Internet-Recruiting: Nur neue Tools locken viele Bewerber an

02.02.2001
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Zuerst war es die Stellenanzeige in einer Online-Jobbörse, dann der eigene Karrierebereich auf der Firmen-Website und schließlich die Suche in Datenbanken mit Kandidatenprofilen – die Hoffnungen der Unternehmen ruhen auf dem Web-Recruiting, um die Aufmerksamkeit der dringend gebrauchten IT-Experten zu gewinnen. Doch auch diese vermeintlich innovativen Wege der Personalsuche führen nicht automatisch zum Erfolg.

Noch vor zwei Jahren galt eine Stellenanzeige in einer Online-Jobbörse als neuartiger Weg, um den IT-Nachwuchs zu finden – zumal der sich oft nicht mehr die Mühe machte, die dicken, in der Regel unsortierten Stellenmärkte von großen Tageszeitungen zu durchforsten, um seinen Traumjob zu finden. Mittlerweile sind aber auch viele Internet-Stellenmärkte trotz diverser Suchfunktionen zu einer unüberschaubaren Ansammlung von Anzeigen angewachsen.

Claus Brauner
Claus Brauner

Während die Betreiber der Jobbörsen damit werben, dass sie 60 000 und mehr Stellen auf ihrer Site ausgeschrieben haben, sind solche Zahlen für die personalsuchenden Firmen längst kein Qualitätskriterium mehr, wie auf der jüngsten Konferenz von IQPC zum Thema „Web based Recruitment“ in Frankfurt am Main deutlich wurde. Denn vor allem für kleinere Firmen gilt: Je mehr Anzeigen präsentiert werden, um so schwieriger ist es für das einzelne Unternehmen, die Aufmerksamkeit des Bewerbers auf sich zu ziehen. Aber auch große, bekannte Unternehmen sehen in der Größe einer Online-Jobbörse nicht immer die Garantie für gute Bewerber. „Die Zahl der Jobs ist nicht ausschlaggebend, sondern nur die Frage, ob ich die richtige Zielgruppe erreiche“, erklärt Claus Brauner, der bei Infineon den Bereich Recruiting und Retention verantwortet. Darum setzt der weltweit tätige Chiphersteller beispielsweise in den USA auf Jobbörsen, die sich auf Nischen wie die Halbleiterindustrie spezialisiert haben.

Größe ist nicht alles, dieser Leitsatz gilft für Infineon-Mann Brauner auch in puncto Kandidaten-Datenbanken. Zwar preisen viele Jobbörsen die Suche in ihren Datenbanken voller Bewerberprofile als den besten Rekrutierungsweg an, doch stehen dem tatsächlichen Erfolg noch einige Hindernisse im Weg. So schätzt Brauner, dass weltweit mittlerweile 20 Millionen Lebensläufe von mehr oder weniger wechselwilligen Kandidaten im Netz abgelegt sein dürften. Die meisten Personalverantwortlichen hätten aber gar nicht die Zeit, um in diesen Datenbanken zu suchen. Dazu kommt, dass jeder Anbieter andere Kriterien anlege und die Auswahl oft nicht spezifisch genug sei. Ein Nachteil sei auch, dass die Kandidatenprofile aus Datenschutzgründen sehr anonym gehalten sein müssen und das Unternehmen die Kandidaten nicht direkt kontaktieren kann. „Von zehn angeschrieben Kandidaten melden sich in der Regel maximal zwei zurück,“ beschreibt Brauner seine Erfahrungen. Oft haben die ehemaligen Interessenten schon einen neuen Job angetreten.

Am Beispiel der Kandidatendatenbanken zeigt sich für den Infineon-Personal-Manager, dass sich die Rekrutierungs-Tools fast genauso schnell überleben wie sonstige technische Trends in der Internet-Wirtschaft: „Je mehr Firmen ein solches Tool wie Kandidatendatenbanken anbieten und nutzen, desto witzloser wird es für das einzelne Unternehmen, da das Feedback der Kandidaten im Laufe der Zeit schlechter wird.“ Was für Online-Recruting-Tools gilt, kann auch auf Offline-Maßnahmen übertragen werden. So hat Holger Kerkow, verantwortlich für den Bereich Resourcing Managing bei der Deutschen Börse AG, die Erfahrung gemacht, dass mittlerweile auch die Trefferquote auf Messen abnimmt: „Noch vor zwei Jahren haben wir bei Rekrutierungsmessen Topbewerber getroffen. Inzwischen sind diese Messen so inflationär, dass die richtig guten Leute nicht mehr hingehen.“ Kerkow setzt darum neben dem Online-Recruiting vor allem darauf, dass die eigenen Mitarbeiter neue Kollegen anwerben. Für eine erfolgreiche Vermittlung bekommt der werbende Mitarbeiter 5000 Mark. Im vergangenen Jahr wurden auf diesem Weg 20 Prozent der neuen Mitarbeiter eingestellt. Welche Aufmerksamkeit Unternehmen erregen, wenn sie im Internet-Recruiting auf ein innovatives Tool setzen, zeigt das Beispiel Siemens. Mit „Challenge Unlimited“ hat der Konzern eine Art Online-Assessment-Center mit integrierten Spielelementen entwickelt. Binnen sechs Wochen schlüpften 12 000 Teilnehmer in die Rolle von Cyber-Consultants, um die Probleme des Planeten Nouvopolis zu lösen. Währends des Spiels wurden sie psychometrisch getestet. 10 000 von ihnen, erlaubten Siemens, ihre so gewonnenen Kompetenzprofile auszuwerten. Von diesen potenziellen Bewerbern wurde nach Unternehmensangaben bisher nur ein Kandidat eingestellt, was aber nicht an der Qualität der Teilnehmer lag. Der administrative und organisatorische Aufwand, in kürzester Zeit 10 000 potenzielle Bewerber bedienen zu müssen, scheint auch große Unternehmen wie Siemens zu überfordern.

Die Unternehmen haben also nicht nur das Problem, an die gesuchten Experten schwer heranzukommen. Gleichzeitig stehen sie vor der Herausforderung, aus zahllosen Initiativbewerbungen, die über Internet kommen, die richtigen herauszufiltern – und das möglichst zeitnah. Damit ist aber eine Großzahl der Firmen noch überfordert, wie eine Untersuchung von Volker Trommsdorff, Marketing-Professor an der Technischen Universität Berlin, ergab. Demnach befürworteten im Sommer 2000 zwar die meisten der 118 befragten Unternehmen die Online-Bewerbung, aber nur 47 Prozent boten sie auf ihrer Website tatsächlich an. Großen Nachholbedarf haben viele der befragten Firmen auch in Sachen schnelle Reaktion: So schafften es nur 44 Prozent von ihnen, binnen sechs Tagen auf Online-Anfragen per E-Mail zu antworten. Das späte Feedback auf die Online-Bewerbungen und –Anfragen hat aber auch damit zu tun, dass in den Unternehmen oft noch ein Medienbruch stattfindet. Obwohl die Bewerbung per E-Mail kommt, druckt sie der Personaler zuerst einmal aus, um sie dann in Papierform an die entsprechende Fachabteilung weiterzureichen. Außerdem wird noch immer vom Interessenten die traditionelle schriftliche Bewerbungsmappe angefordert. Selbst große Unternehmen wie die Deutsche Bank, die für ihre gelungenen Karriereseiten im Netz schon ausgezeichnet wurde, schaffen es noch nicht, diesen Medienbruch zu vermeiden und damit zu verhindern, dass sie wertvolle Zeit im Wettlauf um den Bewerber verlieren. So gab Silvia Steffens-Duch, Leiterin des Personal-Marketings bei der Deutschen Bank, zu, dass bei jeder Online-Bewerbung die kompletten schriftlichen Unterlagen angefordert werden. Mittlerweile gehen aber bereits 500 Online-Bewerbungen im Monat bei dem Geldinstitut ein. „Wir können auf die schriftlichen Unterlagen nicht verzichten, da unser Online-Fragebogen sehr strukturiert ist und wenig Freitextelder beinhaltet“, rechtfertigt sich Steffens-Duch.

Einen ganz anderen Weg geht die Hypo-Vereinsbank. Bereits in der zweiten Auflage bringt sie ihre Bewerbungs-CD-ROM „Jobdoc“ heraus, auf der sich nicht nur das Unternehmen ausführlich vorstellt, sondern sich auch der Kandidat auf eine etwas andere Art und Weise präsentieren kann. Neben Standardabfragen zu Lebenslauf und Werdegang kann der Bewerber seine beruflichen und privaten Ziele in den nächsten zehn Jahren skizzieren. Einen wichtigen Stellenwert räumt Oliver Maassen, Direktor Konzernpersonal-Marketing und – nachwuchsentwicklung bei der Hypo-Vereinsbank, auch den selbstreflektiven Fragen ein: „Wir fragen nicht nur nach dem Studium, sondern warum sich der Bewer-ber für das Fach entschieden hat. Auch aus einer Argumentation, warum man den Studienort gewechselt oder warum man die Regelstudienzeit überschritten hat, können wir sehr viel herauslesen.“ Die Bank setzt sehr stark darauf, dass sich die Bewerber intensiv mit der CD-ROM beschäftigen und nicht nur Kästchen anklicken, sondern viel selbst formulieren. So ist eine Aufgabe, eine ungünstige Arbeitssituation zu beschreiben, aus der man keinen Ausweg gefunden hat. Dadurch, dass die Bewerber zwischen drei und fünf Stunden brauchen, um „Jobdoc“ auszufüllen, ist sich die Hypo-Vereinsbank sicher, nur ernst gemeinte Bewerbungen zu erhalten. Maassen räumt ein, dass durch den enormen Zeitaufwand auch der eine oder andere gute Kandidat abgeschreckt wird.

Dass zwischen Anspruch und Realität oft noch Welten liegen, zeigt auch eine Studie des Staufenbiel-Instituts für Studien und Berufsplanung, die 544 Karriereseiten auf den Websites von Unternehmen untersucht hat. Obwohl immer mehr Firmen darauf vertrauen, über die eigene Website potenzielle Bewerber anzulocken, lässt der Informationsgehalt der betreffenden Karriereseiten noch zu wünschen übrig. Zwar bieten 90 Prozent umfassende Informationen über Produkte, Dienstleistungen, Umsatz, Mitarbeiter oder Standorte an. Nicht einmal die Hälfte spricht aber Studierende oder Berufseinsteiger gezielt an. Spezielle Informationen über Vergütung oder Personalentwicklung, die Professionals interessieren würden, gibt es nur auf elf Prozent der untersuchten Sites. Auch auf informative Zusatzangebote wie Hinweise auf Kontaktmöglichkeiten auf Messen und Recruiting-Veranstaltungen oder einen Newsletter verzichten die meisten Unternehmen. Eine Liste der häufigsten Fragen ( FAQ) oder Erfahrungsberichte von Mitarbeitern werden bisher auch kaum angeboten. In den Augen von Staufenbiel-Geschäftsführerin Birgit Giesen sind das verpasste Chancen: „ FAQ sind eine gute Möglichkeit, um viele Standardfragen der Bewerber schon im Vorfeld abzufangen. Erfahrungsberichte von Mitarbeitern wiederum bieten die Möglichkeit, dass man dadurch ein Stück Unternehmenskultur vermitteln und die emotionale Seite ansprechen kann.“ Oft ist die Zurückhaltung der Unternehmen aber auch eine Personalfrage. So räumten sowohl Giesen als auch Steffens-Duch von der Deutschen Bank ein, dass ein inhaltlich ansprechender Karrierebereich auf der Firmen-Website zeitlich und finanziell sehr aufwendig ist. Die Deutsche Bank hat für den Karrierebereich im Web eigens einen Mitarbeiter abgestellt, der von diversen Fachabteilungen mit Beiträgen unterstützt wird.