Neue Horizonte für das Personal Computing:

Intels 80386 schlägt die Brucke vom PC zur DV

22.04.1988

IBMs Personal Computer hat eine Akzeptanz erfahren wie bisher kein anderes Rechnersystem. Die Dynamik dieses Marktsegmentes hat durch die Erschließung völlig neuer Computeranwendungen zu wachsendem Leistungsbedarf bei den Usern geführt. Vorläufiger Schlußstein in der Entwicklung ist Intels 32-Bit-Prozessor 80386, der in geradezu idealer Weise einen Wachstumpfad für aufsteigende PC-Benutzer eröffnet.

IBM hat bereits die Losung ausgegeben, bis Ende des nächsten Jahres alle Arbeitsplatzrechner für Büroumgebungen (also mit Ausnahme der Risc-Workstation 6150) mit dem Intel-32-Bit-Prozessor auszustatten. Wenn auch nicht unbedingt damit zu rechnen ist, daß sich der gesamte Wettbewerb dieser Maßnahme anschließt - es gibt schließlich noch den nach wie vor wachsenden Sektor des von Big Blue aufgegebenen PC-Industriestandards - so sind Experten dennoch davon überzeugt, daß der 80386 künftig stark an Bedeutung gewinnen wird.

Wie kommt diese Karriere zustande, wo sich die Fachleute doch immer mehr darin einig sind, daß die Eigenschaften der Hardwarebasis für den Enduser stetig an Bedeutung verlieren? Die Antwort lautet: Es ist das einer solchen Maschine innewohnende Rechenpotential, welches die Grenzen des Möglichen immer weiter hinausschiebt, ob die konkrete DV-Anwendung nun davon Gebrauch macht oder nicht. Da unser Gesellschaftssystem immer bestrebt ist, Machbares auch tatsächlich zu realisieren, nutzen die realen Anwendungen nach und nach die neu angebotenen Möglichkeiten, und das wiederum hat für den Endanwender ganz konkrete Vorteile.

Praktisch gesprochen, erfüllt der Prozessor die Voraussetungen für eine Steigerung der Geschwindigkeit, der Komplexität und des Komforts der Software. Damit erschließt er neue Anwendungsbereiche für das Personal Computing, die aufgrund ihrer hohen Anforderungen an die Rechen- und Grafikleistung oder an die Speicherkapazität bisher weitgehend höheren Rechnerklassen, etwa aufwendigen Superminis oder teuren technischen Workstations vorbehalten waren. Beispiele sind CAD/CAE, Bürokommunikation unter Multitasking-Betriebssystemen, Finanzanalysen oder große Datenbanken.

Der Personal Computer basiert in seiner ursprünglichen Form auf dem 16-Bit-Prozessor mit 8-Bit-Datenbus, dem 8088. Der 80286 bot gegenüber diesem bereits eine Leistungssteigerung um etwa den Faktor 10. Diese Leistung verbessert nun der 80386 abermals um den gleichen Faktor. Und dabei, das dürfte eine ganz wesentliche Voraussetzung für seine Akzeptanz gewesen sein, ist er in der Lage, Software für seine obengenannten Vorgänger ohne Neukompilierung zu verarbeiten.

Für den Zugewinn an Leistung gegenüber seinen l6-Bit-Geschwistern sind beim 80386 eine Reihe architektonischer Maßnahmen verantwortlich, ebenso wie für seine Kompatibilität zu ihnen. So bildet der Registersatz des 80386 eine Obermenge desjenigen der 8088/8086. Diese acht übernommenen Register lassen sich auch als 8- oder 16-Bit-Register verwenden. Daraus und aus den Betriebsarten "Real Modus" und "virtueller 86-Modus" resultiert seine Kompatibilität zu den einfacheren 16 Bit-Prozessoren (siehe Tabelle).

Erweiterte bereits der 80286 den physischen Adreßbereich gegenüber dem 8086 von 1 MB auf 16 MB, so stellt ihn der 80386 mit seinen rund 4 Gigabyte durchaus in den Schatten. Ebenso eindrucksvoll ist der virtuelle oder logische Adreßraum des Prozessors: Er beträgt 64 Terabyte, das sind immerhin 64 Millionen Megabyte. Der Prozessor ist in sechs Funktionseinheiten unterteilt, die weitgehend unabhängig voneinander arbeiten können und mit der so entstandenen Teilparallelität den Datenfluß beschleunigen. Ein spezieller Pipelining-Mechanismus sorgt dafür, daß auch auf langsame dynamische RAMs mit drei Taktzyklen (bei 16 Megahertz Taktfrequenz) zugegriffen wird. Die Leistung, die sich aus diesen architektonischen Maßnahmen ergibt, beziffert Intel auf 4 bis 5 Mips.

Aber das ist noch nicht alles. Eine Memory Management Unit zur Verwaltung des virtuellen Speichers ist bereits integriert (und kann auf Wunsch des Systemprogrammierers auch umgangen werden). Konfigurierbare Speicherschutzmechanismen erlauben die Anpassung des Prozessors an seine jeweilige Umgebung. Für Echtzeitanwendungen in eingebetteten Controllern beispielsweise kann der Speicherschutz - wie beim 8086 zwangsweise aufgrund seiner Einfachheit - entfallen, für Multiuser-/Multitasking-Umgebungen lassen sich vier Schutzebenen bereits in der Prozessor-Hardware realisieren beziehungsweise aktivieren. Damit haben Intels Systemarchitekten ihre 32-Bit-CPU mit dem Potential versehen, das über die Singleuser-/Singletasking-Rechnerei der Personal-Computer-Welt hinauszuwachsen, für die ihre Vorgänger ursprünglich konzipiert waren.

Konsequenterweise ist der 80386 denn auch nicht nur in Super-PCs, Workstations oder ähnlichen Einplatzsystemen zu finden. Er tut seinen Dienst ebenso in Mehrplatz-Mikros und Abteilungsrechnern. Damit wird eigentlich klar, daß das MS DOS für den Prozessor kein adäquates Betriebssystem mehr sein kann, sondern allenfalls eine Zwangsjacke, die lediglich aus Gründen der Kompatibilität mit der herkömmlichen PC-Welt noch im Kleiderschrank hängt. OS/2, von IBM und Microsoft gewissermaßen als Maßanzug für den 80386 kreiert, läßt immer noch auf sich warten, und wo kein Betriebssystem vorhanden ist, gibt es logischerweise auch keine Anwendersoftware dafür.

Damit wäre der 80386 auch schon fast am Ende seiner kurzen Karriere, gäbe es nicht auch noch Unix und seine Derivate wie Xenix, Unix V/386 und dergleichen. Es existieren auch noch andere Betriebssysteme, die die 386-Fähigkeiten nutzen, darüber hinaus MS-DOS-kompatibel und - vor allem - verfügbar sind, wie etwa der Eumel-Abkömmling L3 oder PC-MOS 386. Anwendersoft ware wird allerdings derzeit in nennenswertem Umfang nur in der Unix-Welt angeboten.

Die Tendenz ist steigend, und wenn sich Microsoft und IBM nicht beeilen, könnte der Fall eintreten, daß OS/2 bei seiner Fertigstellung schon gar nicht mehr benötigt wird . . .