Internet-Oberflaeche ist Vorbild fuer die Neugestaltung des eigenen Dienstes Compuserve will sich staerker ueber Online-Werbung finanzieren

27.10.1995

Das Goldfieber grassiert hierzulande unter den Online-Anbietern. Mit dem Microsoft Network (MSN) haben die etablierten Provider T- Online und Compuserve bereits einen ersten Konkurrenten bekommen. Zudem wollen mit America Online in Kooperation mit Bertelsmann und Europe Online zwei weitere Provider in den Markt einsteigen. Hilde-Josephine Post* unterhielt sich mit Felix Somm, deutscher Geschaeftsfuehrer von Compuserve, darueber, wie der Dienstleister den neuen Konkurrenten Paroli bieten will.

CW: Compuserve soll verkauft werden, was ist dran an dem Geruecht?

Somm: Das Geruecht haelt sich schon ein paar Jahre, aber es stimmt nicht. Im Gegenteil, unsere Mutter will einen dreistelligen Millionenbetrag in Compuserve investieren, damit wir unser Angebot ausweiten koennen.

CW: Die Finanzspritze haben Sie auch dringend noetig, wenn Sie den Preiskampf weiter anheizen wollen?

Somm: Das Business-Modell eines Online-Service aendert sich. Frueher waren es Mitglieder und Anbieter, die relativ hohe Gebuehren bezahlten und damit den Dienstleister finanzierten. Doch nun geht die Entwicklung in Richtung Massenmarkt. Deshalb muessen die Online-Angebote in Zukunft ueber Werbung finanziert werden, um den Anwendern konkurrenzfaehige Preise zu bieten. Allerdings ist Werbung nur mit moeglichst vielen Abonnenten interessant. Darum versucht Compuserve, mit sehr aggressiven Gebuehren moeglichst schnell viele Abonnenten zu gewinnen.

CW: Viele Content-Provider setzen lieber auf die grosse Surfwelle im Internet. Laufen Ihnen da nicht die Werbekunden davon?

Somm: Die Zahl von 30 oder 40 Millionen Internet-Usern ist nicht gesichert. Die Zahl der reinen WWW-Nutzer duerfte unter zehn Millionen liegen. Bezogen auf Deutschland, ist der Benutzerkreis dann gar nicht mehr so gross.

CW: Tatsache ist aber, dass seit Anfang des Jahres gerade hierzulande ein Run auf das Internet stattfindet. Wenn Sie viele Surfer gewinnen wollen, bleibt Ihnen wahrscheinlich nichts anderes uebrig, als sich in Sachen Internet zu oeffnen.

Somm: Die Anbieter haben uns klar gesagt, dass sie nicht in verschiedener Technik produzieren wollen. Die Content-Provider wuenschen einen einheitlichen Standard, und das Internet ist dabei, diese Spezifikationen zu setzen.

CW: Das grafisch orientierte WWW hat eine grosse Anziehungskraft. Ist die Compuserve-Technologie veraltet?

Somm: Langfristig betrachtet, wird Compuserve auf der technischen Seite seine Plattform mehr und mehr auf Internet-Technologien aufbauen.

CW: Heisst das, Sie wollen den Anbieter zukuenftig zwischen Compuserve und Internet waehlen lassen?

Somm: Im Prinzip koennen Sie als Anbieter schon heute ein Angebot in Compuserve stellen oder es mit Compuserve auf Basis von Internet-Technologie realisieren. Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Wir haben dafuer im Maerz eine Firma aus Seattle gekauft, die im Internet-Bereich taetig ist. Diese besitzt die Infrastruktur und die technischen Moeglichkeiten fuer WWW-Angebote.

CW: Das Internet setzt Compuserve also unter Konkurrenzdruck?

Somm: So sehe ich das nicht. Ich glaube, das Internet hat hinsichtlich der Technologie einen Trend ausgeloest. Wir werden Schritt fuer Schritt mehr Leistungen, vor allem die werbeorientierten oder auch Schnupperangebote, im Internet offerieren. Als erstes realisieren wir das geplante Einkaufszentrum mit Internet-Technologie, danach die Foren. Langfristig wollen wir auch kostenpflichtige Services zur Verfuegung stellen, doch dazu muss sich erst einmal eine Zahlungsmoeglichkeit im Internet etablieren. Zudem koennen wir dem Anbieter beim Vermarkten seines Angebots helfen. Denn das Internet ist nicht organisiert. Wie finde ich die Leute, die auf mein Produkt zugreifen? Anbieter benoetigen eine Struktur, um die Nutzer zu informieren.

CW: Sie sprechen die ganze Zeit von Expansion. Was die Nutzerzahl betrifft, sind Sie in den USA bereits von America Online ueberholt worden. Was tun Sie dagegen?

Somm: Wir haben aus Amerika einen Wake-up-call erhalten, uns nicht auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Compuserve reagiert mit einer Preisreform, einer neuen Benutzeroberflaeche sowie aggressiverer Werbung und verstaerkten Marketing-Auftritten. Fast in jeder Zeitschrift finden Sie momentan in Deutschland eine Diskette oder CD-ROM, mit der Sie bei uns online gehen koennen.

CW: Und wie viele User melden sich danach wieder ab?

Somm: Das ist ein kleiner Prozentsatz. Der Zugang zum Internet hat die Leute zusaetzlich stark an Compuserve gebunden. Wenn wir von 13 000 neuen Usern pro Woche in Europa reden, sind wir, gerade im Vergleich zu T-Online, sehr stolz, dass wir den groessten Teil auch halten koennen.

CW: Damit werden Sie doch zum Massenmedium. Ist es nicht erfolgversprechender, sich auf bestimmte Zielgruppen zu konzentrieren?

Somm: Es gibt den Massenmarkt nicht als Einheitsbrei. Wir wollen ganz klar Dienste anbieten, die auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sind. Momentan definieren wir diese Gruppen. Ganz sicher werden hier Edutainment sowie Home-Banking und Personal Financing Schwerpunkte sein. Unsere Aktivitaeten im Computersupport bleiben weiterhin bestehen.

CW: Kommen Sie sich hier nicht mit anderen Online-Anbietern ins Gehege?

Somm: Andere Online-Provider muessen erst zeigen, was und wem sie anbieten wollen. Das ist noch sehr unklar. Es gibt Namen, die wollen allen alles bringen. Das funktioniert nicht.

CW: Bertelsmann will mit AOL wahrscheinlich auch stark in den Ausbildungsbereich draengen.

Somm: Die gibt es noch nicht! AOL hat selbst in Amerika bisher kaum etwas im Bereich Education getan. Bei uns ist dagegen ein grosser Teil im Bereich der Multimedia-Lexika angesiedelt. In den USA fuehrten wir bereits sehr erfolgreich ein Ausbildungsprogramm fuer Universitaeten ein. Das wollen wir hier wiederholen. AOL hat bisher nie ein Home-Banking-Angebot realisiert. Wir haben dagegen eine enge Beziehung mit Visa, denn in Nordamerika wickeln wir fuer die das ganze Point-of-Sales-Geschaeft ab. Zudem hat Compuserve dort eine eigene Visa-Karte auf den Markt gebracht. An einem aehnlichen System fuer Europa und Deutschland wird gearbeitet.

CW: Droht Ihnen durch das interaktive Fernsehen zusaetzliche Konkurrenz? Dessen Protagonisten wollen sich gerade im Info- und Edutainment-Bereich etablieren?

Somm: Nein, das ist ein Zusammenspiel. Compuserve ist sowohl in Kanada als auch in Nordamerika an Pilotversuchen beteiligt. Zudem gibt es Ueberlegungen, an Bayern Online aktiv teilzunehmen. Das sind aber alles Projekte, die sich sehr stark auf die Zukunft auswirken. Letztlich geht es darum, dass man erst einmal mit neuen Techniken experimentiert.

CW: Wollen Sie nicht auch den Entertainment-Bereich staerker forcieren?

Somm: Ja, wir planen voellig neue Multimedia-Spiele, in denen man sich Partner suchen kann. Mit

"Worlds Away" haben wir bereits begonnen, eine virtuelle Welt zu schaffen, in der sich Hunderte von Leuten zu den verschiedensten Online-Aktivitaeten treffen koennen.

CW: Muessen dazu nicht die Telekom-Gebuehren gewaltig sinken?

Somm: Sicherlich, die Telekom ist mit der Verteuerung der Ortsgespraeche eher kontraproduktiv. Da sind wir uns mit anderen Anbietern einig. Wir setzen einfach darauf, dass ab Ende 1997 private Kabelnetzanbieter breitbandige Angebote machen. Ich gehe davon aus, dass die online-feindliche Preisreform der Telekom nicht von Dauer ist. Die Telekom kann sich nicht dem Trend entgegenstellen, der sich in Amerika durchgesetzt hat, naemlich dass die Ortsgespraeche frei sind.