Integration von SNA-Anwendungen ist gewaehrleistet IBMs ATM-Philosophie basiert auf dezentralem Routing-Ansatz

06.10.1995

MUENCHEN (CW) - Nach anderen Herstellern hat nun auch IBM mit "Switched Virtual Networks" (SVN) eine eigene ATM-Vision entwickelt. Das Konzept soll Kunden die schrittweise Migration zu der zellorientierten Netztechnologie ermoeglichen.

Im Mittelpunkt der Bemuehungen soll dabei ein dezentraler Routing- Ansatz stehen. Rund 120 Millionen Dollar steckt Big Blue laut Lothar Mackert, Leiter Networking Systems IBM Deutschland, jaehrlich in die Entwicklung seiner ATM-Produkte. Diese Investitionen sollen sich mittelfristig bezahlt machen: "IBM strebt bis 1998 weltweit einen Marktanteil von 25 Prozent im ATM- Geschaeft an", sagte der IBM-Manager in Muenchen anlaesslich der Praesentation der neuen Switching-Strategie, die IBM als Philosophie fuer die Migration zu ATM etablieren moechte.

SVN verkoerpert dabei ein Konzept, das bereits existierende und kommende Technologien kombiniert sowie einen raschen Wechsel zu ATM-Netzen gewaehrleisten soll, ohne Stand-alone-Router zu nutzen. Die Hauptkomponente von SVN ist neben Peripherie- und Backbone- Switching die Architektur der auf hohe Uebertragungsbandbreite angelegten Networking Broadband Services (NBBS).

Bestandteil der NBBS sind die sogenannten Multiprotocol Switching Services (MSS). Sie stellen eine Vermittlungstechnik dar, die laut IBM Routing, Bridging und virtuelle LANs in einem vermittlungsorientierten Netzwerk realisiert. MSS soll dann, so die Plaene von Big Blue, sowohl die Routing- und Bridging- Funktionen der Peripheriegeraete als auch den Verkehr und das Congestion Management der Backbone-Switching-Komponenten kontrollieren.

Koexistenz zwischen Routing und Switching

Die Abkehr vom zentralisierten Routing durch die Verteilung des Ebene-3-Verfahrens auf den jeweiligen Vermittlungsknoten hat IBM zufolge folgende Vorteile: Der Anwender kann High-speed-Networks einfacher sowie kostenguenstiger implementieren und erzielt darueber hinaus mehr Flexibiliaet im Aufbau von Netzen. Letztendlich sei es damit moeglich, die Routing-Funktionen bis auf den einzelnen Desktop zu verlagern. Mackert betonte aber, dass es auch kuenftig eine Koexistenz zwischen Routing und Switching geben werde.

Das Prinzip von SVN funktioniert so, dass ein SVN- Vermittlungsknoten jedem Router-System, egal ob auf dem Desktop oder auf anderen Komponenten im Netz, wie ein weiterer Router erscheint. Durch diese Loesung sind IBM zufolge virtuelle LANs ueber ganze Firmenkonglomerate oder verteilte Standorte moeglich.

Innerhalb der naechsten 15 Monate beabsichtigt Big Blue sukzessive die Implementierung von Routing-Merkmalen auf intelligenten Hubs, LAN-Switches und Adaptern. "Das Routing muss auf mehrere Schultern verteilt werden", unterstrich Mackert die neue ATM-Strategie, mit der sich Armonk von zentraleren Ansaetzen der Konkurrenten wie zum Beispiel Cisco abheben will.

Voraussetzung fuer das Funktionieren der SVN-Philosophie ist jedoch, dass alle Komponenten MSS beherrschen. IBM engagiert sich deshalb, wie Mackert mitteilte, sehr stark in den einzelnen Standardisierungsgremien des ATM-Forums. Ziel ist, die Normierung mitzugestalten und die IBM-Spezifikation MSS moeglicherweise sogar als Standard durchzuboxen. Bislang beherrschen nur wenige Geraete der IBM NBBS und MSS, darunter der Switch "Nways 2220". In Produkte wie den "Interconnect Controller 3172", den "Nways Hub 8260" sowie den "Nways Switch Controller 3746" muss die Technologie jedoch noch implementiert werden.

Natuerlich hat IBM bei SVN auch die Integration von SNA-Systemen beachtet. Die MSS-Komponente erlaubt laut Mackert die Implementierung von Features des Advanced Peer-to-Peer Networking (APPN) sowie High Performance Routing (HPR) ueber das gesamte Netzwerk. Ausserdem sei die Realisierung von Broadcast- oder Multicast-Situationen - haeufig ein Problem in virtuellen LANs unter Netbios oder IPX/SPX - mit SVN kein Problem.

Nach Ansicht Mackerts werden sich Host- und Server-basierte Umgebungen immer mehr in Richtung der vermittlungsorientierten Netzsysteme orientieren. Deshalb wird der Nways-Switch-Controller 3746 in den IBM-Labors derzeit in ein Gateway weiterentwickelt, das in der Lage ist, SNA- und TCP/IP-Anwendungen in vermittlungsorientierte Netze zu integrieren.

Mackert bestaetigte, dass im US-Headquarter darueber nachgedacht werde, ueber das Global Network der IBM weltweit ATM-Services anzubieten (vgl. CW Nr. 37 vom 15. September 1995, Seite 4). "Eine endgueltige Entscheidung ist noch nicht gefallen", sagte der IBM- Manager. Er haelt ein solches Angebot in Europa aufgrund der teuren Mietleitungsgebuehren der Carrier momentan nicht fuer realistisch. Mackert warnte ausserdem davor, mit den oeffentlichen Netzbetreibern in Konkurrenz zu treten.