Outsourcing- und Offshoring-Anbieter unter Druck

„Insourcing wegen Unzufriedenheit ist ein Mythos“

10.01.2013
Von 


Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Der traditionelle Outsourcing-Markt schwindet. Gartners Sourcing-Analyst Frank Ridder skizziert im CW-Gespräch das Servicegeschäft der Zukunft.

CW: Einer Gartner-Analyse zufolge soll sich das Offshoring in Europa bis zum Jahr 2016 um 20 Prozent reduzieren, weil die EU das Verlagern von Jobs erschweren will (siehe Infokasten unten). Das ist eine etwas gewagte Vorhersage, wo es doch keine Anzeichen für ein solches Vorhaben gibt. Was ist die Basis der Prognose?

Frank Ridder, Research Vice President IT-Services und Sourcing bei Gartner:
Frank Ridder, Research Vice President IT-Services und Sourcing bei Gartner:
Foto: Gartner

Ridder: Hintergrund ist die hohe Arbeitslosenquote unter jungen Menschen von teils 25 Prozent und mehr in einigen europäischen Ländern. Das kann sich keine Volkswirtschaft auf Dauer leisten, deswegen erwarten wir, dass die EU politisch gegensteuern wird. Fast alle einfachen Jobs in der IT wurde bereits Offshore verlagert, den jungen Menschen erschwert das den Einstieg in das Berufsleben. Einen Job finden mittlerweile nur noch hochqualifizierte Absolventen.

Die EU muss steuerliche Anreize schaffen, um die Jobs in Europa zu halten oder neue Stellen hier zu schaffen. Selbstverständlich wird sie es nicht Protektionismus nennen, es wird aber genau darauf hinauslaufen, und den Indern wird das wehtun. Hinzu kommen einige weitere ungünstige Trends: In den entwickelten Offshore-Ländern steigen Gehälter und Wohlstand schneller als erwartet. Der Wettbewerbsvorteil durch günstige Lohnkosten schwindet daher. Das wird nicht zügig passieren, doch in spätestens drei bis fünf Jahren müssen die indischen Provider ihre Geschäftsmodelle so verändert haben, dass sie statt Arbeitskraft künftig Lösungen verkaufen.

Die Anbieter wissen das, deshalb hat Wipro beispielsweise ein Energieunternehmen gekauft, Cognizant ein TK-Provider übernommen und Infosys das Beratungshaus Lodestone geschluckt. Alle wollen sich Prozesswissen aneignen, um Geschäfte mit höherwertigen Dienstleistungen zu machen.

CW: Die Offshorer haben noch nie ausschließlich mit günstigen Arbeitskräften geworben, sondern immer ihr IT-Know-how betont. Sie haben in Europa eigener Darstellung zufolge die Fachkräfte gestellt, die man hier nicht hatte.

Ridder: Das war bislang immer eine Zieldefinition oder Wunschdenken, weil man schon früh wusste, dass man sich ohne Innovationskraft nicht lange halten kann. Das Geschäft mit dem Verkauf von Mitarbeiterkapazitäten ist endlich. Im Geschäftsprozess-Outsourcing lassen sich beispielsweise immer mehr und mehr Mitarbeiter in den Prozess einbinden, doch damit steigt der Synchronisationsaufwand derart an, dass die Entwicklung des Modells stagniert. Wenn sich der Unterbau dieses Konstrukts verändert, weil etwa die Lohnkosten steigen, dann schwindet der Vorteil.

In den USA hat ein indischer Provider einen weltweiten Deal abgeschlossen, der unter anderem die Reparatur von Desktops umfasst. In diesem Projekt ist es unseres Wissens erstmals so, dass der Anbieter einigen indischen Mitarbeitern mehr zahlt, als den amerikanischen Kollegen, die die gleichen Aufgaben erledigen. Das ist noch kein Trend, bislang nur eine Anekdote. Anderseits ist es ein frühes Anzeichen dafür, dass die Situation irgendwann kippen kann.

Autohersteller kaufen IT-Backend-Know-how

CW: In den USA wird zuletzt viel über das Rural Sourcing gesprochen. Ist das der Hintergrund dieses Beispiels?

Ridder: Nein, in dem Fall nicht. Rural Sourcing ist eine viel beachtete neue Geschäftsidee, die vorsieht, Services in ländliche Gegenden zu verlagern. Die Lebenshaltungskosten sind dort oft deutlich niedriger als in den Ballungszentren. Vom Niveau her können es einige Regionen in den USA mit Ländern wie Polen und Ungarn aufnehmen. Der Nachteil ist, dass es eben ländlich ist. Es gibt dort wenige gut ausgebildete Fachkräfte und kaum Universitäten mit Absolventen. Das Modell ist hinsichtlich der Kosten zum Teil ebenbürtig mit klassischen Offshore-Vorhaben, eignet sich aber allenfalls für kleine Projekte.

CW: Eine bemerkenswerte Transaktion im Outsourcing-Geschäft hat Mitte 2012 der Autohersteller General Motors angekündigt. Er will nahezu die gesamte ausgelagerte Backend-IT zurückholen und selbst betreiben. Warum?

Ridder: Die Form und Konsequenz des GM-Deals hat mich überrascht, nicht jedoch das gestiegene Interesse der Branche an IT. Ich hatte darauf getippt, dass in naher Zukunft ein Autohersteller einen kleineren IT-Dienstleister kauft. Jedes Fahrzeug hat heute eine IP-Adresse, wenn man die IT im Auto mit Services verknüpft, tut sich ein enormer Markt auf, es können komplett neue Dienstleistungen entstehen.

Damit können Begehrlichkeiten entstehen, dass Mercedes plötzlich wieder Debis zurückhaben möchte oder VW wieder Gedas integriert. Dankbar wäre auch, dass ein Autokonzern einen angeschlagenen IT-Dienstleister übernimmt.

Das Kannibalisieren im IT-Servicegeschäft und der enorme Preisdruck lässt den Gesamtmarkt schrumpfen. Das bereitet allen IT-Service-Providern enorme Kopfschmerzen. Es wird zur Konsolidierung kommen und dabei werden wir Transaktionen sehen, die uns überraschen werden.

CW: Warum sollte ein Autokonzern einen IT-Provider kaufen, der kaum etwas von IT im Auto versteht?

Ridder: Der Hersteller würde Wissen zum Betrieb der Backend-IT übernehmen. Es geht darum, den kompletten Stack zu bauen und zu betreiben, um so etwas wie eine Cloud-Lösung anzubieten. Dazu braucht man beides, sowohl Auto- als auch Backend-Know-how. Im und um das Auto – etwa bei Reparaturen – entstehen Unmengen an Daten, um die man komplette Prozesse errichten kann, wenn man das Wissen dafür hat.

Die interne IT rückt ins Zentrum

CW: Was bedeutet das für die interne IT?

Ridder: Unserer CEO-Umfragen zeigen, dass die Geschäftsleitung immer mehr von ihren IT-Leitern einfordern, sie drängt die IT stärker in die Rolle des Enablers. Die IT soll selbsttätig Weg zu mehr Umsatz finden, etwa Potenzial von einem Online-Webshop entdecken und heben. Der Grund für diese Anspruchshaltung ist, dass die IT die erforderlichen Informationen vorliegen hat.

Es gibt Firmen, die die Compliance der IT übergeben haben, weil das Reporting ohnehin auf IT basiert. Die interne IT kann die Governance über alle Abteilungen hinweg übernehmen, weil bei ihr alle Fäden zusammen laufen und sie aufgrund ihrer zentralen Aufgaben ohnehin mit allen relevanten Abteilungen wie Marketing, Finance und den produzierenden Einheiten eng zusammen arbeitet. Die IT gewinnt an Bedeutung, nichts destotrotz hat sie immer noch ein Kostenproblem, das sie dauerhaft lösen muss.

CW: Gewinnt die interne IT möglicherweise an Gewicht, weil die Erfahrung mit externen Projekten nicht immer gut war?

Ridder: Nein, weil das Potenzial für gute Outsourcing-Vorhaben da ist. Ein Projekt durchläuft typische Phasen. Anfangs wird das Abkommen gestartet, um Probleme zu lösen und um Kosten zu senken, oder weil Mitarbeiter und Skills fehlen. Wenn sich nach einer Weile SLAs eingependelt haben und Services reibungslos laufen, passiert in der Regel nichts. Die Firmen, die Outsourcing taktisch betreiben, begnügen sich ab hier mit dem Status quo.

Kommen neue Anforderungen der Fachbereiche auf die IT zu, dann rumpelt es, weil die verbliebene interne Organisation auf Veränderungen ebenso wenig vorbereitet ist wie der Outsourcer. Dieser Effekt tritt aber genauso in einer internen IT ein. Das ist nicht unbedingt ein Outsourcing-spezifisches Phänomen. Um langfristig einen hohen Wertbeitrag aus der IT zu schöpfen, muss man sich aktiv und intensiv um sie kümmern.

CW: Das ist seit Jahren bekannt. Die meisten Anwenderfirmen haben doch bereits Positionen für das Sourcing-Management und für die Provider-Steuerung besetzt.

Ridder: Wenn Sie zehn Unternehmen nach dem IT-Bedarf der Fachbereiche in den kommenden sechs Monaten fragen, werden neun antworten, dass sie den nicht kennen.
Das interne Team, das Bedarf und Lieferung abstimmt, sitzt zwischen Provider und Anwender. Wollen Unternehmen den Erfahrungsschatz von Dienstleistern wie IBM, HP und T-Systems ausschöpfen, dann wäre ein direkter Austausch sinnvoller. Die Dienstleister kennen die Innovationen die Anwender den Bedarf. Das findet nur selten statt.

CW: Idealerweise kennen zentrale CIO-Organisationen beide Seiten und können selbst Marktneuerungen für den eigenen Bedarf bewerten?


Ridder: Natürlich sollte ein CIO den Bedarf etwa seiner Vertriebsorganisation erkennen können. Er kann aber niemals den IT-Markt in der Breite und Tiefe beobachten, wie es ein Dienstleister tut. Außerdem haben Provider neue Lösungen schon in anderen Unternehmen eingeführt und können Vorteile und Nutzen abschätzen.

CW: Im Zuge des GM-Beispiels wurde viel über das Insourcing geschrieben, bisweilen wurde es als neuer Trend ausgerufen. Ist eine solche Bewegung erkennbar?

Ridder: Von 100 Outsourcing-Deals werden 85 nach Ablauf der Laufzeit an den gleichen Provider vergeben. Weitere zehn Prozent werden an einen anderen Partner ausgelagert. Nur fünf von hundert Outsourcing-Projekten werden wieder ins eigene Haus verlagert, selten aber in Gänze. Aus Unzufriedenheit tut das übrigens keiner, um mal mit einem Mythos aufzuräumen.

Wenn ein Unternehmen wie GM ein solches Projekt startet, sieht die gesamte Branche zwangsläufig interessiert zu. Man will verstehen, was dort vor sich geht und Schlüsse für die eigene Umgebung daraus ziehen. Aber Konzerne wie Daimler, BMW und Ford werden keine vergleichbaren Vorhaben starten, zumal sie das Outsourcing ohnehin anders betrieben haben.

CW: Also gibt es keinen Trend?

Ridder: Es gibt allenfalls den Trend, dass sich Unternehmen Gedanken machen, was wirklich Kernkompetenz und kritische IT ist. Früher war das Outsourcing eine Massenbewegung à la: ´Was alle machen muss auch gut für mich sein´. Das ist vorbei. Kleine Deals liegen im Trend. Die Anwender besorgen sich Snipits, also Cloud-Insel-Lösungen, und wollen sie integrieren. In dem Zusammenhang fragen Sie sich: Ist es sinnvoll, die Integration selbst zu machen oder an einen Dienstleister auszulagern? Hier tut sich ein neuer Markt auf.

Gartner Prognosen

Aufgrund der hohen und steigenden Arbeitslosenquote in der Europäischen Union, wird die Politik bis spätestens Ende 2014 Regelungen zum Schutz von Arbeitsplätzen durchsetzen, erwarten die Analysten von Gartner. Infolge dieser protektionistischen Maßnahmen wird das Offshoring-Geschäft bis zum Jahr 2016 um 20 Prozent einbrechen, mutmaßen sie. Allerdings werden die Anwender und Anbieter keineswegs vom globalen Liefermodell abrücken. Stattdessen werden die Provider in europäische Länder oder heimische Regionen mit geringeren Lohnkosten ausweichen.
Die leistungsstarken IT-Anbieter kommen künftig vor allem aus Asien, und sie nehmen Einfluss auf den hiesigen Arbeitsmarkt. Bis 2014 werden neue IT-Stellen in den größeren westeuropäischen Märkten vorwiegend von Unternehmen mit Hauptsitz in Asien geschaffen, erwartet Gartner. Die Anbieter aus Fernost, vor allem aus China und Indien, wachsen im zweistelligen Prozentbereich und werden ihre geografische Präsenz nachhaltig ausbauen. Dazu fließen bis 2015 erhebliche Investitionen in die westlichen Märkte, folglich werden sie zu den Arbeitgebern mit dem größten Personalbedarf. Die westlichen Anbieter leiden auf absehbarer Zeit unter der Wirtschaftskrise. Sie bemühen sich intensiver um eine Industrialisierung ihrer IT-Lösungen, was die Schere bei der Personalsuche zwischen asiatischen und westlichen Firmen weiter öffnen wird.
Der von Gartner beschworenen Kräfteverbund („Nexus of Forces”) aus Cloud Computing, Big Data, Mobility und Social Media sowie die anhaltende Weltwirtschaftskrise wird für eine Neuordnung im IT-Servicemarkt sorgen. Bis 2015 werden günstige Cloud-Dienste bis zu 15 Prozent des herkömmlichen Outsourcing-Geschäfts kannibalisieren. Mehr als 20 Prozent der großen IT-Outsourcing-Provider werden durch Übernahmen vom Markt gefegt. Das trifft insbesondere solche Anbieter, die es versäumt haben, in die Industrialisierung und in Mehrwertdienste zu investieren. Der Trend zum Cloud-Einsatz gefährdet zudem das Geschäftsmodell von Offshore- und Nearshore-Spezialisten, weil Anwender Zugang zu günstigen Onshore-Optionen etwa aus der Cloud haben.