Rationalisierungsdruck zwingt Fertigungsunternehmen zum Umdenken:

Integrationsidee bedingt neue Systemkonzepte

15.05.1987

Der verschärfte Konkurrenzdruck im Markt zwingt die Fertigungsbetriebe zu einer immer stärkeren Rationalisierung. Unter diesem Aspekt ist die Integration der verschiedenen Unternehmensbereiche eine zwingende Notwendigkeit. Das Konzept des elektronischen Leitstandes als Bindeglied zwischen den Bereichen PPS und Fertigungskontrolle präsentiert Hermann Havermann*.

In der Fertigungssteuerung werden heute häufig noch Leitstandsysteme genutzt, die auf Methoden der Zettel- und Karteiorganisation der frühen 60er Jahre basieren. Die Reihenfolgeplanung der Fertigung erfolgt auf einer Papierbasis, wobei die Planung der Maschinen- und Arbeitsplatzbelegung teils durch Plantafeln oder manuell erstellte Belegungspläne unterstützt und visualisiert wird. Die Aktualisierung des Fertigungs-Prozesses an der Plantafel oder auf dem Papier sowie Rückmeldungen an übergeordnete PPS-Systeme erfordern einen nicht geringen personellen Aufwand und können häufig nicht zeitaktuell erfolgen.

Die Einbindung dieser papiergestützten Organisation in ein integriertes CIM-Konzept ist nahezu unmöglich. Es muß daher das Ziel sein, für die Fertigungssteuerung elektronische Leitstandsysteme einzusetzen, die zusätzlich zu den Funktionen konventioneller Systeme neue Steuerungsmöglichkeiten eröffnen und nahtlos in ein CIM-Konzept integriert werden können.

Elektronische Leitstandsysteme sind funktionell eng mit dem Bereich PPS und Systemen in der Fertigung verbunden (siehe Abbildung). Im PPS-System erfolgt die Grobplanung der Fertigungsaufträge. Ausgehend von Kunden- beziehungsweise Lageraufträgen werden unter Berücksichtigung von Kundenterminen, verfügbarem Material und Werkzeugen sowie Personal- und Maschinenkapazitäten in der Fertigung und unter Nutzung von Arbeitsplänen sowie Stücklisten Fertigungsaufträge für einen Planungshorizont von einigen Tagen oder Wochen zur Produktion freigegeben. In neuen PPS-Produkten dienen dabei neue Denk- und Steuerungsmodelle, wie zum Beispiel die "belastungsorientierte Auftragsfreigabe" von Professor Wiendahl, IFA Hannover, als Basis für eine effizientere Fertigungssteuerung.

Die vom PPS-System freigegebenen und grob geplanten Fertigungsaufträge werden über eine Datenleitung an den elektronischen Leitstand übertragen. Hier erfolgt die Zuteilung des Fertigungsauftrages zu den Arbeitplätzen; im PPS-Bereich wird normalerweise nur auf einer Maschinengruppen- oder Kostenstellenebene geplant, mit Definition der Arbeitsreihenfolge. Nach Festlegung der exakten Fertigungsfolge wird der eingeplante Arbeitsvorrat an die verschiedenen Fertigungskontrollsysteme, wie BDE, DNC oder Qualitätssicherung (QS), übertragen. An diesen Systemen lassen sich, soweit noch erforderlich, Arbeitspapiere drucken. Weiter werden hier Arbeitsfortschrittsmeldungen, zum Beispiel Start oder Ende eines Arbeitsganges, Störungen oder Unterbrechungen erfaßt und an den elektronischen Leitstand übersandt. Damit erhält der Steuerer an seinem Leitstand jederzeit eine Auskunft über den aktuellen Produktionsfortschritt und gleichzeitig werden Rückmeldungen zum PPS-System übertragen.

In diesem Integrationskonzept übernimmt der elektronische Leitstand als Ergänzung zum PPS-System Planungs- und Steuerungsaufgaben. Für die Unterstützung der Planungsaktivitäten muß der elektronische Leitstand ein einfach handhabbares Instrumentarium bieten, welches manuelle und automatische Zuteilungen unterstützt. Sowohl bei der manuellen wie bei der automatischen Feinplanung müssen folgende Voraussetzungen von der Logik des elektronischen Leitstandes bearbeitet werden:

- Beachtung des vom PPS-System vorgegebenen Start- und Endtermines des Fertigungsauftrages und der einzelnen Arbeitsgänge eines Auftrages.

- Verarbeitung des Auftragsnetzes, so wie es vom Arbeitsplan und der Stückliste vorgegeben ist.

- Überprüfung, ob die Voraussetzungen zur Arbeitsfreigabe eines Arbeitsganges erfüllt sind. Das heißt, vor endgültiger Arbeitsfreigabe muß für einzelne Arbeitsgänge überprüft werden, ob zum Beispiel das erforderliche Material oder Werkzeug zur Verfügung steht, das NC-Programm bereits in der NC-Programmbibliothek gespeichert ist und Prüfprogramm sowie -anweisungen vorhanden sind.

Bei der manuellen Planung macht der elektronische Leitstand dem Planer mit einem Grafikschirm eine Benutzeroberfläche verfügbar, die maschinen- und auftragsbezogene Planungen unterstützt. Der Planer erhält hier für variable Zeitmaßstäbe in Form von Balkendiagrammen beziehungsweise Belastungskurven Belegung und Auslastungsgrad der Maschinen und Handarbeitsplätze dargestellt und kann sich zusätzlich den Fertigungsablauf eines Auftrages über die verschiedenen Arbeitsplätze anzeigen lassen.

Bei der automatischen Planung können unterschiedliche Planungskriterien, wie zum Beispiel Minimierung der Rüstzeiten, Optimierung der Durchlaufzeit oder höchstmögliche Auslastung der Arbeitsplätze, berücksichtigt werden. Hier können elektronische Leitstandsysteme mit heute verfügbaren DB-technischen Möglichkeiten bereits wertvolle Planungshilfen geben. Techniken wissensbasierter Systeme werden in der Zukunft den Planer von routinemäßigen Planungsaufgaben weiter entlasten können.

Nach Abschluß der Feinplanung wird der für den jeweiligen Meisterbetrieb eingeplante Arbeitsvorrat an den dort installierten Fertigungsrechner übertragen. Dies können Rechner mit angeschlossenem BDE-Geräten, DNC-Systeme mit Maschinensteuerung und -datenerfassung oder auch Qualitätskontrollsysteme sein. Am jeweiligen Arbeitsplatz erfolgt die Erfassung der Arbeitsfortschrittsmeldungen über BDE, MDE oder Bildschirmterminals. Die Daten werden in den Fertigungsrechnern verarbeitet und zum elektronischen Leitstand übertragen. Am elektronischen Leitstand wird in der grafischen Anzeige der Fertigungsfortschritt mit Störmeldungen aktualisiert.

Der elektronische Leitstand entfaltet seine volle Leistungsfähigkeit in einem ständigen Datenaustausch mit dem PPS-System und den Fertigungsrechnern. Hierzu ist es erforderlich, daß neben den Planungs- und Steuerungsfunktionen im Hintergrund automatische Kommunikationsprozesse ablaufen. Der IBM PC AT als offenes Rechnersystem bietet hier heute schon sehr gute Möglichkeiten. So können einmal zum Beispiel über eine 3270-Schnittstelle Daten mit einem PPS-System auf einem IBM-Host ausgetauscht werden, so daß sowohl freigegebene Eilaufträge umgehend auf dem Leitstand verfügbar sind wie auch fertiggemeldete Arbeitsgänge oder Aufträge an die Produktionsplanung und -steuerung gemeldet werden.

Elektronischer Leitstand noch nicht ausgereizt

Bereits heute angekündigte und für die nahe Zukunft absehbare technologische Verbesserungen dürften funktionale Erweiterungen und weitergehende Integrationsmöglichkeiten eröffnen. So wird mit Verfügbarkeit der neuen IBM-Familie PS/2 und des Betriebssystems OS/2 im Jahre 1988 für die Anwendersysteme ein Adreßraum von 16 MB verfügbar sein. Damit lassen sich neue Anwendungen, wie Simulation alternativen Planungen, auf elektronischen Leitstandsystemen integrieren.

Weitergehende Standardisierungen in der Kommunikation werden den Datenaustausch mit Hostsystemen und Fertigungsrechnern verbessern. Auf dem Leitstandrechner wird LU6.2-Software implementiert. So läßt sich zum Beispiel in einem SNA-Verbund der Datenaustausch mit dem PPS-System von der heutigen Terminal- auf eine Rechnerschnittstelle umstellen. Und mit Einsatz von zum Beispiel MAP im lokalen Netz wird auch die Kommunikation mit unterschiedlichen Fertigungsrechnern ermöglicht. Damit unterstützt der Fortschritt der Informationstechnologie das Bedürfnis der Ablauforganisation nach zunehmender Integration.

Ablauforganisation in der Fertigung optimieren

Elektronische Leitstandsysteme werden heute bereits im Verbund mit PPS-Systemen eingesetzt. Sie bieten der Steuerung als Alternative zur konventionellen Plantafel eine wertvolle Hilfe bei der Feinplanung und Steuerung der Fertigungsabläufe. Die Integration von BDE- und DNC-Systemen ist eine Konsequenz, die meist in einer zweiten Stufe durchgeführt wird. Der elektronische Leitstand eröffnet der Steuerung neue Möglichkeiten, wie zum Beispiel vereinfachtes Verfolgen von Fertigungsaufträgen, schnelle Auswertmöglichkeiten, direkte Rückmeldung zum PPS-System. Dies hat Auswirkungen auf die Ablauforganisation in der Fertigung, die mit Einführung solcher Systeme konsequent durchgesetzt werden müssen.

Neben dem Einsatz in der Steuerungsabteilung einer Werkstatt finden elektronische Leitstandsysteme ihren Platz in modernen Fertigungsinseln oder -zellen. Mit zunehmenden Anforderungen an kleine Losgrößen und größere Flexibilität werden in der Fertigung autonome Zellen beziehungsweise Inseln errichtet, die komplette Produkte oder Baugruppen fertigen. Hier hat der Meister in seiner Insel im Rahmen der durch die Produktionsplanung und -steuerung vorgegebenen Grobplanung die volle Verantwortung für die Feinplanung und Steuerung der für seinen Bereich freigegebenen Fertigungsaufträge. Ein elektronischer Leitstand auf PC-Basis ist dabei ein preiswertes, leistungsfähiges und flexibles Planungsinstrument in einer Fertigungszelle.

Bei einer Just-in-time-Fertigung oder Montage ergeben sich für elektronische Leitstandsysteme ähnliche Aufgabenstellungen. Feinplanungsaufgaben sind auch hier wichtig, haben jedoch in diesem Umfeld im Vergleich zur Steuerung eine etwas geringere Priorität. Hier sollte ein Leitstandsystem die Pufferlager von den Fertigungs- beziehungsweise Montagearbeitsplätzen mitverwalten und bei Rückmeldungen von Mindestbestandsunterschreitungen automatisch die erforderlichen Fertigungs- und Transportaufträge zur Auffüllung des Pufferlagers generieren. Es ist dazu ein sehr enger Kommunikationsverbund mit anderen Fertigungs- Lager-, und Transportsystemen erforderlich. Bei weiter fortschreitender Just-in-Time-Fertigung wird die Weiterentwicklung der bestehenden elektronischen Leitstandsysteme zur konsequenten Unterstützung dieser Funktionen bald erfolgen.

Mit den bis heute gewonnenen Erfahrungen aus dem praktischen Einsatz elektronischer Leitstandsysteme kann der Schluß gezogen werden, daß diese Systeme eine wichtige Ergänzung zum Bereich PPS sind. Als eigenständiges Rechnersystem ist der elektronische Leitstand nicht von der ständigen Verfügbarkeit des PPS-Rechners abhängig. Der Leitstandrechner steht dem Steuerer oder Meister mit seiner vollen Leistung zur Verfügung und kann neben Planungs- und Steuerungsaufgaben auch für individuelle Auswertungen und Erarbeitung von Statisitiken eingesetzt werden.