mit einer Verbindung begrüßen können? Mein Haus macht das. Wir kriegen sicher wirklich tragbare Geräte mit hoher Bandbreite, und dann stellt die Prozessorgeschwindigkeit kaum mehr eine Beschränkung dar. Wer weiß schon, was mit der Zeit noch alles kommt?

CW: Was hat Sie bisher am Web am meisten überrascht?

BERNERS-LEE: Am meisten überrascht mich in den vergangenen zehn Jahren, daß so viele Leute HTML-Code per Hand schreiben. Ich hätte erwartet, daß sie das lieber vermeiden würden.

CW: Viele Web-Entwicklungs-Tools generieren aber doch HTML-Code, ohne das man diesen händisch erzeugen müßte.

BERNERS-LEE: Tja, das stimmt zwar, aber die Frage ist, ob dieser Code auch "gültig" ist... ob man ihn überall lesen kann.

CW: Was halten Sie für den vielversprechendsten Aspekt des Web?

BERNERS-LEE: Immer noch das gemeinsame Arbeiten. Aber es gibt noch viel zu tun, um die Leute in diese Richtung zu bewegen.

Längerfristig werden wir einfach tolle Daten im Web haben - auf Basis von XML [Extensible Markup Language] und RDF [Resource Description Framework, eine Art Indexierungs-Technik], so daß die Logik der "Datenbank" wirklich offenliegt. Dann kann man auch das komplette Web nach strukturierten Informationen durchforsten und ein paar wirklich coole Anwendungen darauf aufsetzen. Diese Idee finde ich persönlich einfach aufregend. Aber bis dahin ist es noch ein verdammt weiter Weg.