Internet im Unternehmen Traditionelle Firmen ueben sich in Zurueckhaltung

14.04.1995

An uebertriebenem Aktionismus bei der Einfuehrung neuer IT- Technologien krankt hierzulande kaum ein Unternehmen. Warum sollte es beim Internet anders sein? Mit spuerbarem Elan stuerzen sich vor allem die High-Tech-Firmen ins Netz der Netze. "Wir sind eine E- Mail-based Company", beschreibt Sun-Manager Donatus Schmid die Firmenkultur, in der ein Internet-Zugang fuer jeden Mitarbeiter Usus ist. In den traditionellen Branchen steht man dem Internet dagegen in bezug auf den Nutzen als Kommunikationsinfrastruktur und Vermarktungsschiene eher abwartend, wenn auch nicht ablehnend, gegenueber.

CW-Bericht, Stefanie Schneider

ABB.de, addison-wesley.de, AEG.de, basf-ag.de, Bertelsmann.de, BHF-Bank.de, Bosch.de, BraunAG.de, Conti.de, GermanLloyd.de, Henkel.de, kirchgruppe.de, Novell.de, Quantum.de, Siemens.de, SPIEGEL.de, sun.de, Varta.de - die Aufzaehlung deutscher Unternehmen, die ihren Firmennamen fuer die Praesenz im Internet als Domain eingetragen haben, liesse sich noch fortsetzen. Wer dahinter ein buntes Angebot an World-Wide-Web-(WWW-)Seiten und viele im Internet surfende Mitarbeiter vermutet, liegt allerdings daneben.

Die Homepage gilt zumindest in den traditionellen Industriezweigen noch keinesfalls als so imagetraechtig, dass ihr Vorhandensein als unverzichtbar angesehen wird. Eine Ausnahme bilden die High-Tech- Firmen und die Verlage, die die Kommunikations- und Interaktionsmoeglichkeiten dieser Technologie aufnehmen und auszuschoepfen versuchen - bei ersteren begruendet durch die Naehe zur Technik, bei letzteren durch die Hoffnung auf neue, umsatzversprechende Geschaeftsfelder. So bietet zum Beispiel der Fachverlag Addison Wesley sein Programm via Internet an und benutzt das WWW damit als Vertriebs- und Marketing-Plattform. Beim Batteriehersteller Varta erwaegt man derzeit, den "Varta-Fuehrer" eventuell online herauszubringen, wobei auch Alternativen zum Internet, etwa Compuserve oder Datex-J, in die Ueberlegungen einbezogen werden.

Kundenunterstuetzung wird online effizienter

Hersteller wie Microsoft, Oracle, IBM, Informix, Novell, Quantum oder Sun, um nur einige zu nennen, sind mit Servern im Web praesent. Auch Siemens verfuegt ueber eine Web-Site, die derzeit jedoch noch experimentellen Charakter hat. Die Inhalte bestehen meist aus Produkt- und Unternehmensinformationen sowie aus Verbindungen zu FTP-Servern (File Transfer Protocol), ueber die zum Beispiel Updates und Patches zum Download zur Verfuegung stehen. "Wir verteilen schon seit laengerem offline CDs, die neben Patches auch Fehlerdatenbanken und Artikel beinhalten. Dieses Angebot gibt es jetzt online, und es wird massiv genutzt", erklaert Donatus Schmid, Leiter Produkt-Marketing Zentral Europa bei Sun Microsystems in Muenchen. Die Vorteile von Online-Marketing liegen laut Schmid in der Moeglichkeit, die Akzeptanz einer Aktion genau nachpruefen zu koennen. "Anbieter erhalten eine Statistik, da jeder, der auf das Angebot zugreift, registriert wird."

Informationen und Software via Internet anzubieten reduziert zudem die Kosten, die sonst fuer die telefonische Kundenunterstuetzung anfallen. "Wir haben das Interesse, moeglichst viel auf dieser Basis abzuhandeln, weil es weniger arbeitsintensiv ist", aeussert Hans-Peter Henkel, Marketing-Leiter im Geschaeftsbereich Sun Service. Als die Kunden ihre Stoerungsmeldungen noch ueber Leased Lines und UUCP-Verbindungen (UUCP = Unix-to-Unix-Copy-Program) an den Hersteller sandten, waren die Nachrichten sehr unstrukturiert. Heute hat ein Unternehmen via WWW und dessen grafischer Oberflaeche die Moeglichkeit, den Benutzer zu fuehren und ihm zum Beispiel die Eingabe wichtiger Daten zwingend vorzugeben.

Herkoemmliche Marketing- und Vertriebswege wird das Internet nach dem heutigen Stand der Technik allerdings schon aufgrund der geringen Bandbreite nur bedingt ersetzen koennen.

"Auf eine CD gehen 600 MB. Diese Datenmengen ueber ein V.32-Modem zu holen dauert zu lange. Aber der Online-Katalog von Sun-Express, der derzeit den klassischen Katalog ergaenzt, wird diesen relativ bald ersetzen", vermutet Schmid.

Der Wunsch, neue Technologien wie das Internet als Schnittstelle zum Kunden zu benutzen, muss aus Sicht von Klaus Glatzel, DV/Org.- Leiter beim chemisch-pharmazeutischen Hersteller Merck E., Darmstadt, von den Fachabteilungen kommen. Die DV koenne nur auf Entwicklungen hinweisen und Entscheidungshilfe geben. "Wir werden uns sicher auch die Frage stellen, ob wir es aktiv im Sinne einer Darstellung von Merck nutzen wollen. Noch tun wir es nicht", so der IT-Fachmann.

Einfache Kommunikation ueber Firmengrenzen hinaus

In bezug auf den Effekt seien die Ueberlegungen dabei die gleichen wie bei herkoemmlichen Marketing-Massnahmen, etwa der Werbung im Fernsehen oder in Zeitschriften. Glatzel: "Es ist nur ein anderes Medium."

Bunte Kataloge und Firmeninformationen im World Wide Web zu praesentieren ist allerdings nur eine der Moeglichkeiten, wie sich das Internet fuer Unternehmenszwecke einsetzen laesst. Schliesslich handelt es sich dabei um einen weltweiten Netzverbund, der gerade durch seine Offenheit eine ideale Basis fuer die Kommunikation ueber Firmengrenzen hinaus darstellt. Gemeint ist damit sowohl der Nachrichten- als auch der Datenaustausch. Doch Internet-Anschluesse haben laengst nicht den Stellenwert von Telefonen oder Faxgeraeten, deren Existenz als "normal" angesehen wird. Firmenkultur und Umfang der elektronischen Kommunikation sind untrennbar miteinander verbunden.

"Wir sind eine E-Mail-based Company", formuliert Sun-Mann Schmid und bringt damit den Unterschied zwischen meist US-staemmigen High- Tech-Firmen und in traditionellen Bereichen taetigen Unternehmen auf den Punkt. "Die gesamte Kommunikation geht ueber E-Mail - es sind ueber eine Million Nachrichten taeglich", verdeutlicht Schmid. Der elektronische Briefverkehr fliesst ueber das weltweite Sun- interne Netz SWAN (Sun Wide Area Network) und ueber das Internet, zu dem jeder der 14 000 Mitarbeiter uneingeschraenkten Zugang hat.

Unternehmen muessen laut Schmid lernen, mit dieser Technologie umzugehen. "Es erfordert einen Verhaltenskodex. Wir koennen das sicherste System verwenden, aber wenn die Mitarbeiter Internet- Zugang haben, laesst sich nicht verhindern, dass einer ein hochsensibles Dokument auf einem breiten Verteiler nach draussen schickt. Deshalb unterschreibt bei uns jeder spezielle Datenschutzregelungen", verdeutlicht der Marketing-Profi.

Den Traditionsunternehmen Mail-Abstinenz zu unterstellen waere sicher falsch, doch mit dem Anschluss ans Internet sind die Firmen zurueckhaltend. "Was die weltweite Kommunikation betrifft, versuchen wir schon, das auf eine Schiene zu bringen, aber es sieht momentan nicht so aus, als ob diese Internet heissen wuerde", erlaeutert Peter-Michael Spreemann, der sich bei der Hannoveraner Varta Batterie AG um die Netzkoordination kuemmert.

Elektronische Briefe und Informationen via Internet tauschen in der Regel nur die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen oder einzelne DV-Spezialisten aus. "Wir nutzen Internet nicht sehr professionell. Ein Mitarbeiter verwendet es zur Kommunikation mit irgendeinem Softwarehaus", bemerkt der DV-Leiter eines Unternehmens, der nicht namentlich genannt werden will. Weitergehende Plaene in Sachen Internet bestuenden nicht.

Den Erfahrungen des Marketing-Spezialisten Schmid zufolge stellt die hessische Firma keine Ausnahme dar. "Wenn man Unternehmen aus der Grossindustrie fragt, ob sie sich ans Internet haengen, schreien sie entsetzt auf. Erkundige ich mich bei Systemadministratoren, haben die meist einen Zugang." Typischerweise gehen die IT- Fachleute von einem einzelnen System via Modem und damit ohne Risiko fuer das Inhouse-LAN ins weltweite Netz.

Die zweite Kategorie von Internet-Usern, die Mitarbeiter aus Forschung und Entwicklung, nutzen ihren Zugang zum Austausch wissenschaftlicher Informationen. "Wir arbeiten mit verschiedenen Institutionen und Firmen zusammen, die zum Teil in den USA sitzen. Die Mail-Verbindung dient schon allein dazu, dass unsere dortigen Partner trotz der Zeitverschiebung gut erreichbar sind", begruendet Netzbetreuer Juergen Kowatsch den Internet-Einsatz in der F&E- Abteilung von Varta.

Ausgiebige Reisen ins World Wide Web bleiben jedoch auch dieser Benutzergruppe versagt.

"Wir haben hier einen Datex-P-Zugang und gehen ueber das Deutsche Forschungsnetz ins Internet. Dieser Anschluss ist auf die Uebertragung wissenschaftlicher Daten beschraenkt", erklaert der Netzspezialist. Bei Varta beschraenkt man sich dabei auf Mail sowie auf Datenbankabfragen. Kowatsch: "Wir haben ueber zehn verschiedene chemische und technische Datenbanken, wofuer wir den Anbietern Nutzungsgebuehr bezahlen."

Aller Internet-Euphorie in den Medien und auf der Anbieterseite zum Trotz hat das TCP/IP-Netz in Unternehmen offensichtlich ein Imageproblem. "Es haftet dem etwas Anruechiges an. Jeder denkt zuerst an Universitaeten, Hacker und an Leute, die nichts anderes zu tun haben, als hier und dort mal zu schauen", spricht Varta- Mitarbeiter Spreemann aus, was moeglicherweise viele denken. Demzufolge stehen die Firmen dem Netz in bezug auf seine Tauglichkeit fuer die Business-to-Business-Kommunikation eher skeptisch gegenueber.

EDI via Internet noch nicht vorstellbar

Waehrend in den USA bereits erste Unternehmen Electronic Data Interchange (EDI) im Pilotversuch ueber das Internet betreiben, kommt es den deutschen DV-Managern kaum in den Sinn, Geschaeftsdaten ueber dieses Netz auszutauschen. "Fuer unseren Business-Verkehr benutzen wir Standleitungen X.25, X.400 oder GE. Wenn ich zum Beispiel eine X.25-Verbindung von hier nach Ellwangen habe, dann koennte ich mir ueberhaupt nicht vorstellen, das durch einen Internet-Anschluss zu ersetzen", konstatiert Spreemann, der in der Hannoveraner Varta-Zentrale sitzt.

Auch Mercks DV-Chef Glatzel glaubt nicht an eine exzessive Internet-Nutzung bei der Kommunikation zwischen grossen Unternehmen. "Die grossen Firmen werden anders bestellen - von Computer zu Computer, also das ganz normale EDI. Dazu brauchen sie kein Internet, dafuer hat man eine Leitung."

Die Bedenken gelten unter anderem der Sicherheit. So kommt ein Unternehmen, dass das interne Netz mit dem Internet koppeln will, um ein Firewall-System nicht herum. Diese Loesung wird als Schutzschild zwischen Inhouse-Netz und Internet geschaltet, kann aber keine 100prozentige Sicherheit bieten. Bei Sun gibt es fuer die 20 000 Rechner im SWAN nur eine solche Tuer nach draussen. "Das ist das bestgehuetetste System", weiss Schmid.

Ein grosses Manko stellt auch die geringe Kapazitaet des Internet dar. So sind die Unternehmen beim Datenaustausch meist auf eine garantierte Bandbreite angewiesen. "Wie es sich mir momentan darstellt, ist einfach das Zeitverhalten schlecht, der Overhead zu gross - das waere also kein Medium, auf das ich mich jetzt alleine stuetzen wuerde, um etwa einen Datenverteilverkehr aufzubauen", gibt Spreemann seine Erfahrungen wieder. "Ich vergleiche das immer mit der CeBIT. Dort gehe ich hin, um mich zu informieren, und dann aergern mich diese Sonntagsspaziergaenger, die mir den Weg versperren."