Die Halbleiterindustrie leckt ihre Wunden

"Intel Inside" ist out

12.10.2001
Absatzkrise, Preisverfall, Kursverfall. Diese drei Begriffe skizzieren die Situation der Halbleiterbranche, mit der momentan auch an der Börse kein Staat zu machen ist. Von Stephan Hornung*

Wie schnell sich die Stimmung hinsichtlich einer Branche ändern kann, zeigten zuletzt nicht nur die Internet-Firmen, sondern auch die arg gebeutelte Halbleiterindustrie. Zur Erinnerung: Noch im Frühjahr vergangenen Jahres lag Intel in puncto Marktkapitalisierung kurzzeitig sogar vor Microsoft, ebenso war der Infineon-Börsengang Thema in ganz Deutschland. Gut eineinhalb Jahre später ist die Lage nicht wiederzuerkennen. Die Kurse implodierten regelrecht, es hagelte Umsatz- und Gewinnwarnungen, statt unbegrenzten Wachstums kommt es zu Massenentlassungen und Kurzarbeit. Und der Anleger soll noch erfreut sein, wenn beispielsweise aus dem Hause Infineon zu hören ist, dass das Geld trotz der jüngst erfolgten Kapitalerhöhung inklusive Kreditlinien noch für zwölf Monate "reiche".

Dabei war vorherzusehen, dass die Bewertungen utopisch hoch waren und es früher oder später zu Überkapazitäten kommen würde. Genauso wahrscheinlich ist es aber auch, dass sich die aktuell sehr schlechte Stimmung wieder ins Gegenteil umkehren wird. Die Chipbranche ist sehr zyklisch, und daran wird auch die derzeitige Absatzkrise bei Handys und das Für und Wider der Wachstumsaussichten mit UMTS nicht viel ändern. Allerdings: So viel Skepsis wie derzeit war lange nicht mehr unter den betroffenen Firmen sowie den Analysten zu finden. So gut wie niemand rechnet derzeit mit einem kurzfristigen Aufschwung. Auch für den langfristig orientierten Anleger bieten sich daher im Moment Chipaktien kaum als Investment an.

Dominanz von Intel ungebrochenEinzige Ausnahme dürfte Branchenprimus Intel sein. Dem Unternehmen gelang es in den letzten Jahren, seine Umsätze signifikant zu erhöhen und kontinuierlich die Erwartungen der Analysten zu übertreffen. Allerdings gab es auch beim Marktführer immer wieder kleinere Rückschläge. Die sinkende Nachfrage nach PCs lässt auch den Blue Chip der Branche unberührt. Die Vergangenheit zeigt aber, dass gerade Intel immer gestärkt aus Krisen hervorging. Dies ist auf die Finanzkraft der Company zurückzuführen, die es ermöglicht, auch in schwierigen Zeiten hohe Forschungsbudgets zu bewilligen und die ohnehin schon dominante Marktposition auszubauen.

Ganz anders sieht es da schon bei dem selbsternannten Wettbewerber Advanced Micro Devices (AMD) aus. Zwar gelang es AMD in diesem Jahr erstmals, Intel ein paar empfindliche Niederlagen beizubringen. So präsentierte der Hersteller früher als Intel einen prestigeträchtigen Gigaherzprozessor. Dies führte kurzzeitig zu höheren Preisen und damit steigenden Margen für AMD. Mittlerweile hat aber auch AMD wieder mit den Absatzzahlen bei PCs zu kämpfen - und dem ewigen Preiskampf mit Intel. Die jüngste Gewinnwarnung, die AMD abgeben musste, spricht Bände. Problematisch für das Unternehmen ist vor allem, dass man über viel weniger Kapitalressourcen als Intel verfügt und damit Gefahr läuft, in der nächsten Aufschwungphase nicht mit den neuesten Intel-Produkten mitzuhalten. Dass die Aktie für den Langfristanleger nicht geeignet ist, zeigt der Chart eindrucksvoll: Der Titel notiert heute niedriger als 1985!

Infineon: Sanierungsfall par excellence?Infineon, der einzige große deutsche Chipwert, kann noch keine Historie vorweisen. Die Ankündigungen zum Börsengang erwiesen sich alle als Makulatur. Wie wenig sich die Aktie als seriöses Investment eignet, zeigt die zitierte Aussage zur Überlebensfähigkeit ohne weitere Kapitalaufnahme von "beachtlichen" zwölf Monaten. Wie wenig der Siemens-Konzern von seiner Halbleitertochter überzeugt ist, verdeutlicht die Abgabe von Infineon-Aktien an die eigenen Pensionsfonds im Vorfeld der Kapitalerhöhung. Schon vor dem Börsengang war die Halbleitersparte das Sorgenkind von Siemens, das zum IPO plötzlich hohe Gewinne vorweisen konnte. Jetzt hat man es wieder mit dem gewohnten Fass ohne Boden zu tun. Der Aktie dürfte aufgrund der gesunkenen Marktkapitalisierung auch der Ausschluss aus dem Dax drohen.

Wesentlich solider erscheint ein Investment in Texas Instruments (TI), wenngleich die Aktie mit einem Kurs-Umsatz-Verhältnis von knapp über vier noch zu teuer ist. Die charttechnische Übertreibung vom Frühjahr 2000 wurde mit fast 75 Prozent Kursverlust inzwischen aber schon gut abgebaut. Der Langfristchart zeigt jedoch ebenso klar auf, dass es sich bei TI um einen "Value Creator" handelt. TI musste allerdings wie die meisten Chipwerte auch operativ Einbußen hinnehmen. Der Halbjahresumsatz ging um 20 Prozent auf 4,5 Milliarden Dollar und der Gewinn sogar um 98 Prozent zurück. Nach Intel sollte dieser Titel aber dennoch die zweite Wahl bei größeren Chipaktien sein.

Trauriges Kapitel PhilipsNoch düsterer sieht es beim niederländischen Traditionskonzern Philips aus. Hier brach der Quartalsumsatz um 16 Prozent auf 7,7 Milliarden Euro ein, und aus einem beachtlichen Gewinn von 3,6 Milliarden Euro wurden 770 Millionen Euro Verlust - mit ein entscheidender "Verdienst" des Halbleitergeschäfts. Ein klarer Vorteil von Philips ist allerdings, dass es nicht nur in der Chipbranche tätig ist und beispielsweise mit der Medizinsparte auch kontinuierliche Wachstumstreiber vorweisen kann.

*Stephan Hornung ist Analyst der CMW GmbH in München. Die hier veröffentlichten Informationen beruhen auf Quellen, die wir für vertrauenswürdig und zuverlässig halten. Trotz sorgfältiger Quellenauswahl und -auswertung können wir für Vollständigkeit, Genauigkeit und inhaltliche Richtigkeit der Angaben eine Haftung nur insoweit übernehmen, als grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz Haftung begründen. Jede darüber hinausgehende Haftung wird ausgeschlossen. Für Angaben Dritter übernehmen wir kein Obligo, Aktienanlagen sind durch stärkere Kursschwankungen gekennzeichnet.