Bei 7,6 Giga-FLOPS zehnmal billiger als eine Cray Y-MP

Intel bringt Top-end-Super auf Basis parallelisierter 860-Chips

19.01.1990

LONDON (zek) - Einen neuen Supercomputer mit paralleler Architektur hat Intel vorgestellt. Das System mit der Bezeichnung IPSC /860 basiert auf dem RISC-Prozessor 860. Zielmärkte sind traditionelle Supercomputer-Anwender und die Finanzwirtschaft.

Hergestellt und vertrieben wird die neue Rechnerfamilie von Intel Scientific Computers, einem Unternehmensbereich, der seine Zentrale in Beaverton im US-Bundesstaat Oregon hat. Der technische Aufbau der neuen Systeme orientiert sich an den Supercomputern der Serie IPSC/2.

Ihre Hauptmerkmale sind Hauptspeicher von 64 Megabyte bis 2 Gigabyte, das sogenannte "Direct-Connect"-Netzwerk für die bis zu 128 Prozessorknoten und eine eigene Entwicklungsumgebung für parallele Systeme.

Nach Herstellerangaben verfügt das neue System über eine numerische Rechenleistung von 7,6 GFLOPS (Milliarden Fließkomma-Berechnungen in der Sekunde) beim Maximalausbau auf 128 Prozessorknoten; es ist dabei aber im Vergleich mit dem Wettbewerbsmodell Cray Y-MP um den Kostenfaktor zehn billiger.

In der Einstiegsversion mit acht Prozessorknoten erreicht ein IPSC /860 480 MFLOPS. So wie die anderen Intel-Supercomputer können sie alle Standardnetzwerke und die dazugehörige Workstationumgebung integriert werden.

In Europa wird das erste System IPSC 1860 an die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) in München ausgeliefert. Es soll dort in den Bereichen Umweltforschung und medizinische Strahlenforschung eingesetzt werden.

Die technische Universität München, Lehrstuhl für Rechnertechnik, hat bereits eine Option für ein System ausgesprochen. Es soll als Computerserver in einem Sonderforschungsbereich eingesetzt werden, der Arbeiten im Topsys-Projekt (Tools for parallel System) fortsetzt und neue Algorhythmen untersucht.

In den Vereinigten Staaten haben das Wall-Street-Finanzhaus Prudential-Bache, Ford, Boeing, die NASA und das Oak Ridge National Laboratory die neuen Rechner bestellt. Prudential-Bache ist das erste Unternehmen der Finanzbranche, das Parallel-Superrechner einsetzt.

Seit Mitte 1989 verfügt das Unternehmen bereits über ein System IPSC 12 mit 32 Konkten auf Basis des 80386. Zusammen mit dem neuen Rechner dient es der Berechnung und Simulation komplexen wirtschaftlicher Zusammenhänge.

Das auf die Rechner implementierte verteilte Betriebssystem Chorus ermöglicht eine Echtzeit-Unix-Umgebung auf allen Knoten. Damit soll auf dem IPSC 1860 Echtzeit-Datenerfassung und Signalverarbeitung möglich gemacht werden.

An Systemsoftware sind unter anderem die Pakete "Forge" und "Interwork 11" sofort verfügbar. Forge von Pacific Serra erlaubt die einfache Portierung von Fortran-Programmen in die -parallele Systemumgebung. Interwork II ermöglicht objektorientierte Programmierung mit mehreren tausend Prozessen in einem großen IPSC /860-System.

Die Ankündigung der neuen Intel-Rechner ist das erste kommerzielle Ergebnis des vom US-Verteidigungsministerium finanzierten "Touchstone"-Projekts. Dabei sollen bis zum Jahre 1991 massive parallele Systeme mit bis zu 2000 Mikroprozessoren entwickelt werden.

Intel will mit der Auslieferung der ersten Rechner im April beginnen, die Preise beginnen bei 530 000 Mark für eine Einstiegsversion.

Supercomputer für neue Anwenderkreise

Schneller, größer, billiger und mit immer neue Technologien - die Szene der High-end-Supercomputer entwickelt sich fast genauso rasant wie die PC-Technik am anderen Ende des Computerspektrums jetzt setzt Intel mit einem neuen Parallelrechner auf Basis vernetzter 860-Prozessoren Maßstäbe in Leistung und Preis, bald werden Cray, Convex oder Tandem antworten. Intel hat mit seiner letzten Ankündigung aber ein für alle Superrechner-Anbieter neues Terrain erschlossen: Neben den klassischen Anwendern steigt jetzt auch die Finanzwelt in das Number-Crunching ein. Voraussetzung, daß so etwas irgendeinen Sinn macht, sind natürlich geeignete Applikationen für diese Branche jeder Hersteller, der solche bereit stellen kann, hat in Zukunft bei Banken, Investment-Häusern oder großen Unternehmensberatungen mögliche Kunden. Wenn die Hersteller diesen Trend ausnutzen, werden sie ohne Zweifel bald auch andere Anwenderkreise für die Zahlenfresser gewinnen - und sei es als Statussymbol. zek