Electronic Commerce/Hinter den Kulissen des elektronischen Handels

Integrierte E-Commerce-Lösungen liegen bereits im Trend

16.10.1998

SAP, Baan, J.D. Edwards oder auch Brain International haben bereits mit neuen Produktversionen auf die Wünsche der elektronischen Händler reagiert. Andere Hersteller wie zum Beispiel JBA in Villingen-Schwenningen werden noch in diesem Jahr E-Commerce mit der neuen Version ihrer PPS-Lösung anbieten. Weitere Anbieter werden folgen.

Bei den Anwendern indes herrscht in Sachen E-Commerce nach wie vor ein großer Informationsbedarf. Beispielsweise registriert die Integrata Training AG in Tübingen eine ausgesprochen große Nachfrage nach entsprechenden Schulungen. "Das Wachstum bei Kursen zu den Themen Intranet, Internet und E-Commerce beträgt im Moment rund 400 Prozent. Hier existiert noch viel Unsicherheit", erklärt Thomas Christinck, Produkt-Manager bei Integrata.

Den Anwendern stellt sich die Frage, für welche Lösung sie sich entscheiden sollen. Kostengünstig ist in jedem Fall eine Stand-alone-Version, die als unabhängiges System nicht in die DV-Struktur eingebunden wird. Wählt ein Unternehmen hingegen eine durchgängige Electronic-Commerce-Anwendung, die an die Warenwirtschaft angeschlossen ist, so hat es sich für die teurere, aber auch effizientere Lösung entschieden: "Wenn Schnittstellen nicht elektronisch unterstützt werden, können große Mehraufwände entstehen. Die Wirtschaftlichkeit einer E-Commerce-Lösung wird dadurch in Frage gestellt. Die Zukunft liegt darin, ein solches System in die bestehen- de Anwendungslandschaft des Unternehmens zu integrieren, und zwar möglichst schnittstellenfrei, das heißt über die Datenstruktur", erläutert Walter Brenner von der Technischen Universität Bergakademie Freiburg. Ob Firmen eine Anbindung ihrer E-Commerce-Lösung an das Warenwirtschaftssystem planen und den elektronischen Handel in Unternehmensprozesse wie Workflow, Lieferketten-Management (Supply-Chain-Management = SCM) oder Data-Warehouse-Nutzung einbinden, kann auf lange Sicht über die Wirtschaftlichkeit der Lösung entscheiden. Denn ein durchgängiges System schafft mehr Transparenz, und der manuelle Aufwand bei der Eingabe entfällt.

Die Ansätze der Softwarehäuser weisen bei der Implementierung einer Anwendung für den Handel im Internet in Richtung Systemdurchgängigkeit. So betrachtet J.D. Edwards E-Commerce als ein ganzheitliches, transparentes System, das eng mit SCM verknüpft ist: "Zum elektronischen Handel zählt für uns alles, was in Verbindung mit SCM steht, das heißt die Integration vom Lieferanten bis zum Endkunden", erklärt Annette Lorey, Presales-Managerin des Unternehmens. Auch JBA schließt in seine Lösung ein SCM ein: "Es regelt im Unternehmen den kompletten Warenfluß vom Rohstoffhersteller bis zum Endkunden über alle Stufen hinweg. Im Zusammenhang mit E-Commerce ist ein derartiger Informationsablauf sehr wichtig", erklärt Hanns-Christian Palka, Marketing Director bei JBA.

Anwender müssen auch auf der Hardwareseite die Systeme integrieren und damit eine durchgängige Datennutzung erzielen. Die meisten Anbieter haben sich auf diese Bedürfnisse eingestellt. Eine Verbindung verschiedener Systeme ermöglicht Middleware, die Hersteller wie zum Beispiel die Baan Company oder J.D. Edwards auf den Markt gebracht haben: "Wir setzen hier eine objektorientierte Lösung ein. Sie koordiniert die Zugriffe auf die unterschiedlichen Rechner und Datenbanksysteme", erklärt Karl-Heinz Plünnecke, Vice-President Presales bei Baan. "Unsere Middleware steht in Verbindung mit einem Backbone, unabhängig davon, was für ein Front-end der Anwender hat. Es ist egal, welche Technologie er nutzt, weil die Middleware die Kommunikation mit der eigentlichen Software übernimmt", erläutert Peter Keshishian, Marketing Consultant Distribution von J.D. Edwards.

Viele deutsche Unternehmen setzen im Bereich E-Commerce allerdings noch immer Insellösungen ein, so die Erfahrungen an der TU Freiberg. Professor Brenner schätzt das Verhältnis zwischen Stand-alone- und integrierten Anwendungen auf eins zu vier. Und Rüdiger Zarnekow glaubt, daß größere Unternehmen mehr integrierte Lösungen einsetzen.

Große Versandhäuser geben dieser These recht: Das Katalogkaufhaus Quelle ist schon seit drei Jahren im Internet vertreten und erwartet in diesem Jahr mit Electronic Commerce einen Umsatz von 100 Millionen Mark, davon 20 Millionen über das Internet.

E-Commerce-Anbindung an Warenwirtschaftssysteme

Der Versandriese setzt intern auf eine durchgängige Softwarelösung. Die Anbindung des elektronischen Handels an die Warenwirtschaft ist für den Leiter Neue Medien, Patrick Palombo, selbstverständlich. Die Bestellungen per Internet gehen ihren Weg auch im Unternehmen elektronisch weiter. "Unser System ist komplett automatisiert", lobt Palombo, "die Bestellungen werden papierlos bearbeitet. "Auch der Konkurrent Neckermann hat seine E-Commerce-Anwendung an das Warenwirtschaftssystem gekoppelt: "Das Internet-/T-Online/AOL-System ist direkt mit den Neckermann-Systemen verbunden", berichtet Hubert Kahmann, Pressereferent des Unternehmens.

Bei Quelle war zu Beginn der E-Commerce-Aktivitäten bereits eine DV-Struktur vorhanden, die eine gute Basis für die E-Commerce-Anbindung bot. Der Versandriese aus Nürnberg nutzt darüber hinaus elektronische Medien auch für die Kommunikation mit seinen rund 7000 Agenturen. "Die Agenturen haben ein separates elektronisches Bestellsystem. Sie übertragen die Aufträge mit einem Terminal, so daß auch hier nicht telefoniert werden muß", präzisiert Palombo. Die Endkunden wiederum können über das Internet nicht nur Bestellungen aufgeben, sondern erhalten auch Einsicht in das Kundeninforma- tionssytem des Unternehmens. Dort können sie ihr Kundenkonto, laufende Rechnungen und ihre Adreßdaten einsehen.

Der direkte Draht zum Endkunden läuft bei der Teles AG in Berlin, unter anderem Anbieter von Softwarelösungen für den elektronischen Handel, in erster Linie über E-Commerce. "Wir vertreiben über das Internet vor allem Niedrigpreisprodukte wie ISDN-Karten, Telefone, Terminaladapter, Handbücher und Software. Wenn diese Waren in der Auftragssachbearbeitung extra erfaßt werden müßten, wäre der Vertrieb im Endkundenbereich kaum rentabel für uns. Es handelt sich häufig um einen Auftragswert von unter 200 Mark. Diese Form von Aufträgen wäre ohne E-Commerce überhaupt nicht möglich, da uns eine Papierflut ins Haus stehen würde, deren manueller Bearbeitungsaufwand sich nicht rechnet", argumentiert Bodo Heiss, stellvertretender Vorstand im Bereich Marketing und Vertrieb der Gesellschaft. Der Vertrieb von Consumer-Produkten läuft ansonsten nur über Fachhändler und Distributoren.

Seit über einem Jahr betreibt das Unternehmen seine Lösung, die eine Eigenentwicklung ist und die Warenwirtschaft direkt mit dem elektronischen Bestellsystem verbindet. Die Middleware hat das Unternehmen ebenfalls selbst geschrieben.

Die Berliner planen die Einbindung der Geschäftspartner wie auch die Datenauswertung im Bereich E-Commerce per Data- Warehouse für die nahe Zukunft. "Zur Nutzung von Wertschöpfungsketten ist eine noch flexiblere Anbindung an die Partner erforderlich, die sich über die vorgegebenen Strukturen bislang nicht erzielen ließ", so Heiss.

Auch der Computerhersteller Dell in Langen bei Frankfurt am Main ist mit seinen Produkten vor rund zwei Jahren ins Internet gegegangen. "Die Resonanz ist sehr gut. Wir erzielen in Deutschland wöchentlich einen Umsatz von 1,8 Millionen Mark", so Uta Friedrichsen, Business-Managerin Internet. Da das Unternehmen aus der IT-Branche kommt, hat es eine gut ausgebaute DV-Struktur und verfügt auch über die logistischen Voraussetzungen. Dell gehört zu den wenigen Firmen, deren Electronic-Commerce-Lösung nicht nur direkt mit der Warenwirtschaft verbunden ist, sondern auch mit einem SCM, einem Workflow-System und einem Data-Warehouse, um die Daten aus dem Bereich des elektronischen Handels direkt auswerten zu können und einen Überblick über die Lagerbestände und die Verfügbarkeit der Produkte zu erhalten.

Wo einige mit professionellen Lösungen schon den Berg erklommen haben, fangen andere erst an. Denn die Voraussetzungen, die Unternehmen für die Anbindung einer E-Commerce-Lösung mitbringen, sind ganz unterschiedlich. Der Software-Anbieter Brain International in Breisach hat die Erfahrung gemacht, daß viele Anwender schrittweise vorgehen: Sie wollen erst einmal eine Homepage und später die Anbindung eines E-Shops. Aber nur bei etwa zehn Prozent der Unternehmen finden die Brain-Leute eine DV-Struktur vor, an die man die in das Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)System integrierte E-Commerce-Lösung ohne weiteres einbinden könnte.

Die Baan Company hat festgestellt, daß es Unternehmen gibt, die überhaupt keine intakte IT-Struktur haben, an die das Softwarehaus anknüpfen kann, und "bei anderen wiederum ist alles schon zu 100 Prozent vorhanden", so Karl-Heinz Plünnecke.

SAP in Walldorf wiederum kann hier auf positive Erfahrungen zurückgreifen: Viele Kunden haben schon eine ausreichende DV-Struktur. "Die meisten SAP-Kunden betreiben bereits erfolgreich eine Web-Infrastruktur", so ein Sprecher des Unternehmens.

"Bei unseren Verkaufsgesprächen haben wie die Erfahrung gemacht", sagt Peter Keshishian von J.D. Edwards, "daß Interessenten heute in der Frage der Implementierung einer E-Commerce-Lösung noch zurückhaltend sind. Gleichwohl ist es in der Entscheidungsphase von großer Bedeutung, daß die Software die E-Commerce-Funktionalität vollständig anbietet."

Auch bei der Berliner Teles, die im Bereich digitaler Kommunikationstechnologie tätig ist, war es kein großer Aufwand, E-Commerce zu implementieren, da das Unternehmen schon über eine Internet-Seite verfügte. "Wir hatten eine Firewall und einen Web-Server installiert, einen Service-Provider mußten wir auch nicht mehr suchen", erinnert sich Heiss. "Die hauptsächlichen Probleme bestanden darin, eine Middleware zu entwickeln." Die Business-to-Business-Kommunikation mit den Tochtergesellschaften betreibt das Unternehmen über ein Extranet.

Business-to-Business stark im Kommen

"Generell wird der Business-to-Business-Bereich verstärkt nachgefragt", erklärt ein Sprecher von SAP. Auch bei Baan wird der Non-Consumer-Bereich sehr viel häufiger gewünscht als die elektronische Verbindung zum Endkunden. Die TU Freiberg erklärt sich die große Nachfrage in diesem Bereich aufgrund der höheren Sicherheit eines Extra- oder Intranet gebenüber dem Web zum einen auf der Datenseite, zum anderen aber im direkten Handel: "Das Unternehmen hat dort in der Regel mit seinem Kommunikationspartner Verträge und Rahmenvereinbarungen, die rechtlich verbindlich sind", erläutert Zarnekow. "Im Business-to-Business-Bereich ist außerdem eine sichere Kommunikationsverbindung aus technischer Sicht heute kein Problem mehr."

"Erst kurz vor Sonnenaufgang"

Fest steht jedenfalls für Anwender und Anbieter von E-Commerce-Lösungen, daß die Entwicklung - besonders in Deutschland - gerade erst am Anfang ist: "Wenn wir sie mit einem Tag, der 24 Stunden hat, vergleichen, dann stehen wir noch vor Sonnenaufgang", so Brenner von der TU Freiberg. Auch für Karl-Heinz Plünnecke von Baan steckt E-Commerce noch in den Kinderschuhen: "In anderen Bereichen wie der Jahr-2000- und der Euro-Umstellung ist der Handlungsdruck momentan zu groß, als daß sich Unternehmen jetzt intensiv mit dem Internet und Intranet-Lösungen beschäftigen könnten."

Aber dennoch gilt auch hier: Wer rastet der rostet. Denn einige Unternehmen besitzen schon eine E-Commerce-Anbindung. Ein zu zögerliches Verhalten könnte die übrigen Anwender Marktanteile kosten.

Angeklickt

"Wir müssen ganz klar erkennen: Das Internet ist ein Phänomen, das bleibt. Es wird nicht wie ein Gewitter einfach wieder verschwinden", erklärt Walter Brenner von der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Die Bedeutung des weltweiten Netzes vor allem im Hinblick auf den elektronischen Handel wurde in zahlreichen Untersuchungen immer wieder bestätigt. Mit der Integration eines solchen Systems haben Anwender oft noch Schwierigkeiten. Interessante Produkte und Lösungen gibt es aber bereits.

Elke Keim ist Fachjournalistin in Stuttgart.