IT in der Touristik

Internet ist Chance und Risiko zugleich

09.05.1997

Wer seinen Urlaub mit Kind und Kegel plant, blättert zunächst einmal tagelang in Katalogen. Schneller orientiert man sich auf jeden Fall im Reisebüro, wo freundliche Berater den Weg durch den Angebotsdschungel bahnen. Wichtige Erfahrungswerte, die Appetit auf die schönsten Wochen des Jahres machen, hat mancher Tourismusexperte parat. Wer läßt sich schon auf Ungewisses ein? Doch damit soll bald Schluß sein: In der Reisebürobranche kriselt es, denn Internet und Co. stehen vor der Tür.

Im Tourismus schrillen die Alarmglocken. Zum einen haben Reiseveranstalter den Direktvertrieb entdeckt, zum anderen sind bei einer Reisebürodichte von 5642 Einwohnern je Verkaufsbüro im Durchschnitt nur noch zwei Millionen Mark Bruttoumsatz im Jahr zu erzielen, und zwar bei weiter fallenden Renditen. Während der Konzentrationsprozeß in der Branche vor allem den Key-Playern zugute kommt, droht den kleinen und mittleren Reisebüros das Aus. Sie sind im Teufelskreis aus sinkenden Provisionsvergütungen und anhaltenden Kostensteigerungen gefangen. So jedenfalls das Ergebnis einer Studie der Universität Lüneburg.

Die für die meisten kleinen Geschäfte nicht mehr ausreichende Existenzbasis ist vor allem dem zunehmenden Kreis der "Schnäppchenjäger" zuzurechnen. Ihr Anteil an der Nachfrage wächst rapide und drängt die bislang favorisierte Gruppe der wirtschaftlich gutsituierten Stammkunden in den Hintergrund. Beratung zählt also immer weniger, gefragt ist dagegen die schnelle Information über günstige Flüge, Hotels und Mietwagen. Kein Wunder, daß in der Branche die Sorge um den Arbeitsplatz um sich greift.

Der neue Vertriebsweg Internet und E-Mail hat die etwas verschlafene Touristik wachgerüttelt. Bevor sich die Online-Medien aber in Szene setzen konnten, rückte bereits das Fax-Polling der traditionellen Beratungsbranche gehörig auf den Pelz. 80 Prozent vom Umsatz der Reisebüros, schätzen Marktbeobachter, wird durch die Buchung von Flugreisen erzielt.

Wer ohnehin genau weiß, was er will, tritt den Gang ins Reisebüro überhaupt nicht mehr an. Aktuelle "Super-Saver" kann man sich von seinem Fernkopierer ausspucken lassen. Die Wahl einer vorgegebenen Nummer sowie die Einstellung des Empfangmodus genügen, um sich über die attraktiven Kurzreisen etwa nach Hongkong oder New York inklusive einer Auswahl an Hotels und Ausflugsprogrammen ein Bild zu machen. Hat man sich für ein Angebot entschieden, genügt ein Telefonanruf zur Buchungsbestätigung.

Transparenz ist das Gebot der Stunde

Die Deutschen sind im Faxrausch: Die Marktentwicklung übertrifft selbst die kühnsten Prognosen. Für 1995 ermittelte die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg einen Jahresabsatz von 800000 Stück - Tendenz steigend. In Deutschland werden täglich rund 250 Millionen Faxdokumente versandt, von Geschäftsvereinbarungen über Krankmeldungen bis zu Liebesbriefen reicht dabei das Anwendungsspektrum des modernen Briefersatzes. Mit dem Aufkommen von Internet und Co. mausern sich PC, Telefon und Telefax zu Informationsbörsen für jedermann. Daran führt auch in der Tourismusbranche kein Weg vorbei.

Das Internet stellt allerdings alles in den Schatten. Rund eine Milliarde Menschen, so beziffert Nicolas Negroponte in seinem Bestseller "Total digital" das Internet-Zugangspotential, sollen im Jahr 2000 die interaktive Kommunikationsplattform nutzen.

Geschäftlich, so erwartet der Kölner Unternehmensberater Rainer Mayer, wird die Kommunikation mit Kunden das Internet ebenso charakterisieren wie als Medium zur Verkaufsunterstützung oder auch als zusätzlicher Vertriebskanal.

Viel wichtiger jedoch, so Mayer in seiner Rede auf der Jahrestagung des Deutschen Reisebüro Verbands (DRV) in Orlando, Florida, sei die besondere Rolle des Internet für den Tourismus. Internet sei Chance und Risiko zugleich. Zum einen könnten Überkapazitäten kurzfristig unters Volk gebracht werden. Weil sich Vakanzen praktisch von einer Minute auf die andere ändern, sei die unkomplizierte Aktualisierung der Online-Medien ein großer Vorteil. Auch die Preisanpassung gemäß freier Kapazität und Buchungsverlauf, das sogenannte Yield Management, stelle online kein sonderliches Problem dar.

Noch wirft das "Netz der Netze" allerdings viele Fragen auf wie zum Beispiel zur Sicherheit von übermittelten Daten sowie zur Bezahlung im Cyberspace. Heftiger Kritik, insbesondere der Agenturen, müssen sich auch Internet-Direktanbieter wie die Lufthansa stellen, die weltweit mit einem Rückgang der über Reisebüros erwirtschafteten Erträge von ursprünglich 95 auf 70 Prozent rechnet.

Trotz aller Strukturprobleme der Reisebüros - die Deutschen schweifen mehr denn je in die Ferne. Transparenz ist also Gebot der Stunde: Der Online-Vergleich von Reisezielen, Leistungsträgern und Tarifen stellt den Katalogvergleich weit in den - digitalen - Schatten. Informationstechnik ist in der Branche ohnehin auf dem aktuellen Stand, alle wichtigen touristischen Informationen sind in Datenbanken gespeichert, und der Umgang mit elektronischen Reservierungssystemen zählt zur täglich Arbeitsroutine der Reiseberater. Eine Erweiterung der traditionellen Vertriebswege durch das Internet ist also unabdingbar, wie DRV-Vorstand Wolfgang Schambach betont: "Sonst verschlafen wir unsere Chance."

Daß pfiffige Anbieter nicht lange zaudern, demonstriert zum Beispiel die in Pullach ansässige Sixt AG http://www.sixt.de . Der Autovermieter ("Virtuell mieten, real fahren") ist unlängst mit seinem Angebot ins Internet gegangen und hat bei der Gelegenheit gleich einen neuen Geschäftszweig ins Leben gerufen: "Fly and drive worldwide". Unterstützt durch massive Werbung der Agentur Jung von Matt ("Sixt wie weg") locken die Pullacher diejenige Kundschaft an, auf die es eigentlich alle Anbieter im Internet abgesehen haben: jung, dynamisch, offen für Neues und kaufkräftig.

Die Zielgruppe jenseits der 40 über die neuen Medien zu ködern, führt allerdings, so Tourismusberater Mayer, in die Sackgasse. Sixt jedenfalls bietet preiswertes Fliegen und Autofahren in einer erstaunlich einfachen und vom üblichen Schnickschnack befreiten Buchungsmaske. Ein Test überzeugte allerdings nicht ganz: Die Antwortzeit betrug drei Tage.

Ähnlich konzipiert ist die Home-Page des "Überfliegers" Travel Overland http://www.travel-overland.de in München. Wer öfter buchen will, erhält durch Angabe von Name, Anschrift, Telefonnummer und E-Mail-Adresse ein Paßwort, mit dem man seine Trips künftig online buchen oder reservieren kann. Andere Anbieter wie zum Beispiel TUI http://www.tui.de schließen den Buchungsvorgang per Internet aus. Der Grund sind politische Vorbehalte: Man will die angeschlossenen Reisebüros nicht verärgern. Löblich deshalb auch die Ehrlichkeit, mit der Travel Overland online seine Kunden begrüßt. Wer einen Last-Minute-Flug in typische Urlaubsregionen wie Spanien oder Griechenland buchen will, wird freundlich abgewiesen.

Inzwischen hat die gesamte Tourismusbranche "Blut geleckt". Sei es der Törn mit dem Frachtschiff zu fernen Gestaden http://www.lynet.de/montanus , der Trip ins Taucherparadies vor Papua-Neuguinea ( http://www.sektor.de/diversion oder die Spezialreise für Behinderte http://www.threepoint.de/reisen/rolls.html - per Mausklick kommt wohl jeder auf seine Kosten. Ob sich allerdings gerade solche beratungsintensiven Nischenangebote im Internet halten können, mag man angesichts der wirtschaftlichen Situation der Branche eher bezweifeln. "Nur für die Standardbuchung", erklärt denn auch Andreas Giller, geschäftsführender Gesellschafter des gleichnamigen Reisebüros in München, komme das Internet in Frage. Das mit rund 100 Millionen Mark Umsatz und 65 Mitarbeitern führende private Reisebüro für Firmenkunden lasse sich nicht vom bewährten Kurs abbringen. Bei Kunden, die ohnehin genau wissen, was sie wollen, bestehe für eine massive Internet-Präsenz keinerlei Veranlassung.

Heftige Kritik an der grassierenden Internet-Euphorie im Tourismus übt auch Wolfgang Kuck, DV-Leiter der Atlas-Reisen in Köln. "Ein informationstechnisch gestütztes Leistungsspektrum über vergleichbare Angebote ist im Internet nicht möglich", redet hier einer Klartext. Pauschalangebote mit 40 bis 100 Millionen Datensätzen zwingen die unter wachsender Last ohnehin ächzenden Netze erst recht in die Knie. Warum also Internet? Problem Nummer eins, so Kuck, sei der hohe Beratungsaufwand für eine touristische Reise. Und: "Wo geht man abends hin?" - Problem Nummer zwei. Auf diese und ähnliche Fragen gebe das Internet ebensowenig schlüssige Antworten wie es in der Lage ist, mehrere touristische Angebote, die in Zielort, Hotel, Zeitpunkt und Personenzahl auch nur annähernd übereinstimmen, miteinander zu vergleichen.

Was kaum jemand bedenkt und freilich auch nicht beim Namen nennt, ist das E-Mail-Problem. Zwar haben sich, worauf Kuck gerne verweist, zahlreiche "nontouristische" Anbieter à la Sixt oder auch Travel Overland - nur Flüge, keine Pauschalreisen - scheinbar im Internet etabliert. "Sie werden jedoch von E-Mails zugeschüttet." Allein das Beschwerde-Management verlange eine andere Struktur, als es online möglich ist.

Daß Investitionen in neue Technologien mit großen Erwartungen verbunden sind, läßt sich am Beispiel des Internet derzeit verfolgen. Die überwiegende Mehrzahl der aktiven Unternehmen fährt eine "Me-too-Strategie", ohne zu wissen, worauf sie sich letztlich eingelassen haben.

Return on Investment gibt es im Reisegeschäft allerdings auch anderswo - beim Sponsoring. Seit die durch massive Zuwendungen der Reiseveranstalter produzierten TV-Serien wie zum Beispiel "Traumschiff" im Fernsehen laufen, sind Kreuzfahrtangebote restlos ausgebucht.

Angeklickt

Ganz neue Geschäftszweige tun sich im Tourismusbereich bei konsequenter Nutzung des Internet auf. Autovermieter stürzen sich auch auf Flugbuchungen, Großveranstalter treten in elektronischen Kontakt mit dem Endkunden. Doch hat Electronic Commerce im Reisegeschäft auch seine Tücken. Noch müssen die Abläufe eingeschliffen oder getestet werden. Transparenz von Angeboten und Kosten sowie Schnelligkeit der Buchung sind Gebote der Stunde.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.