Informations-Management in der Luft- und Raumfahrt (1)

Integrationszwang stellt höchste Ansprüche an die IV-Systeme

21.08.1992

*Dr. Werner Fischer ist Hauptabteilungsleiter bei der Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH in München.

Die Luft- und Raumfahrtindustrie hat bisher bereits das gesamte Anwendungsspektrum der Informationsverarbeitung beansprucht. Die steigenden Anforderungen unter anderem durch neue Technologien und die zunehmende Komplexität der Produkte, der internationale Konkurrenzdruck wie auch Kooperationszwänge verlangen ein intensives Ausreizen der Einzelsysteme sowie eine forderte Integration in einem Gesamtsystem.

In der Luft- und Raumfahrt sind die wichtigsten Applikationsbereiche die Avionik - sie steht für die Intelligenz des Produktes- und Computer Integrated Manufacturing (CIM). Letzteres steht für eine rationelle und hochwertige Produktion, beispielsweise der Flugzeugzelle. Last, but not least werden für die beteiligten Unternehmen gleichermaßen moderne IV-Systeme im Bereich Wirtschaft und Finanzen aus Kostengründen überlebensnotwendig.

In den drei Bereichen produktinterne, produktnahe und produktneutrale Informationsverarbeitung gibt es sehr unterschiedliche Prozesse; so stellt zum Beispiel die Avionik sehr hohe echtzeit- und sicherheitskritische Anforderungen. Dies führt zu sehr großen Unterschieden in den Methoden und Tools, bei der Hard- und noch mehr bei- der Software, also der Infrastruktur. Man denke nur an die Programmiersprachen, im Avionik-Bereich beispielsweise Ada und C sowie Assembler, im technisch-wissenschaftlichen Bereich die Sprache Fortran, im kommerziell-administrativen Bereich Cobol und PL/l, sowie schon ziemlich verbreitet Sprachen der vierten Generation (Beispiel Natural).

Selbstverständlich sind allgemeine Grundsätze der Entwicklung und des Betriebs von Informationssystemen in allen drei Bereichen ähnlich, an erster Stelle die Einhaltung des Phasenkonzepts, flankierend die Dokumentation oder die Versionskontrolle

von Software. Hier ist durch die Weiterentwicklung im Bereich CASE noch mehr Rationalisierung und vor allem höhere Qualität zu erwarten. Auch die Anbieter haben dieses Thema inzwischen in ihre Strategie aufgenommen (AD/Cycle, Cohesion etc.).

In der Luft- und Raumfahrt dominieren die Ingenieurleistungen und die daraus resultierenden Informationen. Auch deshalb ist diese Industrie den Einzelfertigern zuzurechnen. Somit hat hier die just-in-time-Idee als Konzept zur Optimierung des Materialflusses für CIM weniger Bedeutung, vielmehr steht die Optimierung des Informationsflusses im Vordergrund. Beide haben natürlich auch hier - wie immer - komplementären Charakter, trotz etwaiger konkurrierender Einzel-Zielfunktionen.

Zwei Aspekte stechen hervor, wenn man das Informationsnetz im Flugzeugbau betrachtet:

- Die Informationen beziehungsweise Informationsflüsse nehmen von der Idee bis zum Endprodukt sowohl qualitativ als auch quantitativ zu.

- Die Optimierung des Produktes Flugzeug verlangt in vielen Bereichen iteratives Vorgehen, wobei Anzahl und Effekte der Iterationen schwer abzusehen sind. Insbesondere hier muß ein geeignetes PPS-Konzept Unterstützung bringen. Es geht um die komplette

Einbettung der CAx-Prozeßkette in PPS. Das Ganze hat durchgängig, integriert und damit - zwangsläufig - computergestützt zu erfolgen.

Der Begriff cornputerunterstützte integrierte Planung (CIP) soll dies unterstreichen; sie beinhaltet

- Planung und Steuerung der Ressourcen (Material, Maschinen, Menschen und Information) und der Prozesse,

- Konsolidierung des Gesamtzusammenhangs aller Informationen und

- Mengen- und zeitmäßige Beherrschung aller Informationen.

Strategisches Informations-Management ist die Gegenüberstellung der strategischen Erfolgsfaktoren sowie der IV-Infrastruktur und -Anwendungsfelder. Dies gilt es zu verfeinern, zumindest bis auf Projektebene (Projektportfolios). Die direkten Vorteile des Informations- Managements sind:

- einmalige Datenerfassung, da sie integriert ist,

- "lebendes" Datenmaterial, also wiederauffindbar und weiterverwendbar,

- exakte und eindeutige Daten, da sie maschinell geführt werden,

- aktuelle und transparente Daten,

- kürzere Reaktionszeiten bei Änderungen (gewollt),

- kürzere Reaktionszeiten bej Störungen (ungewollt).

Daraus ergeben sich unternehmerische Konsequenzen. Die Produktivität wird gesteigert, und zwar einerseits durch die Verbesserung der einzelnen Arbeitsprozesse und andererseits durch deren maschinelle Integration. Die Durchlaufzeiten in der gesamten Produktkette (Design-Konstruktion-Fertigung-Betreuung) erfahren durch einen integrierten maschinellen Informationsfluß eine Verkürzung. Die Qualität der Produkte steigt, zum einen durch maschinengestützte Optimierungsmöglichkeiten und zum anderen durch mehr Datenqualität beziehungsweise-konsistenz.

Der Lebenszyklus eines Flugzeugtyps beträgt ungefähr 40 Jahre, mit steigender Tendenz. Davon beansprucht die Entwicklungsphase etwa zehn Jahre, mit sinkender Tendenz. Daß die Entwicklung so lange dauert, liegt sowohl an der Komplexität des Produkts in Qualität und Quantität als auch daran, daß die integrierte Informationsverarbeitung noch nicht vollendet ist beziehungsweise am unvollständigen Informations-Management.

Lebensdauer 40 Jahre bei zehn Jahren Entwicklung

Die Unhandlichkeit solcher Großprogramme wird zumeist noch von einem politisch vorgegebenen internationalen Worksharing verstärkt. Einen analogen Prozeß gibt es in der Zulieferindustrie. Die Partner- und Zulieferfirmen haben selbstverständlich unterschiedliche organisatorische Strukturen und meist auch unterschiedliche mehr oder weniger inkompatible IV-Systeme.

Um diese Diskrepanzen auszugleichen, hat man jeweils eine Management Company gebildet, etwa Airbus Industries, Panavia oder Euromissile. Das zeitigt zwar einen Effekt, dafür stellen sich Reibungsverluste und kompetitive Situationen ein - man denke etwa an die Endmontagelinie Airbus 320 in Hamburg. Die Probleme sind oft nicht unternehmerisch, sondern politisch zu lösen. Die planmäßige Durchführung von Luft- und auch Raumfahrtprogrammen bestimmt ein international festgelegtes Phasenkonzept, das

den ganzen Lebenszyklus der Produkte von Ideenführung bis Außerdienststellung in einzelne Programmabschnitte gliedert. Diese werden üblicherweise auch getrennt beauftragt, rollierend durchgeplant und einzeln abgewickelt.

So leiten sich auch die Anforderungen an PPS-Systeme in der Luftfahrtindustrie phasentypisch ab. Bei den sogenannten Leitfirmen beziehungsweise Systemführern haben sich verbindliche Richtlinien zur integrierten Planung und Kontrolle von Terminen, Arbeitsfortschritten und Kosten entwickelt. Damit ist es möglich, Termintreue und Kosteneffektivität eines Projektes an Hand in sich konsistenter Daten periodisch zu verfolgen. Netzpläne und technische Aufwandsplanung sind mit den Daten des Rechnungswesens zu einem in sich geschlossenen Planungsinstrument verbunden. Das setzt einheitliche Verfahren in den folgenden Punkten voraus:

- Strukturierung des Projektes,

- Leistungsplanung,

- Zeitplanung,

- Mengenplanung,

- Kostenplanung,

- Budgetplanung,

- Terminverfolgung,

- Kostenerfassung,

- Arbeitsfortschrittskontrolle,

- Soll-Ist-Vergleich (Leistung, Termine und Kosten).

Zur durchgängigen Computerunterstützung der integrierten Planung und Steuerung wurde bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) vor vier jahren das integrationsprojekt "Caplan" aufgesetzt. Es beinhaltet neue, bessere funktionale Features, nutzt aber auch bereits vorhandene gute Insellösungen sowie Standardsoftware.

Eine ganz wichtige vertragliche Forderun der Auftraggeber war und ist das Konfigurations-Management. Zu jedem einzelnen Flugzeug gehört ein eindeutiger, exakter und vollständiger Konfigurationsnachweis. Wegen dieser unabdingbaren Forderungen hat MBB hier schon seit Jahren das selbstentwickelte IV-System "Kokos" im Einsatz, das selbstverständlich einer permanenten Weiterentwicklung unterworfen wurde, sowohl funktional als auch datentechnisch, bis hin zum heutigen PCMS (Project Control and Change Management System).

Exakter und vollständiger Konfigurations-Nachweis

Aus dem Bereich CAE (ingenieurmäßige Berechnungsverfahren) möchte ich drei Beispiele für Eigenentwicklungen bei MBB erwähnen: Aus dem Bereich der Aerodynamik stammt das Panelverfahren "Hisss", das sowohl für Unter- als auch für Überschallberechnungen sehr gute Ergebnisse liefert; eine Punkt-zu-Punktverknüpfung mit dem 3D-System "Catia" ist bereits realisiert. Das Strukturoptimierungssystem "Lagrange" ist auch in Verbindung mit Nachrechnungsverfahren wie "Nastran" anwendbar und führt unter Einsatz von maschinengestützten OR-Verfahren (LP, QP, Gradientenverfahren etc.) zu erheblich besseren und schnelleren Ergebnisseen als manuelle Optimierung. Die dritte Eigenentwicklung ist das "Integrated Civil Engineering System" (Ices), das aus einem portablen Systemkern (Ices-Basic) und darauf aufsetzenden CAE-Anwendungssystemen besteht. "CAP" hat die Aufgabe der Fertigungsüberleitung beziehungsweise -Vorbereitung. Das bedeutet sowohl im technischen Sinne die Ableitung der Fertigungsprozesse aus der Produktbeschreibung (zum Beispiel NC-Programmierung) als auch die Möglichkeit der Planung und Kontrolle dieser Fertigungsprozesse und -flüsse, also die Bereitstellung von Input-Daten für PPS. CAP hat somit im CIM-Verbund eine wichtige Transfer- beziehungsweise Koppelungsfunktion zwischen Technik und Planung zu erfüllen.

Bei der NC-Teileprogrammierung ist im Grunde folgende Aufgabe zu lösen: Aus einem vorbereiteten Werkstück soll mit minimaler Maschinenzeit das konstruierte Teil in der geforderten Güte (Oberflächengüte, Toleranzen) gefertigt werden. Die bisherigen Fortschritte in der Zerspanungstechnik haben schon enorme Rationalisierungseffekte gebracht. Als Vorgabe dient der NC-Progammierung normalerweise die in der Konstruktion definierte Teile-Endgeometrie - mit CAD-System oder konventionell erstellt. Diese Geometrie ist maschinell oder manuell zu übernehmen. Dann erst setzt die eigentliche Teileprogrammierung ein.

Die Optimierung und Automatisierung der Teilefertigung, also insbesondere minimaler Programmieraufwand und minimale Maschinenstückzeiten, hängen nun ganz stark von den Funktionen ab, die ein NC-System bietet. Die fertigungstechnischen Belange sind dabei meist noch zu wenig berücksichtigt, obwohl auch sie überwiegend geometrischen Charakter haben. Allerdings ist er teilweise sehr kompliziert, zum Beispiel bei der 5-Achsen-Werkzeugbestimmung oder bei der Kohlefasertechnologie.

Letztere bietet zwar enorme Materialvorteile gegenüber Metallen, vor allem in bezug auf das Gewicht, erfordert aber noch sehr hohen entwicklungs- und vor allem fertigungstechnischen Aufwand. Die heute eingesetzten CAD-Systeme können diese Technologie gar nicht oder nur sehr dürftig bedienen. So hat MBB, auch hier wiederum in einer zukunftsträchtigen High-Tech-Nische, das SW-Projekt "Itls" (Integrated Tape Laying System) aufgesetzt. Es hat eine durchgängige Kohlefaser-CAD/CAM-Prozeßkette, vom

Entwurf bis hin zum speziell entwickelten Legeautomaten zur Aufgabe.

Ein modernes NC-System berechnet Fräserwege wegoptimal, also den kürzesten Gesamtweg. Die Vorschübe, Fräser- und Maschinenwerte werden bei der Teileprogrammierung eingegeben. Dies sind genau die Informationen, aus denen sich die Maschinenstückzeiten ergeben. Die zugehörigen Arbeitspläne lassen sich somit, interaktiv angestoßen, teilweise automatisch errechnen. Voraussetzung für eine interaktive und integrierte Arbeitsweise ist also auch für "APE" (Arbeitsplanerstellung) ein multifunktionaler, grafischinteraktiver Arbeitsplatz. Dies gilt im übrigen zukünftig auch für PPS als dem übergeordnetem Gesamtplanungssystem. Im Einsatz ist bei MBB im CAP- Bereich unter anderem ein Expertensystem, das mit Hilfe von Entscheidungstabellentechnik die fertigungstechnischen Rahmenbedingungen und die Planungslogik abdeckt.

Arbeitspläne teilweise automatisch errechnet

Eine solche schnelle, sichere und fehlerfreie Generierung von Daten ist entscheidend für die Aktualität der Planungsergebnisse. Hierzu gehört die Umsetzung, nämlich die Implementierung einer IV-gestützten Betriebsdatenerfassung und -ausgabe (BDE/BDA) in der Produktion, die aktuelle Produktionsdaten direkt an den Arbeitsplatz bringt und von dort abholt. Auf der CAM-Seite verfügt man schon über sehr gute Lösungen in Richtung automatisierte Fabrik mit programmierbaren Steuerungen, Prozeß- und Leitrechnern, Robotern und deren koordinierten Steuerungen. MBB hat, beginnend vor 20 Jahren, die großen Werke bereits auf moderne Technik mit entsprechenden Rationalisierungseffekten umgestellt.

Nach der Fertigung der Teile kommt der Qualitätskontrolle (CAQ) eine ganz wichtige Aufgabe zu. In diesem auch als NC-Meß bezeichneten Gebiet existiert bereits eine ganze Reihe

unterschiedlicher Meßmaschinen mit hohem Nutzen. Hier gilt es, den Automatisierungsgrad noch durch bessere Anbindung (online) an CAD-, NC- und CAM-Prozesse zu erhöhen.

Die Automation der Flugzeugendmontage erweist sich trotz der Fortschritte in der Montageplanung nach wie vor als schwierig. Trotzdem hat sich der erstmalig auf der Welt im Tornado-Programm durchgeführte Umstieg von Dock- auf Fließfertigung als richtig und zukunftsweisend erwiesen.

Betrachtet man die administrative Klammer von CIM im Flugzeugbau, nämlich, PPS, so ist im Fertigungsbereich bereits ein hoher Durchdringungsgrad feststellbar, soweit möglich auch mit Standardsoftware. Im Entwicklungsbereich (CAE/CAD) tut die maschinengestützte Verwaltung der Ingenieurergebnisse dringend not. Dabei stellen die Hybridlösungen den Stand der Technik dar - auch aus Performance-Gründen der RDBMS (relationalen Datenbank-Management-Systeme). Hier werden CAE- beziehungsweise CAD-Modelle in der zentralen Datenbank "geschlossen" gespeichert beziehungsweise verwaltet; sie sind dann erst wieder im lokalen Bereich im offenen Zugriff bis zur Einzelelementebene, und zwar wiederum im originären System oder in einem Empfängersystem, das das Modell "versteht".

Eine Besonderheit stellt, im Flugzeugbau der Musterbau dar. Ergebnis der Entwicklungsphase ist nämlich nicht nur eine Menge von Bauunterlagen, sondern ein qualifizierter, zugelassener Prototyp, der entwicklungsnah integriert und getestet wird.

Musterbau ist überwiegend eine handwerkliche und montageorientierte Einzelfertigung hoher Tiefe mit spezifischen Anforderungen zu Lieferbereitschaft und Flexibilität. Eine schnelle Reaktionsfähigkeit auf Einflüsse und Änderungen jedweder Art ist hier oberstes Gebot. Dies führte zur Entwicklung des integrierten PPS-Systems "Dapis", das seit fünf Jahren im Musterbau produktiv eingesetzt wird.