Internet-Wirtschaft zahlt trotz Krise besser

12.08.2002
Von in Alexandra
Sie arbeiten weniger und verdienen sechs Prozent mehr als im Boomjahr 2000. Den Mitarbeitern der Internet-Branche bringt der Gehaltsspiegel des Deutschen Multimediaverbandes (dmmv) auf den ersten Blick überraschend gute Nachrichten. Doch die Gefahr von Entlassungen ist noch nicht gebannt.

Mit der Konsolidierung kam die Professionalisierung. Die Vertreter der Internet-Branche versuchen der Krise positive Seiten abzugewinnen. So weist der Ende Juli erschienene dmmv-Gehaltsspiegel darauf hin, dass sich die Wochenarbeitszeit für Mitarbeiter von 46,8 auf durchschnittlich 44,5 Stunden reduzierte. Ein Indiz, das in den Augen der Verbandsvertreter nicht nur für die zurückgegangenen Aufträge und die geringere Arbeitsbelastung spricht, sondern vor allem für verbesserte Arbeitsabläufe: Vorbei sind die Zeiten, in denen es normal war, bis nach 21 Uhr oder am Wochenende zu arbeiten.

Lutz Goertz, dmmv
Lutz Goertz, dmmv

„Ein wichtiger Überlebensfaktor für erfolgreiche New-Economy-Firmen ist die schnelle Einführung von professionellen IT-, Marketing- und Vertriebsstrukturen. Hierdurch schafft man ein Arbeitsklima, das Freiräume zum strategischen Denken lässt“, argumentiert Ingo Lippert, Vorstandschef der Münchner Mindmatics AG. Auch Ina-Maria Fliegen, Personalchefin der Düsseldorfer Planetactive GmbH, attestiert ein besseres Zusammenspiel der Teams, die sich nach ein, zwei Jahren gefunden hätten, und den Einzug von Normalität. Berufserfahrung wird zur wichtigsten Qualifikation

Dazu passt, dass die Internet-Unternehmen, die noch Mitarbeiter suchen, in erster Linie erfahrene Fachkräfte haben wollen. Prinzipiell haben Anfänger oder Mitarbeiter mit spärlicher Erfahrung viel schlechtere Chancen als in den Boom-Zeiten. Ob in Marketing, Projekt-Management, Design oder Programmierung, für sämtliche Einsatzfelder sehen 65 Prozent der vom dmmv befragten Unternehmen in der Berufserfahrung die wichtigste Qualifikation, ein Hochschulstudium folgt mit großem Abstand erst auf dem zweiten Rang (22 Prozent).

Mit der Qualifikation erklärt sich auch Lutz Goertz, Abteilungsleiter für Aus- und Weiterbildung beim dmmv, die überraschende Gehaltssteigerung von durchschnittlich 6,3 Prozent in der Multimedia- und Internet-Branche im Jahr 2001: „Viele Unternehmen haben sich von schlechter qualifizierten Mitarbeitern getrennt und die guten mit höheren Gehältern an sich gebunden.“ Lippert kann diesen Trend für die Mindmatics AG bestätigen: „Bei uns sind die Gehälter um sechs Prozent gestiegen, da es immer noch nicht preiswert ist, in München gute Mitarbeiter zu finden und zu halten.“

Das auf Mobile Marketing spezialisierte Startup befindet sich noch auf Wachstumskurs und hat derzeit vier bis fünf offene Stellen in den Bereichen Vertrieb und Technik zu besetzen. Allerdings kann es sich Lippert erlauben, in den Vorstellungsgesprächen wählerischer zu sein: „Das Motto lautet Qualität vor Quantität. Ich stelle nur noch die wirklich guten Bewerber ein und bezahle sie dann entsprechend ihren Fähigkeiten.“ Um die Kosten dennoch im Rahmen zu halten, zieht es Lippert vor, „lieber eine Stelle weniger zu besetzen“. Schließlich bringe ein gut qualifizierter Mitarbeiter auch mehr Leistung als ein Durchschnittskandidat. Gehaltserhöhungen sind oft nicht vertretbar

Aber nicht alle Internet-Firmen bewegen sich wie Mindmatics in einem Wachstumsfeld. Besonders die großen, einst gefeierten Internet-Agenturen wie Pixelpark, Kabel New Media, Razorfish, Popnet, ID Media, Sinner Schrader, Concept oder zuletzt auch GFT haben den New-Economy-Crash nicht oder nur mit Blessuren und durch Entlassungen vieler Mitarbeiter überlebt. Auch die Planetactive GmbH befindet sich seit vergangenem Jahr auf Sparkurs und hat die Zahl der Mitarbeiter von ehemals über 100 auf mittlerweile 80 reduziert: „Da wir uns von Mitarbeitern nach der Probezeit trennen mussten und Zeitverträge nicht verlängern konnten, wäre auch eine generelle Gehaltserhöhung nicht vertretbar gewesen“, erklärt Personalchefin Fliegen.

Ein Blick auf die in der Studie untersuchten Berufsgruppen zeigt, dass Berater und Programmierer mit Java- und C++-Kenntnissen mit einem durchschnittlichen Jahressalär von jeweils 49000 Euro am besten verdienen, gefolgt von Personalreferenten mit 45000 Euro, 3D-Grafikern mit 44000 Euro sowie Projekt-Managern und Mitarbeitern im Marketing und Vertrieb (je 42000 Euro).

Unter den Abteilungsleitern sind die Führungskräfte im Bereich Programmierung/ Technik mit 61000 Euro und im Bereich Design/Grafik mit 60000 Euro die Spitzenverdiener. Die Geschäftsführer kommen im Schnitt auf 75000 Euro im Jahr; allerdings driften in der Unternehmensführung die Einkommen weit auseinander: Die unteren 25 Prozent der Teilnehmer mussten sich mit 51000 Euro im Jahr begnügen, während sich das obere Viertel über einen Jahresverdienst von 205000 Euro freuen durfte. Einstiegsgehälter stagnieren

Zieht man den Vergleich mit der IT-Branche, verdienen Angestellte bei Multimedia- und Internet-Dienstleistern immer noch deutlich weniger. Laut dmmv-Studie kommt hier ein erfahrener Softwareentwickler, der Java und C++ beherrscht, auf ein durchschnittliches Jahresgehalt von 49000 Euro, während er in der IT-Branche im Schnitt 56700 Euro erwarten konnte, wie die CW-Gehaltsstudie im vergangenen Jahr ergab. Ein ähnliches Gefälle lässt sich auch für andere Berufe wie Berater oder Vertriebsmitarbeiter feststellen. Die Einstiegsgehälter in der Internet-Branche sind nicht gestiegen beziehungsweise zum Teil zurückgegangen: Grafiker beginnen zwischen 26000 und 28000 Euro, Programmierer bei etwa 31000 Euro und Online-Redakteure bei durchschnittlich 33000 Euro.

Ina-Maria Fliegen, Planetactive
Ina-Maria Fliegen, Planetactive

Das wertet der dmmv als Indiz dafür, dass sich die Personalsituation entspannt hat und die Unternehmen bestrebt sind, die Gehälter der Einsteiger an ihre Qualifikationen und Erfahrungen anzupassen. Planetactive-Personalchefin Fliegen kann dies nur bestätigten: „Selbst wenn Einsteiger über ein gutes Profil und praktische Erfahrungen verfügen, können sie derzeit nicht mehr als höchstens 2500 Euro im Monat erwarten.“

Vorsichtiger gingen die Internet-Firmen im vergangenen Jahr auch mit Prämien, Provisionen und sonstigen materiellen Anreizen um: Nur noch 24 Prozent der befragten Unternehmen (statt 38 Prozent) zahlten eine Jahresprämie aus, Provisionen existierten nur noch in jedem sechsten Betrieb, die einst beliebten Aktienoptionen spielen kaum noch eine Rolle (acht Prozent der Nennungen). Dafür bedienen sich die Firmen verstärkt konservativer Instrumente, um ihre Mitarbeiter zu binden. Unter den geldwerten Vorteilen haben erstmals die vermögenswirksamen Leistungen anderen Goodies wie Handy, Firmenwagen oder Hardwarenutzung den Rang abgelaufen.

Deutliche Verschiebungen stellte der dmmv auch in Sachen Mitarbeiterbedarf fest. Suchten im Jahr 2000 insgesamt 80 Prozent der befragten Unternehmen durchschnittlich zwölf neue Mitarbeiter, hatten 2001 nur noch 44 Prozent der Firmen im Schnitt eine bis zwei Stellen zu besetzen. Insgesamt meldeten 118 Unternehmen dem dmmv Ende des vergangenen Jahres 153 offene Stellen. Hochgerechnet auf 3500 Multimedia-Unternehmen, geht der Verband sogar davon aus, dass von 4500 Stellen 1000 unbesetzt bleiben.

Eine Rechnung, die so mancher nicht nachvollziehen kann. Olaf Hofmann von der Gewerkschaftsinitiative Connex.av weist auf die Vielzahl der Insolvenzen und betriebsbedingten Kündigungen wie etwa bei Pixelpark oder ID Media hin: „Vor diesem Hintergrund ist die Behauptung kaum haltbar, dass so viele Stellen nicht zu besetzen sind.“ Planetactive-Pe

rsonalchefin Fliegen kann sich den überraschend hohen Stellenbedarf nur damit erklären, dass für viele Internet-Firmen die Welt zum Befragungszeitraum der Studie (Oktober bis Dezember 2001) noch besser aussah als heute: „Die letzten sechs Monate haben die Leute noch einmal realistischer werden lassen.“ Selbst ein als solide eingeschätztes Unternehmen wie die GFT Technologies AG aus St. Georgen musste angesichts einbrechender Umsätze über 100 Mitarbeiter entlassen.

Auch dmmv-Vertreter Goertz rechnet damit, dass in diesem Jahr weniger Mitarbeiter eingestellt werden als vorgesehen. Dazu kommt, dass „viele Positionen informell besetzt werden und in keiner Stellenbörse mehr auftauchen“. Außerdem können es sich viele Unternehmen erlauben, eine Position auch über längere Zeit unbesetzt zu lassen. „Wir suchen natürlich nach er- fahrenen Kontaktern oder Programmieren. Wenn wir aber keinen geeigneten Kandidaten finden, warten wir lieber ab“, so Fliegens Fazit.

Obwohl sich viele Internet-Firmen 2001 in der Krise befanden, zahlten sie ihren Beschäftigten mehr Lohn. Unter den Abteilungsleitern verdienen die Führungskräfte in Programmierung und Projektleitung am besten, auch auf Mitarbeiterebene liegen die Entwickler ganz vorne. dmmv-Gehaltsspiegel

Zum fünften Mal untersuchte der Deutsche Multimedia Verband (dmmv) zusammen mit dem High-Text-Verlag die Gehälter in der Multimedia- und Internet-Branche. An der Befragung nahmen mit 175 Unternehmen fast doppelt so viele Firmen teil wie im vergangenen Jahr. Dem Gehaltsspiegel liegen Daten von 3046 Angestellenverhältnissen zugrunde, die von Oktober bis Dezember 2001 erhoben wurden. Die befragten Unternehmen beschäftigen sich großteils mit dem Design von Websites oder Multimedia-Anwendungen, erzielten 2001 einen durchschnittlichen Umsatz von 3,2 Millionen Euro, haben im Schnitt 30 Mitarbeiter und verfügen über fünf Jahre Branchenerfahrung. Die Studie ist für dmmv-Mitglieder kostenlos, andere Interessenten können sie für 12,80 Euro unter www.ibusiness.de/shop/ oder http://www.dmmv.de/publiste.htm bestellen. Internet-Arbeitsmarkt

Wer noch mehr über die Internet- und Multimedia-Branche wissen will, kann sich live auf der Computermesse Systems in München informieren. Auf dem COMPUTERWOCHE-Zentrum für Jobs und Karriere gibt dmmv-Referent Lutz Goertz einen Überblick zum Multimedia- und Internet-Arbeitsmarkt. Der Vortrag beginnt am Dienstag, 15. Oktober 2002, um 12.30 Uhr im Karrierezentrum in der Halle A5 des Münchner Messegeländes.