Intelligente Terminals durch verbloedete PCs zu ersetzen war nicht das Ziel Kalte eNTe: Produkt sucht User

28.10.1994

Kommentar von Thomas Zies*

Warum ein Sonderthema "NT"? Hat es Geburtstag? Dann muesste es ja fertig sein.

Bill Gates hat angekuendigt, eine Million Kopien im ersten Jahr zu verkaufen, und die Fachwelt hat es geglaubt. War ja auch der Trend: Nicht mehr die Hardwarehersteller monopolisieren den Markt, sondern die Softwarehaeuser. Big Green ledert Big Blue ab, und SAP schlaegt Sie wie Nix.

Das kann ich beinahe verstehen.

Ueberhaupt die Client-Server-Welle, auf der NT schwimmen soll: flotte Show am Desktop, Hoechstleistung auf dem Server. Leider ist die Client-Server-Idee schon ueber 20 Jahre alt, und trotzdem kapiert sie keiner. Ein intelligentes Terminal durch einen verbloedeten PC zu ersetzen war jedenfalls nicht das Ziel.

Was ich wiederum auch nicht begreife, sind die Marktprognosen, mit denen NT gestartet ist. Die sahen aus wie weiland die von OS/2, nur besser. Vielleicht weil die Qualitaet von Microsoft so beruehmt ist.

IBM hat seine helle Freude an NT, denn Konkurrenz wiederbelebt ja bekanntlich das Betriebssystem. OS-Halbe ist mit NT wieder aus der Kiste gesprungen und scheint in seinem jetzigen Zombie-Dasein erst richtig in die Gaenge zu kommen.

Man hat Microsoft mit IBM verglichen: Gates kopiert die Strategie! Das ist mir erst recht unbegreiflich. IBM hat angekuendigt, die Kunden bei der Stange gehalten, und dann irgendwann ein brauchbares Produkt ausgeliefert. Wenn jemand sagt, ich hab da was, das brauchen alle, wollen alle, bekommen alle, damit kann man rechnen, spielen, arbeiten, kommunizieren und schwimmen, dann ist das hoechstens Taktik und Reklame. Oder ich habe wieder etwas nicht verstanden.

NT hat sein Ziel nicht erreicht. Aber darin ist es nicht allein. Alles, was letztes Jahr im Trend lag, liegt heute auf der Intensivstation. Re-Engineering- und Client-Server-Projekte versagen, Outsourcing ernuechtert, CASE ist vorbei, Downsizing ist nicht immer Rightsizing, und wozu eigentlich Cyberspace?

NT ist auch ein Thema des letzten Sommerlochs. Wenn ich irgendetwas verstanden habe, dann ist es das: Ein Produkt braucht einen Markt. Den hat es, wenn es fuer Menschen nuetzlich ist. Gibt es Konkurrenz, dann entscheiden Kosten-Nutzen-Relationen ueber den Markterfolg.

"Better Unix than Unix" versprochen

Soll man den Markt der Betriebssysteme nach Zielgruppen aufteilen, um eine Absatzprognose zu ermoeglichen? Ich meine, ja. Die Kids, die Raubkopien von "Day of the Tentacle" und "Indiana Jones" installieren, brauchen kein NT. Sie wuerden es vielleicht als Raubkopie akzeptieren, wenn ein Game dabei ist.

Auf dem Desktop ist es frustrierend, kein richtiges Multitasking zu haben, von Multiprocessing ganz zu schweigen. Man kennt ja das Warten beim Drucken von DOS und Windows. NT waere da eine Alternative. Genau wie OS/2. Da waere ein Markt, gaebe es nur genuegend Anwendungen. Sicher werden irgendwann genuegend NT- Entwickler und eine brauchbare NT-Dokumentation existieren, um NT- Anwendungen erstellen zu koennen, die die Moeglichkeiten des Betriebssystems zum Tragen bringen.

Jetzt hat aber Bill Gates ein "better Unix than Unix" versprochen, ein Server-Betriebssystem. Das kann ich verstehen. Was ich dagegen nicht verstehe, ist, wie man als Journalist die IT-Kunden derart missverstehen kann, dass man im Unix-Markt eine nennenswerte Chance fuer NT sieht.

Immense Summen in Kernel-Hardening geflossen

Unix hat in weit ueber zwanzig Jahren einige wenige Derivate hervorgebracht, die realzeitfaehig sind, C2-Security nach Orange Book attestiert bekommen haben oder in hochverfuegbaren Umgebungen laufen. Dafuer sind immense Summen in Kernel-Hardening und Qualitaetssicherung geflossen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Anwendungen fuer Industrie, Behoerden, Transportunternehmen, Telekommunikation, Banken und Versicherungen auf einem Betriebssystem errichtet werden, das noch keine Zeit zur Reifung hatte. Druecken Sie bitte STRG+ALT+ENTF fuer meinen Software-Reset, wenn ich mich irren sollte.

*Thomas Zies ist Unternehmensberater in Vaterstetten bei Muenchen.