Verzögert die Vielfalt der Angebote die Realisierung?

Intelligente Netze lassen noch auf sich warten

27.08.1999
CW-Bericht, Martin Seiler Geräte ohne großen Aufwand an ein Netz anschließen und ohne Umwege auf Ressourcen zugreifen - der Traum vieler Anwender. Folglich ist der Markt für solche Intelligent Networks inzwischen heiß umkämpft: Zu Suns "Jini", Lucents "Inferno" und Microsofts "Universal Plug and Play" (UPNP) hat sich Hewlett-Packard (HP) mit "Chai Appliance Plug and Play" gesellt. Motorola will in diesem Zukunftsmarkt ebenfalls mitmischen.

Es ist eine bekannte Situation: IT-Manager aus verschiedenen Niederlassungen treffen sich, um konzernweite Strategien zu besprechen. Doch obwohl jeder sein persönliches Notebook dabei hat - in einem fremden LAN taugen diese zu gar nichts, nur die mitgebrachte Präsentation kann via Beamer vorgeführt werden. Soll der Rechner aber im fremden LAN Dokumente austauschen, E-Mails verschicken und empfangen oder Infos aus dem Internet zapfen, geht das ohne die entsprechende Treibersoftware und umfangreiche Konfigurationsarbeiten nicht.

Derlei Mißstände sollen intelligente Netzkonzepte beseitigen. Glaubt man den Versprechen von Herstellern wie Sun, Microsoft, Lucent oder HP, dann werden durch solche Verfahren künftig alle möglichen Geräte direkt nach dem Anschluß an das jeweilige Netz in der Lage sein, sofort auf darin vorhandene Ressourcen wie Speicher oder Drucker zuzugreifen. Das umständliche und zeitraubende Installieren von Gerätetreibern oder ähnliche Anpassungsarbeiten könnten endlich der Vergangenheit angehören.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Momentan bahnt sich unter den genannten Herstellern ein Kampf um diesen neuen Markt an. Jedem geht es dabei vorrangig darum, sein eigenes Verfahren als Standard zu etablieren. So ist leider noch nicht abzusehen, welche Technologie sich durchsetzen kann.

Viel Aufmerksamkeit zog Sun Microsystems auf sich, als es Anfang des Jahres in New York gemeinsam mit mehr als 30 Partnerunternehmen seine Java Intelligent Network Infrastructure (Jini) präsentierte. Die Technologie soll "Networking jederzeit und überall" ermöglichen und somit das Zusammenspiel verschiedener Geräte untereinander so simpel und selbstverständlich wie das Telefonieren machen.

Jini ist eine auf der Programmiersprache Java aufbauende Technologie, die das Verbinden von beliebigen Geräten über ein wie auch immer geartetes Netzwerk vereinfachen soll. Im Mittelpunkt steht dabei das Servicekonzept: Geräte oder auch Personen im Netz bieten Funktionen, die sie ausführen können, anderen als nutzbare Dienste an.

Dabei geht es um mehr als um die bloße Verknüpfung von Maschinen: Jini ermöglicht laut Sun auch das verteilte Computing. Das würde es beispielswei- se einem Anwender mit einem elektronischen Organizer wie 3Coms "Palm" erlauben, zur Ausführung komplexer Berechnungen auf einen Spezialrechner zuzugreifen, der anderen Maschinen diese Funktionen als Service bereitstellt.

Mehrere Konzerne der Unterhaltungsbranche arbeiten an Jini-Projekten, darunter Fujitsu, Sony, Toshiba und Seiko. Sharp entwickelt gemeinsam mit Partnern wie der japanischen Lebensversicherung Yasuda ein System, damit diese mit Sharps mobilen Rechnern via Jini auf Daten zugreifen können. Mit NTT Docomo, dem größten Mobilfunk-Carrier Japans, hat Sun eine Kooperation vereinbart, um Java und Jini in Handies zu integrieren. Sun-Ingenieur Jim Waldo ist sich sicher, daß Kunden in absehbarer Zeit beim Betreten eines Kaufhauses über ihr Handy direkt auf das dort vorhandene Netz werden zugreifen können, um etwa Preise, Lagerort oder Verfügbarkeit bestimmter Produkte abzufragen.

Rivale Microsoft macht derweil keinerlei Anstalten, Sun den Markt der automatischen Vernetzung kampflos zu überlassen. Unter dem Namen Universal Plug and Play (UPNP) hat die Gates-Company kurz nach der Vorstellung von Jini ein eigenes Verfahren angekündigt: "Ein intelligentes Gerät an ein Netz anzuschließen soll so einfach werden wie eine Haushaltsmaschine an eine Steckdose anzuhängen", erklärt Alec Saunders, Microsofts Group-Planning-Manager für Home Networking.

Anfänglich mußte sich die Softwareschmiede den Vorwurf gefallen lassen, UPNP existiere nur auf dem Papier und sei mit heißer Nadel gestrickt, um mit dem Erzkonkurrenten aus dem Silicon Valley gleichzuziehen. Dann ließ Microsoft aber Taten folgen: Kurz nach der CeBIT ''99 brachte das Unternehmen eine erste Spezifizierung für UPNP, auch fanden sich Hersteller, die das Verfahren unterstützen wollten. Zusätzlichen Antrieb erhoffte sich die Gates-Company durch die Gründung des UPNP-Forums (www.upnp.org).

UPNP setzt auf Microsofts Betriebssystemen Windows 3.1, 9x und CE auf. Entgegen ursprünglichen Befürchtungen betont Microsoft jedoch, das zugrundeliegende Modell sei keineswegs PC-zentrisch. Als Kommunikationsprotokoll dient das Internet Protocol (IP), auch sonst will Microsoft auf offene Web-Standards setzen. Im Unterschied zu Suns Ansatz hat es jedoch den Anschein, als ziele der Softwareriese mit UPNP vor allem auf das Zusammenspiel verschiedener Geräteklassen - bislang scheint das Verfahren nicht für verteiltes Computing ausgelegt zu sein.

Diesem Problem widmet sich Microsoft jedoch mit einem anderen Projekt, das unter dem Codenamen "Millennium" bekannt ist. Einem Positionspapier auf den Web-Seiten des Unternehmens zufolge sollen sich mit dieser ebenfalls auf der Windows-Plattform aufbauenden Technik verteilte Systeme realisieren lassen, die sich von selbst konfigurieren und feinabstimmen.

Microsoft baut auf Directories

Eine wesentliche Rolle innerhalb von UPNP spielen Verzeichnisdienste. Bei ihnen sollen sich die im Netz vorhandenen Dienste registrieren, das Directory beantwortet Service-Anfragen dann stellvertretend für die angeschlossenen Geräte. Microsoft kann ebenfalls bereits auf konkrete Resultate verweisen: Der auch in Deutschland vertretene Hersteller Axis Communications hat eigenen Angaben zufolge bereits einen Print-Server, einen CD-Server und eine Web-Kamera entwickelt, in die Microsofts neue Technologie integriert ist.

In puncto Intelligent Networks verfolgt Hewlett-Packard (HP) eine etwas mehrdeutige Strategie. Das Unternehmen verfügt mit "Jetsend" über ein einfaches Verfahren für die Kommunikation zwischen Peripheriegeräten, beispielsweise einem Drucker und einer Digitalkamera. Größter Vorteil: Es erlaubt den Verzicht auf eine zwischen den Komponenten vermittelnde Instanz. Im genannten Beispiel muß kein PC vorhanden sein, damit ein Anwender seine digitalen Schnappschüsse ausdrucken kann. Allerdings erschöpft sich damit auch schon das Repertoire von Jetsend. An die Funktionen von Jini oder UPNP reicht es bei weitem nicht heran.

Nach der Vorstellung von Jini gab HP sich zunächst zurückhaltend, verkündete aber kurz darauf, man wolle "Synergieeffekte zwischen Jetsend und Jini erkunden". Inzwischen hat der Hersteller Chai vorgestellt, ein Konzept zur Gerätevernetzung, das laut Hersteller in direkter Konkurrenz zu Jini steht. Chai Appliance Plug and Play ist eine konkrete Umsetzung dieses Entwurfs, mit der sich HP zugleich auf Microsofts Seite geschlagen hat.

Die Software geht von der Idee aus, daß alle Maschinen und Anwendungen ihre Dienste über eine Webpage zugänglich machen können. Das in Java geschriebene Programm soll auf diese Weise das Entdecken von Geräten und Anwendungen in vernetzten Umgebungen unterstützen. Via Chai Appliance lassen sich zudem Systeme mit eingebetteten Chips über einen Web-Browser ansteuern und kontrollieren, wie HP hervorhebt. Dabei kommt das gemeinsam von HP und Microsoft entwickelte Simple Service Device Discovery Protocol (SSDP) zum Einsatz. Die zwei Hersteller wollen das Verfahren, das zum Auffinden von Services in Universal-Plug-and-Play-Umgebungen dient, der Internet Engineering Task Force (IETF) zur Standardisierung vorlegen.

Der ursprünglich im Telekommunikationssektor beheimatete Konzern Lucent Technologies verfügt mit Inferno über eine Technologie, die Jini nicht unähnlich ist. Es handelt sich laut Lucent um ein Netz-Betriebssystem, das eine Grundlage für verteilte, vernetzte Applikationen bietet. Sicherheitsfunktionen und Authentifizierung, aber auch Protokolle, Verzeichnisdienste und Netz-Schnittstellen sind darin enthalten. Es baut auf der Programmiersprache Limbo auf, die - ähnlich wie Suns Java - in einer speziellen plattformunabhängigen Software-Umgebung abläuft, vergleichbar der "Java Virtual Machine" (JVM). Ressourcen, etwa Daten, Netzverbindungen oder Geräte, werden unter Inferno als Dateien dargestellt. Inferno stellt "Namespaces" bereit, einen Satz Funktionen, die für das Erstellen verteilter Anwendungen nötig ist. Entwickler können so Applikationen für verteilte Netzumgebungen schreiben, ohne netzspezifischen Code programmieren zu müssen.

Neuzugang

Motorola wagte erst vor kurzem einen Vorstoß in Richtung intelligentes Networking und Vernetzung der privaten Heime. Der Hersteller hat zwar offiziell genau wie HP die Unterstützung von Jini angekündigt, das hinderte ihn aber nicht daran, fünf Millionen Dollar in den Aufbau des Digital DNA Laboratory am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) zu stecken. Gemeinsam mit den Forschern um Nicholas Negroponte will das Unternehmen ein Verfahren entwickeln, das die Kommunikation zwischen intelligenten Haushaltsgeräten, PDAs, Set-top-Boxen und Autos ermöglicht. Für Negroponte, den Direktor und Mitbegründer des MIT Media Lab, stellt dies das "Zusammenwachsen von unabhängigen Maschinen zu einer nahtlosen Gesellschaft intelligenter Mechanismen" dar.