"Permanente Revolution" bei Mikroprozessoren:

Intel überholt die RlSC-Konkurrenten

17.03.1989

MÜNCHEN (ch) - Einen neuen Mikroprozessor der Superlative hat Intel mit seinem i860 vorgestellt. Das kleine Kraftpaket kommt auf eine Leistung von 120 Millionen Operationen je Sekunde. Geplant war der 64-Bit-Prozessor zunächst für den begrenzten Markt der Koprozessoren - seine Fähigkeiten entdeckte Intel erst auf Intervention der Kunden.

Das Produkt geisterte bereits seit einiger Zeit unter der vorläufigen Typenbezeichnung N10 durch die Presse. Ursprünglich sollte der Prozessor als Add-On zu den 80386- und -486-Maschinen vermarktet werden. In diesem Rahmen hätte er aus einem PC eine Hochleistungs-Workstation gemacht. Eine Anzahl handverlesener Intel-Kunden, denen der Prozessor für Testzwecke zugegangen war - darunter die deutschen Unternehmen Kontron, PCS und SPEA - erkannten jedoch das Potential des neuen Superchips und machten Intel darauf aufmerksam. Der kalifornische Prozessor-Spezialist reagierte prompt und paßte das Marketing-Konzept den Kundenwünschen entsprechend an - so wußte jedenfalls das Wall Street Journal zu berichten.

Integrationsumfang eine Million Transistoren

Nach dem neuen Konzept will Intel den Chip nicht nur als Koprozessor für PC-Zusatzkarten vermarkten, sondern auch als unabhängige Zentraleinheit. Die Leistungsdaten des Stücks Silizium liegen jedenfalls auch nach Angaben unabhängiger Beobachter über denen sämtlicher Konkurrenten. Der Integrationsumfang des Chips beläuft sich auf eine Million Transistoren, verschaltet zu je einer Integer-, Grafik- und Vektoreinheit sowie einer virtuellen Speicherverwaltung und zwei Caches für Daten und Instruktionen. Die drei Hauptfunktionseinheiten arbeiten parallel, was die Systemleistung entsprechend erhöht.

Allein die Integer Unit liefert nach Intel-Angaben eine Leistung von 33 VAX-MIPS (bei einer Taktfrequenz von 40 Megahertz). Gleichzeitig führt die Vektoreinheit bis zu 80 Megaflops (einfache Genauigkeit) durch, und die Grafikeinheit berechnet 50 000 Goraud-Dreiecke; dabei unterstützt sie Hidden Line Removal und Shading. Das interne Bussystem ist 192 Bit breit und kommt auf Übertragungsleistungen von einem Gigabyte je Sekunde.

Anwendersoftware ist noch nicht erhältlich

Der i860 arbeitet mit einer vierstufigen Pipeline und ist mit Feinheiten wie Scoreboarding, Bypassing und Delayed Branching ausgestattet. Die Integer Unit ist in RISC-Architektur implementiert. Der Datencache (8 KB) läßt sich auch als Vektor-Registerbank nutzen. Der 750 US-Dollar teure Prozessor arbeitet bei Taktfrequenzen von 33 und 40 Megahertz; eine 50-MHz-Version ist für das kommende Jahr geplant.

Zur Entwicklungsunterstützung bietet Intel zunächst einen Assembler an sowie Linker, Simulator und Debugger; dazu kommen Compiler für C und Fortran. Die Nutzung der Vektoreinheit ermöglicht ein vektorisierender Fortran-Pre-Prozessor. Weiter stellt das Unternehmen eine Routinenbibliothek für Arithmetik und Vektorverarbeitung bereit. Für das vierte Quartal dieses Jahres kündigte Intel eine multiprozessorfähige Version von Unix System V 4.0 an.

Unterdessen hat eine Reihe von Herstellern angekündigt, den Prozessor in Neuentwicklungen einbauen zu wollen; einige Anbieter zeigten sogar schon Fertigprodukte mit dem i860. So will Olivetti den Chip zur Zentraleinheit der geplanten Supermini-Serie LSX machen. Altos will damit einen Mehrplatzrechner für 256 Bildschirmarbeitsplätze bauen. Auch IBM, Ardent, The Santa Cruz Operation und Tektronix zeigten Interesse an dem Prozessor. In Deutschland fand der Superchip besonderen Anklang: Der Workstation-Hersteller PCS in München hat ein Multiprozessor-Subsystem mit dem i860 für Unix-Workstations angekündigt, der CAE-Spezialist Kontron zeigte gar eine fertige Koprozessorkarte mit Intels jüngstem Sprößling, mit dessen Hilfe sich ein AT zur Hochleistungs-Workstation ausbauen läßt.

Bei allem Applaus in der Computerszene für den Power-Winzling fehlen allerdings auch die Wermutstropfen nicht. So ist wichtige System- und Anwendersoftware bis auf weiteres nicht erhältlich. Von Software-Kompatibilität zu existierenden Systemen kann keine Rede sein. PCS-Entwicklungschef Jürgen Habermaier kommentierte die Entwicklung so: "Wir sehen das mit einem lachenden und einem weinenden Auge."