Internet-Startups: Sommerloch erhöhte die Sterberate

26.10.2001
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Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Bedingt durch die extrem schwache Konjunktur schnellten die Ausfälle von Internet-Unternehmen in Deutschland im vergangenen Sommer in bisher unerreichte Höhen. Laut European Business School (EBS) traf es dabei besonders häufig VC-finanzierten Firmen - da meist kleiner und flexibler konnten sich Dotcoms ohne Beteiligungskapital offensichtlich besser an die geänderte Marktsituation anpassen. Allerdings eigneten sie sich im Falle einer Pleite mangels Masse auch schlechter als Übernahmekandidaten.

Die European Business School verfolgt in ihrem Forschungsprojekt E-Startup.org seit Mitte vergangenen Jahres das Schicksal von 676 Venture-Capital-finanzierten Internet/E-Business-Firmen. Nach durchschnittlich fünf Insolvenzen pro Monat im vergangenen Jahr und einem ersten Anstieg auf 20 bis 22 Firmenpleiten im ersten Halbjahr 2001 registrierte die Hochschule bei ihrer zweiten Untersuchung Anfang Oktober, dass sich die Ausfallrate der Dotcoms im Sommer drastisch erhöhte: So mussten in den Monaten Juli, August und September jeweils rund 60 Unternehmen den Gang zum Konkursrichter antreten. Auslöser waren die allgemeine wirtschaftliche Situation, die traditionell schwachen Sommermonate aber auch der Druck auf die VCs, ihr Portfolio zu bereinigen und nur noch erfolgversprechende Gründungen weiter zu finanzieren. Besonders oft ereilte dieses Schicksal B-to-B- und B-to-C-Anbieter, da diese häufiger Beteiligungskapital erhalten hatten und daher stärker von der Aussortierung durch die VCs betroffen waren. Neben gescheiterten Anschlussfinanzierungen gaben die Pleitiers zudem häufig zu, dass ihre Produkte und Geschäftsideen am Markt keine Chance hatten. Insgesamt sind Dienstleister wie ISPs, Integratoren oder Multimedia-Agenturen bei den Geschäftsaufgaben zahlenmäßig am stärksten betroffen.

Zur Statisitik: Von den 676 VC-finanzierten Unternehmen, die im Juli 2000 am Markt aktiv waren, gaben laut EBS bis Anfang Mai nur 52 Firmen (12,8 Prozent) auf, vier Monate später erhöhte sich die Zahl auf 141 (32,1 Prozent). Kriterium der Hochschule war dabei die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder die Geschäftsaufgabe durch die Eigner. Die Zahl der Übernahmen stieg dagegen vergleichsweise nur geringfügig von 64 auf 76 Unternehmen. Auch für gescheiterte Firmen konnten sich potenzielle Investoren nur schwach begeistern: Nur jedes siebte insolvente Unternehmen fand ein Käufer, von weiteren sechs Prozent wurden zumindest Kundenstamm, Mitarbeiter oder Geschäftsmodell übernommen.

Gleichzeitig untersuchte die Hochschule anhand einer zweiten Stichprobe die Pleitengefahr von Firmen ohne Beteiligungskapital: Deren Quote an gescheiterten Unternehmen ist mit nur 8,5 Prozent weniger als halb so groß wie die Rate von VC-finanzierten Insolvenzen (19,1 Prozent). Meist kleiner und flexibler konnten sie sich offensichtlich besser an die geänderte Marktsituation anpassen, heißt es in der Statistik. Allerdings eignen sie sich mangels Masse auch schlechter als Übernahmekandidaten. Im Gegensatz zu VC-finanzierten Unternehmen (9,6 Prozent) beträgt hier die Akquisitionsquote nur 5,3 Prozent.

EBS-Prognose: Zahl der Internet-Firmen geht wieder zurück

Die Konsolidierungswelle im Sommer trägt dazu bei, dass in diesem Jahr vermutlich insgesamt mehr Internet-Firmen vom Markt verschwinden als neue entstehen. So schieden in den vergangenen Monaten von den rund 15 000 Gründerunternehmen, die Anfang Juli 2000 im deutschen Markt aktiv waren, mehr als 1700 wieder aus. Für das Gesamtjahr prognostiziert die EBS das Ende von 1900 Startups, 1300 davon durch Geschäftsniederlegung, rund 600 werden nach erfolgter Übernahme in ein anderes Unternehmen eingegliedert. Außerdem soll die Zahl der Neugründungen aufgrund der Zurückhaltung von Financiers und der schlechten Wirtschaftssituation in diesem Jahr die Zahl der Firmenliquidationen unterschreiten. Als erstes Anzeichen dafür sieht die Hochschule aus Östrich-Winkel, dass die Zahl der VC-finanzierten Companies zurückgeht. So förderten die Risikokapitalgeber im vergangenen Jahr noch durchschnittlich 40 Unternehmen pro Monat neu, diese Zahl sank im ersten Halbjahr unter zehn Firmen. Gleichzeitig scheiden monatlich etwa 30 VC-finanzierte Anbieter aus. Andererseits ist aufgrund der Aufgabe größerer Internet-Unternehmen und der damit verbundenen Entlassungen langfristig mit einer Belebung der Gründungsdynamik zu rechnen. So erwartet EBS einen Anstieg der Management-Buy-outs von erfolgreichen Unternehmenseinheiten und Firmenneugründungen von entlassenen Mitarbeitern. Und auch die überlebenden E-Startups sollen aus der jüngsten Konsolidierungsrunde gestärkt hervorgehen. Sie können zudem auf das lukrative Weihnachtsgeschäft hoffen. Außerdem lassen die erstmals wieder rückläufigen Zahlen für Dotcom-Pleiten in den USA auch hierzulande auf eine Entspannung erwarten: Laut webmergers.com sank im September die Zahl der Internet-Pleiten erstmals wieder auf 28. Im August gaben in den Vereinigten Staaten noch 38 Firmen auf.

Die European Business School sichtete für die Untersuchung über 9000 deutsche Internet-Unternehmen und deren Status am Stichtag 1. Juli 2000. Anschließend nahm die Hochschule 676 Firmen in die engere Auswahl, die Finanzierung vor diesem Termin erhielten. Zum Vergleich mit nicht VC-finanzierten Gründern diente eine zweite Stichprobe von 902 Startups, die Risikokapital erst in der zweiten Hälfte 2000 oder 2001 erhielten. Zur aktuellen Studie befragte die Hochschule 332 VC-Gesellschaften und recherchierte in Insolvenzdatenbanken und auf Unternehmens-Web-Seiten. Die Ergebnisse der Untersuchung sind im Internet als Download verfügbar.