Innovatoren - graue Eminenzen fürs Management?

10.07.1987

Professor Dr. Karl-Heinz Strothmann Institut für Markt- und Verbrauchsforschung an der Freien Universität Berlin

Das auf komplexe Anlagen und systeme gerichtete Innovationsgeschehen ist gegenwärtig in seine spannendste Phase geraten: Die Hersteller innovativer Technologien haben erkennbare Probleme mit ihrem Marketing. Es hat den Anschein, als seien die bislang eingesetzten Marketing-Instrumente stumpf geworden. Die potentiellen Abnehmer von auf Mikroelektronik basierenden Technologien stehen vor ungeheuren Informationsproblemen. Die Gefahr ist abzusehen, daß daraus Innovationsbarrieren werden, die den Technologiedurchsetzungs Prozeß nachhaltig bremsen könnten.

In dieser Situation ist ein neues Marketing für Investionsgüter gefordert. Der an konventionellen Techniken gewonnene Erkenntnisstand bedarf der Überprüfung. Das in der bisherigen Praxis Bewährte muß den neuen technologiebedingten Verhältnissen angepaßt werden.

Ein Problem ist in diesem Zusammenhang besonders brisant: Die permanent steigende Zahl von Entscheidungsbeteiligten innerhalb der Abnehmerbetriebe. Diese Ausweitung von Entscheidungsgremien ist darauf zurückzuführen, daß bislang isoliert einsetzbare Investitionsgüter durch Vernetzung zur Integration gebracht werden und damit innerhalb der Abnehmer betriebe funktionsbereichsübergreifend operieren. Alle Funktionsbereiche der Abnehmerbetriebe sind davon betroffen. Aus ihnen rekrutieren sich zusätzliche Entscheidungsträger, die das bislang gewohnte "Buying Center" anreichern.

Unter dem Aspekt der geforderten fachlichen Kompetenz zur Systembeurteilung stellt sich allerdings die Frage, ob dieses Aufstocken von Entscheidungsgremien wirklich eine Bereicherung des Investitionsgeschehens darstellt.

Ist es nicht vielmehr so, daß nun auch zahlreiche System-Ignoranten mitsprechen, wenn wichtige Fragen der Beurteilung eines Investitionsobjektes oder -schrittes anstehen? Es ist zu vermuten, daß dem so ist und immer mehr so sein wird.

In einer ersten vom Spiegel Verlag initiierten Untersuchung deutet sich an, daß die Abnehmerbetriebe dieses Problem erkannt haben und dafür eine Lösung suchen. Nach den ersten Befunden einer Voruntersuchung besteht der Eindruck, daß sich bei den Abnehmern eine neue Garde "grauer Eminenzen" herauskristallisiert, die relativ unscheinbar wirkt und dennoch eine hohe Machtposition einnimmt. Es handelt sich um hochkompetente Fachleute, die eine Schlüsselfunktion im investitionsausgelösten Informationsprozeß des eigenen Unternehmens ausüben. Sie organisieren gleichzeitig den zwischen den Technologieherstellern und dem Abnehmerbetrieb erforderlichen Kommunikationsprozeß und treiben so das Innovationgeschehen innerhalb ihres Betriebes weiter. Bei ihnen reichert sich in diesem innovationsbedingten Kommunikationsgeschehen die fachliche System-Beurteilungskompetenz an, die den anderen Entscheidungsträgern fehlt.

Sollten sich diese Hypothesen in den Folgeuntersuchungen bestätigen, dann wären wichtige Zielpersonen für das System-Marketing entdeckt. Aus dieser Einsicht ergeben sich weitergesteckte Fragestellungen nach den Merkmalen dieser als "Innovatoren" bezeichneten Fachleute. Dafür gibt es erste Anhaltspunkte.

Natürlich sind derartige Fachleute durch frühere Beteiligungen an größeren, komplexen Investitionen hinreichend erführen. Ihre technische Kompetenz wird durch eine entsprechende Spezialausbildung gestützt. Innovatoren sind ausreichend lange in ihrem Betrieb beschäftigt, um die betrieblichen Belange zu kennen, jedoch noch nicht so lange, daß sie mit Betriebsblindheit geschlagen sind. Ihr beruflicher Werdegang verlief gradlinig. Sie stammen aus geordneten Verhältnissen und neigen nicht zum politischen oder gesellschaftskritischen Opponententum. Ihr Engagement konzentriert sich auf den betrieblichen Bereich, das Privatleben findet statt, ordnet sich jedoch immer betrieblichen Anforderungen unter.

Dies sind erste Hinweise zur Beschreibung einer neuen im Innovationsgeschehen auftretenden Figur. Weitere Merkmalsausprägungen müssen erkannt werden, weil es für das Marketing an diesem Entscheiderkreis kein Vorbei gibt.

Sollten sich die hier ausgesprochenen Vermutungen erhärten - und vieles spricht dafür -, dann hätte das weitreichende Konsequenzen für die vom Marketing zu betreibende Kommunikationspolitik. Der Innovator ist nur durch Fachinformationen zu überzeugen, die einer rationalen Bewertung standhalten. Der auf ihn gerichtete Informationsprozeß erhöht seine Machtposition. Der Innovator gewinnt an Image, das insbesondere in den Kreis der übrigen Entscheider hineinwirkt. Es fragt sich, wie dann die auf die anderen Entscheidungsträger gerichtete Imagepolitik zu gestalten ist. Auf jeden Fall muß eine Konstellation herbeigeführt werden, die Übereinstimmungen schafft zwischen den vom Innovator ausgesprochenen Empfehlungen und den bei den übrigen Entscheidungsträgern ausgeprägten se Weise kann ein nachhaltiger Marketing-Erfolg herbeigeführt werden.

Für die Hersteller ist eine Entdeckungsreise durch die potentiellen Abnehmerbetriebe angezeigt. Sie haben die Innovatoren zu identifizieren und diese mit der notwendigen Ernsthaftigkeit zu informieren. Nur so sind die Einstiegssegmente für neue Technologien zu präparieren, damit der Technologiedurchsetzungsprozeß in Gang gesetzt und gehalten wird.