Interoperable Programme sollen Marktdominanz einzelner Firmen verhindern EG lehnt Urheberrechtsschutz für Software-Schnittstellen ab

20.07.1990

MÜNCHEN (CW) - Eins zu null für offene Systeme in Europa: In erster Lesung hat das europäische Parlament den Entwurf eines einheitlichen, Software-Copyrights gebilligt, der die Programm-Schnittstellen vom Urheberrechtsschutz ausnimmt. Ist die Schnittstellen-Beschreibung des Herstellers ungenügend, soll dennoch sogar Reverse Engineering erlaubt sein.

Mit dem Votum für die Vorlage der EG-Kommission hat sich in Straßburg die von der sozialistischen Fraktion befürwortete Linie durchgesetzt, die den Programmurhebern Schutz nur für das Produkt selbst, nicht aber für seine Schnittstellen zur Außenwelt zugestehen will. Ziel der Beschränkung ist es, wie Geoffrey Hoon ausführte, die Entwicklung "offener interoperabler Programme" zu ermöglichen, um so die Gefahr einer Marktdominanz durch einzelne Unternehmen zu verringern.

Die Entscheidung des europäischen Parlaments bedeutet eine schwere Schlappe für die Software Action Group for Europe (SAGE), eine Vereinigung von über 200 Hard- und Software-Anbietern - unter anderem der in Europa fahrenden Hersteller proprietärer Systeme wie DEC, Siemens oder Apple -, die unter der Führung von IBM und mit Unterstützung der christdemokratischen Fraktion einen erheblich weitergehenden Copyright-Schutz durchzusetzen versucht. Das Votum bedeutet zugleich einen Erfolg für die im European Committee on Interoperable Systems (ECIS) organisierten "proprietären Habenichtse" wie Amstrad, Apricot, Olivetti, Bull und Fujitsu.

Hauptstreitpunkt ist das Recht auf Reverse Engineering (Disassemblieren eines Programms, um herauszufinden, wie es arbeitet), das der Kommissions-Entwurf Konkurrenzunternehmen zugesteht, solange sie die dabei gewonnenen Informationen nicht dazu verwenden, ein Plagiat des Originalprogramms zu erstellen oder sonst wie die berechtigten Interessen des Copyright-Inhabers zu verletzen.

Ein Verbot, so das ECIS, würde die Industrie einer legitimen Methode berauben, die Funktionsweise einer Schnittstelle zu verstehen, und damit eine der wesentlichen Voraussetzungen für interoperable Produkte unterdrücken.

Dagegen fürchtet die SAGE, daß das Recht zu disassemblieren sich als Freibrief für Software-Piraten erweist, vor allem deshalb, weil keine präzisen Vorkehrungen gegen seine mißbräuchliche Nutzung vorgesehen seien. Darüber hinaus sei Reverse Engineering eine Möglichkeit, die wegen des damit verbundenen großen Aufwands nur großen (und das heißt japanischen) Firmen zur Verfügung steht. Es reduziere zudem die Chancen kleinerer Firmen, mit innovativen Produkten Erfolg zu haben.

Martin Bangemann, Vizepräsident der EG-Kommission, erklärte hierzu, der beabsichtigte Schutz geistiger Leistung sei nicht protektionistisch zu verstehen. Es gehe nicht darum, die Kleinen vor den Großen oder die Europäer vor den Japanern zu schützen.

Die Regelung orientiere sich an den Prinzipien des Urheberrechts für sprachliche Werke, und er sei deshalb nur bereit, auf parlamentarische Änderungswünsche einzugehen, die in Einklang mit dem Berner Urheberübereinkommen stehen.

Besonders heftig reagierte die SAGE auf eine Klausel des Entwurfs, die festlegt, daß die gesetzlichen Bestimmungen durch gegenteilige Vertragsabsprachen nicht außer Kraft gesetzt werden können. Damit ist Reverse Engineering in jedem Fall zulässig, selbst wenn der Lizenzvertrag für ein Programm es ausdrücklich verbietet. SAGE-Sprecherin Henriette Tielemans nannte es "beispiellos, daß die Gemeinschaft ihre gesetzgeberische Macht dazu nutzt, das Recht privater Parteien auf freie Vertragsgestaltung außer Kraft zu setzen".

Wie die US-Zeitschrift "Computerworld" berichtet, hat der Streit mittlerweile auch auf die Vereinigten Staaten übergegriffen: Während das ECIS sich in seiner Argumentation nur auf amerikanisches Recht beruft, das "faires" Reverse Engineering zuläßt, konnte die SAGE mit Hilfe der Business Software Alliance (BSA) die Unterstützung der US-Regierung gewinnen. Die will das Thema jetzt bei der laufenden GATT-(General Agreement on Tariffs and Trade-)Runde zur Sprache bringen.