Wer gräbt wem das Geschäft ab?

Internet, Fernsehen und Print konkurrieren um Marktanteile

17.11.2000
MÜNCHEN (uo) - Medienkonvergenz lautet das Schlagwort, das die Radio- und Fernsehmacher, die Print-Verlage, aber auch die Internet-Economy erzittern lässt. So diskutierte die Branche auf den Münchner Medientagen, die unter dem Motto "Global Media, Fusionen, Visionen, Illusionen" stand, hauptsächlich, wie sich Bewährtes in neue Geschäftsmodelle retten lässt.

"Nach außen sieht alles propper aus, doch hinter den Fassaden bröckelt es", stellte Münchens Oberbürgermeister Christian Ude als Gastredner auf den Medientagen fest. Der ehemalige Print-Journalist bezog sich zwar auf die traditionellen Verlagshäuser, doch ist die Erkenntnis ohne weiteres auch auf die Fernseh- und Internet-Player zu übertragen. "Streaming Media" , die Multimedia-Technik, mit der sich jeder Zuschauer und Web-Nutzer sein eigenes TV-Programm komponieren kann, droht, die Branche aufzumischen.

Tatsächlich geht es den Anbietern, insbesondere im Print-Bereich, gut. Allein in München und Umgebung arbeiten derzeit rund 127000 Menschen in 11400 Medienunternehmen und erwirtschaften dabei einen Umsatz von zirka 38 Milliarden Mark (siehe http://195.30.239/fr_wirtschaftsinfos.htm). Das bedeutet: Die Zahl der Firmen stieg um 32 Prozent, die der Investitionen um elf Prozent und die Einnahmen um 40 Prozent. Mit rund 16 Milliarden Mark Umsatz sind daran 3000 Print-Unternehmen mit rund 53 000 festen und freien Mitarbeitern beteiligt.

Ausgerechnet das konkurrierende Internet bewirkte die "Renaissance der Print-Medien", wie Verleger Hubert Burda den Aufschwung bezeichnet. So führen die Wissenshäppchen im ergänzenden Online-Angebot den Zeitungen und Zeitschriften neue Leser zu - diese wollen mehr und Genaueres wissen -, neue Special-Interest-Blätter und News-Letters nehmen die Inhalte von Online-Communities auf, archivieren und verdichten sie. Es scheint so, als ob die Dualität Online-Print funktioniere. Doch noch immer tendieren die Verlage dazu, den redaktionellen Content einfach zu digitalisieren und ins Netz zu stellen. Dabei landet bestenfalls die schnelle Nachricht im Internet, die strukturierte Analyse in der Druckausgabe. Finanziert wird der Online-Auftritt nach wie vor durchweg aus den Einnahmen im Print-Sektor.

Das Modell impliziert verschiedene Probleme. Texte ins Web zu stellen reicht nicht. Mehrwert schaffen etwa Online-Archive, weiterverweisende Links, Spiele, Börsen- oder Sportticker, Audio- und Videostreams. Bezahlen will der Online-Leser das alles jedoch nicht.

Eine Refinanzierung des Online-Auftritts könnte nach heutiger Einschätzung auf vier Säulen beruhen: auf der Werbung, der Beteiligung an Online-Transaktionen, dem Sponsoring sowie dem E-Commerce. Das Verhältnis von redaktionellem Inhalt und Werbung in den Print-Medien regeln spezielle Gesetze. Das Internet gilt dagegen noch weitgehend als rechtsfreier Raum. Darüber hinaus ist es kein Geheimnis, dass Online-Werbung weder genügend einbringt noch ihre Wirkung hinreichend geklärt ist.

Außerdem kann ein Web-Link auf den Anbieter eines besprochenen Produkts vom Internet-User dankbar als Bequemlichkeit aufgenommen oder ärgerlich als Schleichwerbung abgewiesen werden. Letzteres vergrault den User und ruiniert die Glaubwürdigkeit der gesamten Marke, Online wie Print, befürchten die Verlagsvertreter von Focus Digital bis zum Süddeutschen und zum Konradin-Verlag.

E-Commerce kann aber auch im Weiterverkauf von redaktionellem Inhalt bestehen, von Fachleuten als Syndication bezeichnet. Abnehmer sind etwa Telekommunikationsfirmen und Banken, die ihren Kunden einen Nachrichtenservice bieten wollen, oder horizontale Portale, zum Beispiel die von Städten, Softwareanbietern wie SAP und reinen Internet-Companies wie Yahoo. Verkauft ein Verlag seinen Inhalt, geht unter Umständen die Identität der Marke verloren, da der Content nicht mehr originär, sondern mehrfach und unter verschiedenen Labels vorhanden ist. Der Verlag entwickelt sich zur Agentur.

Dieter Salein, Geschäftsführer des mittelständischen Fachverlags Vogel, Würzburg, kündigte an, sein Haus beabsichtige, Content an Dritte zu verkaufen. Bernd Kröger, Geschäftsführer des Konradin-Verlags, Leinfelden-Echterdingen, geht einen anderen Weg. Er befindet sich im Gespräch mit den Technologielieferanten IBM und SAP. Durch Kooperation mit den Anbietern von virtuellen Marktplätzen will er Investitionen im Multimedia-Bereich sparen. Fachverlage müssen sich laut Kröger weg vom Print-Geschäft hin zu "Community-Organizern" entwickeln, die Interessengruppen mit Spezialinformationen füttern.

Eine eigene Internet-Redaktion könne sich der Verlag jedoch nicht leisten, zudem seien qualifizierte Fachjournalisten Mangelware. Künftig sollen seine 95 Fachredakteure zunächst den Nachrichtengehalt ihrer Berichte als Online-Meldung zusammenfassen und dann mit Hintergrund angereichert für das jeweilige Blatt des Verlags aufbereiten. Ihre Texte landen in einer Datenbank, so dass sie mehrfach verwertbar und zudem über ein Online-Archiv abrufbar sind.

Dass die Web-Präsenz, soll sie überzeugend ausfallen, viel Geld kostet, bestätigt auch Bernhard von Minckwitz, Geschäftsführer des Bereichs Fachinformationen des Süddeutschen Verlags, München. Derzeit investiere der Verlagsbereich in die Neugestaltung des Web-Auftritts einen zweistelligen Millionenbetrag, der sich jedoch bereits in zwei Jahren amortisiert haben soll. Aus derzeit 48 Websites werden drei vertikale Portale: zum einen rund um die Bereiche "Werben und Verkaufen", zum zweiten "Recht" sowie drittens "Industrie". Und während Focus Digital, München, bereits darüber nachdenkt, die strikte Trennung zwischen Online- und Print-Redaktionen wieder aufzuheben, sollen hier die Web-Redaktionen komplett eigenständig arbeiten und sind in eigens gegründeten Gesellschaften organisiert, auch wenn sie mit dem Print-Pendant jeweils gemeinsame Bereichsleiter haben.

Die neue große Herausforderung sehen alle Verlage im "Streaming Media". Dahinter verbergen sich Techniken, die es den Anwendern ermöglichen, Audio- und Videoinhalte in Fernsehqualität via Kabel und Funk abzurufen. Christian Hellmann, Vorstandsvorsitzender der Tomorrow Internet AG, Köln, kündigte an, dass bereits im kommenden Jahr jede seiner Websites mit Bewegtbild ausgestattet sein wird.

Filmische Informationen sind unendlich attraktiver als reiner Lesestoff: Es lässt sich viel mehr Inhalt in kurzer Zeit transportieren und zugleich eindrücklicher darstellen. Die Werbung hat ähnliche Möglichkeiten wie im Fernsehen, kann den Zuschauer auch emotional ansprechen, ihre Wirkung vervielfacht sich. Damit müssen die Verlage in die Filmproduktion einsteigen. Dazu fehlen ihnen jedoch das Know-how, das Kapital und konkrete Pläne. Sicher scheint dagegen, dass Streaming Media etliche Verlagshäuser vom Markt fegen wird.

Etwas besser sehen sich die Rundfunk- und Fernsehsender positioniert. Sie verfügen über Content und wissen, wie er zu produzieren ist. Doch ist ihr Internet-Engagement wie bei den Verlagen auch ein vornehmlich textbasiertes Ergänzungsangebot. Auch die Sender bekommen die Auswirkungen ungeklärter Rechtsfragen im Internet zu spüren (siehe Kasten: "EU und Privatsender fordern neues Recht"). Während "Big Brother" als TV-Sendung der Kontrolle durch die Mediengesetze unterliegt, sind dem Hineinklicken in den Container zu jeder Tages- und Nachtzeit keine Grenzen gesetzt. Außerdem kann im Internet jeder ohne Rücksicht auf Landesrundfunkgesetze einen eigenen Sender eröffnen und damit den Etablierten Zuschauer abspenstig machen (Siehe Grafik: "Auswirkungen des Internets").

Darüber hinaus scheint sich ein "Duopol" bei den privaten Sendern zu entwickeln, wie "Focus"-Chefredakteur Helmut Markwort die fast flächendeckende Marktberherrschung der zwei Firmenfamilien Kirch und Bertelsmann bezeichnet. Am liebsten wäre den Sendern ein eigenes, nur für die Privaten geltendes Mediengesetz, das Jürgen Dötz, Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation, Bonn, bereits ausgearbeitet vorzuweisen hat.

Aber auch die Konkurrenz der Öffentlich-Rechtlichen im Internet bereitet den Privatsendern Kopfschmerzen. Die Rundfunkgebühren verzerrten den Wettbewerb, klagen sie. Unter anderem nutzen die Anstalten den Web-Auftritt wie die Privaten auch für den E-Commerce. Mit dem Verkauf von Fan-Artikeln und der Bewerbung von Rockkonzerten steckt das Business noch in den Kinderschuhen, doch wächst es schnell. "Wenn ihr, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter, nun in Werbung und E-Commerce macht, ist das der Fehdehandschuh für die Privatwirtschaft, dann gibts Ärger", drohte Burda auf den Medientagen den Vertretern von ARD und ZDF an.

Gereizt reagieren die Privatsender auch auf die Eigentumsansprüche der Kabelbetreiber. Sie etablieren sich als ganz neue Player im Medienmarkt. Im Sommer hatte der Kabelnetzbetreiber Primacom, der in Leipzig 70000 Haushalte versorgt, bereits versucht, sich einen eigenen Rechtsrahmen für die Kanalbelegung zu schaffen. Durch die Vermarktung von Programmpaketen mit unterschiedlichen Bezahlstrukturen kegelte der Anbieter kurzfristig Pro Sieben aus dem Geschäft. Nur jene Zuschauer, die bei Primacom Digital bestellen und dafür bis zu 30 Mark im Monat bezahlen wollten, sollten weiterhin das Pro-Sieben-Angebot beziehen dürfen.

Laut Burda zeigt das Beispiel, dass die Fernsehmedien ihre neuen Wettbewerber nicht einmal identifiziert hätten und daher nur schlecht Strategien entwickeln könnten. Solche Konkurrenten seien Time-Warner oder Yahoo. "Die studieren die Endverbraucher und bieten ihnen, was sie wollen", so der Konzernchef. Seiner Einschätzung zufolge sind diese Anbieter auf ihren Gebieten nicht mehr einzuholen.

Doch gerade Yahoo zeigt exemplarisch, dass sich auch die Anbieter im Medium Internet nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen können. Nach einer Untersuchung des Internet-Marktforschungsunternehmens MMXI, Nürnberg, entwickeln sich die horizontalen Plattformen wie Yahoo, Lycos und AOL mit durchschnittlich 34 Prozent zur Zeit gerademal so schnell wie der gesamte Internet-Markt. Vertikale Portale expandieren dagegen um ein Vielfaches schneller: Der Bereich Gesundheit dagegen wuchs von März bis August dieses Jahres um 717 Prozent, der Sektor Automotive legte um 46 Prozent zu. Die Anbieter dieser neuen Portale kommen jedoch aus der Old Economy, den Banken, dem Automobilbereich und dem Handel. Diese Firmen bringen mit, was sich Internet-Unternehmen noch erarbeiten müssen: ein Profil, das sie von anderen unterscheidet, eine Kundenbasis, eine Logistik, die E-Commerce erst möglich macht, und schließlich Content von Filmrechten bis zu Fachartikeln. Eröffnen Fernsehkanäle ihre Portale, ziehen sie zudem von vorneherein starke Aufmerksamkeit auf sich.

Yahoo und andere haben längst erkannt, dass sie Content benötigen, Aufkäufe und Kooperationen krempeln bereits den Medienmarkt um. Da mit Hilfe von Streaming Media prinzipiell bald jeder Internet-Fernsehen produzieren kann, verschärft sich die Konkurrenz um attraktive Inhalte noch. So nimmt zwar insgesamt die Information im Internet zu, hochwertiger Content jedoch wird zur umkämpften Mangelware.

EU und Privatsender fordern neues RechtDer Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) stellte auf den Münchner Medientagen seine Vorstellungen zu einem einheitlichen Regulierungsrahmen für private elektronische Medien vor. Dieser dient laut VPRT-Präsident Jürgen Dötz der Harmonisierung und Liberalisierung von Vorschriften für Rundfunkangebote und Mediendienste sowie dem Abbau von Wettbewerbsverzerrungen. So soll es eine generelle Zulassungspflicht nur noch für terrestrische Angebote geben, für die ein Landesrecht gilt, Kabel-, Satelliten- und Internet-Programme dagegen sollen zulassungsfrei sein. Beim Kabelnetz sieht der VPRT eine marktbeherrschende Stellung von Netzbetreibern. Er schlägt deshalb die Trennung des Netzbetriebs von den -inhalten vor. Darüber hinaus sei eine medienspezifische Konzentrationskontrolle unzeitgemäß, zumal die Kartellbehörden diese Aufgabe wahrnähmen.

Außerdem fordert der VPRT die Liberalisierung der Werbung. Sendezeitbeschränkungen sollen nur noch im Free TV gelten und der Jugendschutz Sache einer Selbstkontrolle der Medien sein, wobei die Landesmedienanstalten und die Obersten Landesjugendbehörden nur die Missbrauchsaufsicht haben.

Auch auf europäischer Ebene entwickeln sich neue Richtlinien , die der Medienkonvergenz gerecht werden sollen. Die EU-Kommission wird im kommenden Jahr Studien zu den Fernsehrichtlinien unternehmen und zu Beginn des Jahres 2002 eine öffentliche Konsultation anberaumen. Ende 2002 soll dann die überarbeitete Fassung der Richtlinie vorliegen.

Detlef Eckert leitet die Grundsatzabteilung der Generaldirektion Informationsgesellschaft in der EU. Er stellte auf den Medientagen den bisher erarbeiteten Rahmen zur Infrastruktur-Regulierung vor. Demzufolge sei eine Regulierung von Fernsehen antiquiert. Denn das interaktive, individuell zusammenstellbare TV befinde sich längst auf dem Vormarsch. Eckert sieht zwar für die kommenden drei bis vier Jahre nur eine langsame Verbreitung des Digital-TV, doch dann eine explosionsartige Entwicklung. Grundsätzlich sollten zudem alle Infrastrukturen in einem horizontalen Regulierungssatz gleich behandelt werden, um den Anbietern einen Zugang zu jedem Netz zu ermöglichen. Eckert schließt somit eine EU-Regulierung von Inhalten aus. Hier setze die Europäische Kommission weiterhin auf nationales Recht. Das gilt bereits für die im Frühjahr dieses Jahres verabschiedete E-Commerce-Richtlinie, die sich auf alle Online-Dienste erstreckt. Hier kommt das Ursprungslandprinzip zum Tragen, und zwischen Inhalten wird nicht differenziert.

Streaming MediaDer Begriff Streaming Media bezeichnet alle Techniken, die es ermöglichen, Multimedia-Inhalte über das Internet in Echtzeit zu verschicken und zu empfangen. Die Daten kommen von einem Server, der zugleich den Datenstrom berechnet. Der Empfang auf dem Client ist fortlaufend, wobei die Audio- und Videodarstellung beginnt, sobald genügend Daten vorhanden sind. Text, Sprache und Video werden zumeist getrennt gesendet und auf dem Client synchronisiert. Ist die Übertragung beendet, verschwinden die Inhalte wieder vom Client.

Zuschauer- und UmsatzwanderungDie Medienvertreter behaupten gern, dass es Zeitungen immer geben wird, genauso wie Fernsehzuschauer und Internet-Surfer, sprich: dass kein Medium dem anderen wehtut. Tatsächlich hat die Mediennutzungszeit in den vergangenen Jahren zugenommen; die Marktforscher sind sich allerdings uneins, um wie viel.

Derzeit soll der durchschnittliche Fernsehkonsument etwa 200 Minuten pro Tag vor der Kiste sitzen und der Internet-Nutzer 150 Minuten am Bildschirm. Außerdem kann der Print-Bereich (laut Fairfield Research Inc. aus Lincoln, Nebraska) vorweisen, dass ein Internet-Nutzer auch ein beflissener Leser ist. Während ein Durchschnittsmensch ohne Online-Connection nur 13,4 Minuten pro Tag liest, verbringt der Web-Surfer 15,8 Minuten mit Lesen. Zugleich wächst derzeit (Juli 2000) die Leserschaft um insgesamt 42 Prozent und die Lesezeit um 39 Prozent. Doch zugleich zeigt die 13. Shell-Jugendstudie von diesem Jahr, dass Jugendliche noch niemals so wenig Zeit mit Büchern oder Zeitungen verbracht haben wie gegenwärtig.

Die Studie von Infratest Burke Kommunikationsforschung (siehe Grafik) aus dem Sommer dieses Jahres zeigt unter anderem, welche Aktivitäten unter der zunehmenden Online-Nutzung leiden. 31 Prozent der aktuellen Internet-User verbringen weniger Zeit mit dem Fernsehschauen, nur drei Prozent der Befragten mehr Zeit. Damit bleibt eine Nettoabwanderung vom TV-Konsum zum Surfen von 28 Prozent.

Die Marktforscher von Pricewaterhouse-Coopers haben sich darüber hinaus mögliche Veränderungen bei den Werbeeinnahmen angesehen. Im Jahr 2004 wird demnach das Internet in Europa rund fünf Prozent des Werbeaufkommens an sich ziehen. 1999 waren es lediglich 0,5 Prozent. Die Zuwächse gehen vornehmlich zu Lasten der Print-Medien. Zeitschriften und Zeitungen verlieren jeweils zwei Prozent Marktanteil.