Interview Auf der Mess

04.03.1994

Arbeitsplatzsoftware veraendert ueberholte Hierarchien Insiderkreise rufen immer haeufiger nach einer besseren Produktionsplanung und -steuerung (PPS). Der Trend nach einer Lean Organisation verlange auch schlanke PPS-Pakete, heisst es. CW- Redakteurin Monika Schalwat sprach ueber dieses Thema mit Hans Gaese, dem Vorsitzenden des Zentrums fuer Produktionsinformatik e.V., Berlin. CW: Will man den Worten von Wirtschaftsexperten glauben, so arbeiten wir gegenwaertig in betrieblichen Strukturen von gestern mit Methoden von heute, an Problemen von morgen mit Menschen, die diese Strukturen von gestern gebaut haben. Gaese: Das charakterisiert die derzeitige Situation der deutschen Industrie und Wirtschaft auf den Punkt genau. In vielen Unternehmen wird - trotz des nicht mehr zu ueberhoerenden Aufbruchssignals im Land - immer noch in antiquierten Hierarchien gewerkelt. CW: Auch die DV- Branche mit ihrem riesigen Hard- und Software-Angebot macht da keine Ausnahme. Schaut man auf die von einigen Herstellern angebotenen PPS-Systeme, so scheinen sie fuer den Anwender auch nicht mehr das Nonplusultra zu sein.Gaese: So ist es. Dabei haben die Unternehmen laengst erkannt, dass sie nur wettbewerbsfaehig bleiben, wenn es ihnen gelingt, schnell auf Marktveraenderungen zu reagieren. Das gilt natuerlich nicht nur fuer die neuen Bundeslaender. In der gesamten Wirtschaft kommt es darauf an, alle Informationen und Daten moeglichst schnell zu erfassen und zu verarbeiten. Die Arbeitsablaeufe duerfen jedoch nicht durch eine zersplitternde Arbeitsteilung gebremst werden. Will man Flexibilitaet erreichen, geht das nicht ohne Kreativitaet. Gerade in dem Punkt erweisen sich die meisten der heute genutzten PPS- Anwendungen als Klotz am Bein: Sie gehen zuwenig auf die Kompentenz des Mitarbeiters ein. Dieser wird jedoch nur produktiver, wenn er seine Faehigkeiten auch richtig anwenden kann. CW: Moderne PPS-Systeme sollen also die Kreativitaet der Arbeitnehmer foerdern. Das verlangt aber von den Firmen eine veraenderte Organisation der bisherigen Arbeitsplaetze, eine andere Arbeitsweise sowie die Beseitigung des alten Fuehrungsstils. Wie soll das in praxi aussehen? Gaese: Lassen Sie es mich so erklaeren: Die an einem Arbeitsplatz anfallenden Aufgaben sollten flexibel und produktiv abgearbeitet werden. Diese - eigentlich kreativen - Taetigkeiten werden noch immer nur als Stand-by-Aktivitaeten gesehen, auf die sich der Mitarbeiter einlassen muss, nicht als integrierender Bestandteil. Jeder Beschaeftigte eines Unternehmens arbeitet erst dann selbstaendig und kann entscheiden, wenn er die Aufgaben im einzelnen kennt, wenn er weiss, in welcher Reihenfolge und Qualitaet die Taetigkeiten von ihm verlangt werden. Dabei spielt es keine Rolle, welchen Platz er in einer Firma einimmt. Er schoepft aus einem Arbeitsvorrat - in der Planung, bei Einkauf, Vertrieb, Fertigung etc. - und bedient sich dabei der modernen Informations- und Kommunikationstechnik. Das sind Voraussetzungen, um einen Arbeitsplatz ohne grossen Aufwand an die staendig wachsenden Anforderungen anpassen zu koennen. Eine Software mit dieser Flexibilitaet muss also nicht nur problemlos anzuwenden sein, sie muss auch auf die weitere Entwicklung im Unternehmen reagieren koennen.CW: Herkoemmliche PPS-Anwendungen, kritisieren Fachleute, sind mit zu vielen Steuerungsroutinen ueberladen. Diese festen Vorgaben wuerden den Nutzer in starre Schemata pressen. Kreatives Denken und Handeln sei somit ueberhaupt nicht moeglich. Woran sollten sich kuenftige Systeme orientieren, um die Ansprueche fuer die Zukunft erfuellen zu koennen? Gaese: Wer am Boden festgenagelt ist, kann nur in einem engen Bereich aktiv sein. Monolithische Planungsinstrumente helfen also nicht weiter. Die neuen PPS- Loesungen duerfen nicht einschraenken. Sie folgen organisatorischen Standards und unterstuetzen zugleich den Mitarbeiter bei seiner Taetigkeit. Integrierbare PPS-Loesungen, die einfach und flexibel in der Anwendung sind - nennen wir sie Arbeitsplatzsoftware -, ermoeglichen dem Unternehmer die Konzentration auf sein Kerngeschaeft - die eigentliche Wertschoepfung. Kuenftig wird diese in Gruppenarbeit oder dezentralisierter Verantwortung organisiert sein. Das Management muss dafuer die Bedingungen schaffen, unter denen sich solche Systeme anwenden lassen. Ueber eins muessen wir uns im klaren sein: Arbeitsplatzsoftware wird die heute eher ueberholten Hierarchien in den Unternehmen veraendern. Fuer den Mitarbeiter heisst das, mehr Verantwortung zu uebernehmen. Kurz: Zielvorgaben kommen aus den Fuehrungsetagen. Wie das Ziel jedoch erreicht werden kann, bestimmt der Beschaeftigte selber mit seinem Ideenreichtum. CW: Der Arbeitnehmer wird demnach staerker als bisher in die Produktionsentscheidungen involviert - eine Methode, die in amerikanischen Konzernen laengst praktiziert wird.Gaese: Wir hinken - leider wie so oft - wieder einmal hinterher, uebernehmen eigentlich nur das, was bei den anderen Industrienationen bereits funktioniert...CW: Zu den DV-Anwendungen. Viele der namhaften Softwarebauer lieben es geradezu, maechtige Standardpakete zu entwickeln und anzubieten, durch die sich der Benutzer dann durchwuehlen muss. Ueber Menues en masse klickt er sich bis hin zu seiner eigentlichen Anwendung. Am Ende hat er einen Haufen Funktionalitaet auf dem Tisch, braucht jedoch hoechstens ein Drittel des ganzen Pakets.Gaese: Leider handeln viele Hersteller in unserer Branche noch immer getreu nach dem Motto "Wer vieles gibt, wird viel erreichen". Bezahlen muss diese falsche Denkweise allein der Unternehmer, also der Anwender, mit hohen Kosten bei der Einfuehrung, Umschulung des Personals etc. Die Arbeitsplatzsoftware ist dagegen direkt auf den Arbeitsplatz eines jeden Mitarbeiters zugeschnitten. Ihre Flexibilitaet wird waehrend der Anpassung erreicht. Das heisst, die anfallenden Taetigkeiten bestimmen diesen Arbeitsplatz. Der Nutzer hat die gesamte Organisation auf einer sogenannten Arbeitsplatzmaske auf dem Bildschirm inklusive aller Arbeitsgaenge. Dabei kann es ihm egal sein, welche organisatorischen Details die Software uebernimmt. Er erhaelt nur die fuer ihn wichtigen Informationen wie etwa, welche Arbeitsschritte er in welcher Reihenfolge machen muss, um das geforderte Ergebnis zu erlangen etc.CW: Dadurch wird der Arbeitnehmer doch noch nicht flexibel. Er ist per Computer an die Arbeitsgaenge des gesamten Fertigungsprozesses - beispielweise in der Produktion - gebunden und muss diese in einer ganz bestimmten Zeit beendet haben. Gaese: An den Prozess selber ist er gebunden. Aber auf die Reihenfolge der Taetigkeiten hat er grossen Einfluss. Zwar werden ihm gewuenschte Prioritaeten angezeigt, doch die optimale Variante bestimmt er selber. Der sogenannte neue Mitarbeiter eines Unternehmens betreibt vor Ort Produktionssteuerung. Durch diese Selbstaendigkeit kann er sich seine Arbeitszeit besser einteilen und bekommt Freiraum fuer zusaetzliche Aufgaben. Das gilt natuerlich fuer alle Bereiche eines Unternehmens.CW: Was halten Sie fuer das wesentlich Neue bei den integrierbaren PPS-Systemen oder wie Sie sie bezeichneten, der Arbeitsplatzsoftware der kommenden Jahre?Gaese: Wenn es gelingt, die Arbeitsplatzsoftware so zu gestalten, dass sie zu einer Hilfe fuer die schoepferische Unternehmensorganisation wird, so kann auch eine verteilte Verantwortung realisiert werden. Das fuehrt zwangslaeufig zum Abbau ueberholter Strukturen. Und vergessen Sie nicht den Markt: Er verlangt von den Betriebe eine hohe Flexibilitaet. Diesem Trend kann nur eine moderne PPS-Loesung folgen, da sie in einem Unternehmen alle Taetigkeitsfelder mit den dazu- gehoerigen Informationen klar definiert.