Erneuter Boykott für 8. November geplant

Internet-Streik: Unterschiedliche Stellungnahmen zum Protest

10.11.1998
MÜNCHEN (ade) - Kassensturz-Atmosphäre herrschte einen Tag nach dem ersten deutschen Internet-Streik: Während die Initiatoren des Boykotts von einem "vollen Erfolg" sprachen, bilanzierte die Deutsche Telekom einen "ganz gewöhnlichen Sonntag" und kündigte gleichzeitig eine Gebührensenkung an. Dennoch plant die Initiative "User gegen Wucher" bereits den zweiten Streich.

Der erste Internet-Boykott in Deutschland war nach Ansicht der Initiatoren Thomas von Treichel und Thorsten Weigl "ein voller Erfolg". Unter dem Motto "User gegen Wucher" hatte die Initiative auf ihren Web-Seiten www.gamespy.de/internetstreik und www.internetstreik.de wochenlang Internet-Nutzer in Deutschland aufgerufen, das Netz der Netze am 1. November dieses Jahres demonstrativ zu meiden, um so gegen die ihrer Ansicht nach zu hohen Ortsgebühren der Telekom zu protestieren (siehe CW 40/98, Seite 6).

"Weshalb, glauben Sie, hat die Telekom wenige Tage vor unserem Streik eine drastische Gebührensenkung angekündigt?" fragt Weigl. Er reklamiert einen Teilsieg, führt er doch die Preissenkung auf den Aufruf zum Internet-Boykott zurück. "Außerdem hat die Telekom quasi über Nacht zwei Freistunden für T-Online-Kunden versprochen."

"Die aggressiven Tarifsenkungsmaßnahmen waren schon länger geplant", heißt es hingegen bei der Deutschen Telekom. Diese Maßnahme habe nichts mit dem Internet-Streik zu tun. "Wir konnten keine Auswirkungen des Streiks feststellen", gibt Jörg Lammers, Pressesprecher beim Bonner Carrier, zu Protokoll. So habe die Deutsche Telekom weder im Orts- noch im Backbone-Bereich nennenswerte Abweichungen feststellen können. Auf Nachfragen der COMPUTERWOCHE bestätigt Lammers jedoch, daß es sich bei der "Hochrechnung" ausschließlich um T-Online-Kunden handle. "Das ist hochgradig repräsentativ, da wir rund 2,5 Millionen Mitglieder haben", konstatiert der Pressesprecher. Eine Erhebung im gesamten Ortszugangsbereich sei allerdings nicht erfolgt.

Doch während sich die Telekom hinsichtlich des "ganz gewöhnlichen Sonntags" gelassen zeigt, machten deutsche Service-Provider offensichtlich andere Erfahrungen. Mit Ausnahme des Content-Providers America Online (AOL) geriet der Internet-Verkehr bei reinen Internet-Providern ins Stocken: "Wir hatten 25 Prozent weniger Nutzung als üblich", so Robert Rothe, Geschäftsführer des mit 28 000 Privatkunden größten Berliner Zugangsanbieters Interactive Networx. Sollte sich der anfängliche Trend beim Service-Provider bundesweit bestätigen und tatsächlich ein Viertel der Surfer auf das Netz verzichtet haben, entstehen der Telekom nach Rothes Schätzungen Verluste in zweistelliger Millionenhöhe.

Diese Prognose scheint nicht abwegig, zieht man die Ergebnisse weiterer Service-Provider ins Kalkül: "Wir haben eine 50 Prozent niedrigere Nutzung festgestellt als an vergangenen Sonntagen", berichtet Susanne Hallwich, Assistentin der Geschäftsführung des Münchner Service-Providers CCN. Von durchschnittlich 2000 gleichzeitig eingeloggten Usern seien am vergangenen Sonntag rund 1000 Anwender dem Internet ferngeblieben. Nahezu abschalten konnte der Berliner Provider Sireco seinen Dienst. Der Anbieter hatte eigenen Angaben zufolge einen 70prozentigen Rückgang des Internet-Verkehrs registriert.

Eine 25prozentige Reduktion will auch der hauptsächlich auf Geschäftskunden ausgerichtete Provider Nacamar aus Dreieich ausgemacht haben: "Im Vergleich zum Vorsonntag haben wir in der Tat einen Rückgang von 25 Prozent zu verzeichnen", so Udo Trautenberg, Pressesprecher des Providers. Der vergangene Sonntag sei eines der tiefsten Täler gewesen. Andererseits dürfe der Rückgang nicht als eindeutiges Indiz für einen erfolgreichen Streik gewertet werden, da "es immer mal wieder kleinere Ausreißer in der Nutzung gibt".

Trotz erster Versprechen der Telekom über eventuelle Gebührensenkungen wollen die Streiker ihren Protest am kommenden Sonntag wiederholen. "Die flugs angekündigte Tarifsenkung ist ein toller Schachzug", so Streik-Initiator Weigl. Die Deutsche Telekom habe weder bekanntgegeben, um wieviel Prozent die Gebühren gesenkt werden sollen, noch wann und in welchem Bereich sie gelten werden. "Am 8. November streiken wir erneut, und dies so lange, bis die Telekom eine Pauschale für die Internet-Nutzung anbietet." Sonst würden sich vielversprechende neue Technologien wie E-Commerce zumindest hierzulande nie durchsetzen. Weigl kämpferisch: "Wenn es sein muß, streiken wir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag."