Innovationsdruck schafft Nähe

11.04.2007
Von Kathrin Renner
Wirtschaft und Hochschulen erkennen zunehmend die Vorteile, die eine Annäherung für beide Seiten bringt. Die Zusammenarbeit reicht vom Wissenstransfer über Rekrutierung bis hin zu firmeneigenen Instituten.

Unternehmen in Deutschland suchen stärkeren Zugang zu längerfristiger, strategischer Forschung und kooperieren darum enger mit Hochschulen. Das ist das Ergebnis einer noch unveröffentlichten Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. "Die einst so festen Mauern zwischen Wissenschaft und Industrie werden durchlässiger", beobachtet Professor Knut Koschatzky, der die Untersuchung geleitet hat.

So unterschiedlich die Geschäftstätigkeit, das Marktumfeld, die Größe und die personellen Voraussetzungen der einzelnen Firmen sind, so verschieden sind auch die Ausprägungen der Kooperationen. Beide Seiten ziehen aus ihnen Profit: Die Unternehmen sichern sich Marktvorteile durch Innovationsvorsprünge und hoch qualifizierte Mitarbeiter. Die Hochschulen erhalten mehr Nähe zum Markt und zusätzliches Geld. Für sie sind die Schnittstellen zur industriellen Entwicklung und Praxis besonders attraktiv, wenn sie der wissenschaftlichen Forschung und Lehre einen Kompetenzgewinn verschaffen.

Hier lesen Sie …

  • wie Hochschule und Wirtschaft zusammenarbeiten;

  • was sich beide Seiten von dieser Kooperation versprechen;

  • welche Vorteile kleinere Firmen von der Kooperation mit der Wissenschaft haben.

Ein Grund für die intensivere Zusammenarbeit zwischen Firmen und Universitäten ist der Innovationsdruck. Vor allem große Unternehmen bekommen Konkurrenz von ehemaligen Schwellenländern. Hinzu kommt, dass Innovationen auf immer komplexeren Wissen basieren.

Knut Koschatzky, Fraunhofer-Institut: Die einst so festen Mauern zwischen Wissenschaft und Industrie werden durchlässiger.
Knut Koschatzky, Fraunhofer-Institut: Die einst so festen Mauern zwischen Wissenschaft und Industrie werden durchlässiger.

Eine größere Autonomie und Selbststeuerung der Hochschulen in Richtung "unternehmerische Universität" begünstigt die Annäherung an die Wirtschaft, beobachtet Koschatzky. Höhere Drittmittelquoten führen dazu, dass Hochschulen offener werden gegenüber neuen Kooperationsmodellen mit der Industrie.

Institute für Innovation

Bereits 41 Prozent der deutschen Unternehmen mit über 250 Mitarbeitern kooperieren mit der Wissenschaft über so genannte An-Institute, eine Form von Public-Private-Partnerships. In Deutschland gibt es rund 550 dieser rechtlich unabhängigen Institute, die anwendungsorientierte Forschung, Beratung und Training für externe Auftraggeber anbieten. Die Anbindung an die Hochschule erfolgt über einen Kooperationsvertrag oder auch personell über einen Professor. Ein Beispiel für ein An-Institut sind die Deutsche-Telekom-Laboratories an der TU Berlin. Vier Professoren arbeiten dort an Projekten für die Deutsche Telekom. Sie können aber einen Teil ihrer Zeit für freie Forschung nutzen.

Im Unterschied zu Konzernen wie der Telekom kooperieren kleine und mittlere Unternehmen weit seltener mit Universitäten, laut ISI sind es nur 13 Prozent der Mittelständler. Daher fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2006 gezielt Hochschulen, die mit kleinen Firmen zusammenarbeiten. Eine Forschungsprämie soll den Universitäten helfen, neue Vorhaben im Wissens- und Technologietransfer umzusetzen und Erkenntnisse in der Praxis zu verwerten. Das Ministerium stellt dafür bis 2009 rund 100 Millionen Euro bereit. Bundesforschungsministerin Annette Schavan hat auf der CeBIT eine zusätzliche Förderung angekündigt: Das Forschungsprogramm "IKT 2020" soll eine stärkere Verquickung von Wirtschaft und Wissenschaft erreichen.

Clemens Fischer, BTC: Wir wollen unsere Entwicklung an neuesten Erkenntnissen der Forschung messen.
Clemens Fischer, BTC: Wir wollen unsere Entwicklung an neuesten Erkenntnissen der Forschung messen.

Für 70 Prozent der vom ISI befragten Hochschulen und Firmen soll eine Kooperation vor allem neue wissenschaftliche Erkenntnisse bringen. Sind Forschung, Entwicklung und Produktion eng gekoppelt, erhofft man sich, dass die Erkenntnisse schnell in Produkte oder Dienstleistungen umgesetzt werden. Die BTC Business Technology Consulting AG, ein mittelständischer IT-Dienstleister aus Oldenburg, arbeitet darum eng mit Offis, dem An-Institut der Universität Oldenburg, zusammen. Clemens Fischer, Leiter der Geschäfteinheit Softwarelösungen bei BTC, setzt sich alle vier Wochen mit Wissenschaftlern des Instituts an einen Tisch, um neue Felder der Zusammenarbeit zu besprechen: "Wir schätzen den fundierten Blick von außen und die Gelegenheit, unsere Entwicklung an neuesten Erkenntnissen zu messen." Wo immer in der Projektarbeit Themen mit Forschungscharakter auftauchen, zieht der IT-Dienstleister die Wissenschaftler zu Rate und involviert sie in die Projekte.

Umgekehrt tritt auch Offis an BTC heran, um seine Forschung praxisnah auszurichten. "Die Informatiker werden in die Lage versetzt, die Fragen zu beantworten, die unseren Kunden auf den Nägeln brennen", sagt Fischer. Auch zu Professoren, die an der Universität Oldenburg Informatik unterrichten, hält BTC engen Kontakt. Da dort Themen wie EAI oder SOA bereits intensiv in den Vorlesungsplan einfließen, sind die Absolventen interessante potenzielle Mitarbeiter für BTC.

Dem Nachwuchs auf den Fersen

Peter Chamoni, Cundus: In den vergangenen Jahren haben wir 20 Mitarbeiter von der Hochschule Essen-Duisburg rekrutiert.
Peter Chamoni, Cundus: In den vergangenen Jahren haben wir 20 Mitarbeiter von der Hochschule Essen-Duisburg rekrutiert.
Foto: Peter Chamoni

Für viele Unternehmen ist die Rekrutierung neuer Mitarbeiter ein Grund, um mit Hochschulen zusammenzuarbeiten. So auch für das IT-Beratungshaus Cundus. Der Duisburger Spezialist für Business Intelligence hat seit der Gründung im Jahr 2000 rund 20 Mitarbeiter von der örtlichen Universität rekrutiert. Dazu Cundus-Aufsichtsratschef Professor Peter Chamoni: "Wir wollen Studenten früh praktisch schulen und hochkarätige Absolventen für unser Unternehmen gewinnen." Die Folgen der IT-Krise, die viele Abiturienten nach 2001 vor einem Informatikstudium zurückschrecken ließ, spüren die personalsuchenden Firmen heute. So hat auch Cundus zehn Stellen für IT-Berater zu besetzen. "Noch immer belegen zu wenig junge Menschen Informatikstudiengänge, dabei sind die Berufaussichten sehr vielversprechend", wirbt Chamoni, der bei Cundus die Forschung und Entwicklung betreut sowie das Fachgebiet Wirtschaftsinformatik und Operations Research an der Universität Duisburg-Essen leitet. In dieser Doppelrolle will er eine Brücke zwischen Lehre und Praxis schlagen: "Probleme, mit denen sich die Unternehmen in der operativen Arbeit konfrontiert sehen, geben wir als aktuelle, praxisrelevante Impulse unmittelbar an die Forschung weiter."

Daneben dient der Zusammenschluss von Forschung und Industrie häufig auch dazu, Übergänge zwischen den zwei Welten zu erleichtern. So werden nicht nur Wissenschaftler in die Unternehmen geholt, sondern es öffnen sich auch Perspektiven für Unternehmensmitarbeiter in der Forschung. Das Software- und Beratungshaus sd&m AG aus München hat die enge Zusammenarbeit mit den Hochschulen bereits 1982 als eines seiner Gründungsziele definiert. Zahlreiche Mitarbeiter halten Gastvorträge, Vorlesungen und Seminare oder übernehmen Lehraufträge, etwa an der TU München und der Universität Bonn.

"Wir wollen zu mehr Praxisbezug in der Wissenschaft beitragen", sagt Uwe Dumslaff, Vorstand von sd&m für die Region Süd, die IT-Beratung und sd&m Research. Dieses Engagement fördert und bestärkt nicht nur die Mitarbeiter, sich als Lehrende zu profilieren. Auch Themen, die aus einem anderen Blickwinkel aufbereitet werden, sieht das Unternehmen als Mehrwert. "Die persönlichen Erkenntnisse, die Mitarbeiter gewinnen, indem sie Projekte für die Lehre noch einmal didaktisch aufbereiten, sind unschätzbar wertvoll", sagt Professor Gregor Engels, wissenschaftlicher Leiter von sd&m Research und Professor für Informatik an der Universität Paderborn.

Weltweite Forschungslabors

Große Konzerne richten ihre Forschungs- und Entwicklungskooperationen zunehmend auch international aus. Nicht die räumliche Nähe zum Unternehmensstandort zählt, sondern die weltweit anerkannte Kennerschaft der Hochschule auf dem jeweiligen Gebiet. "Wir gehen dorthin, wo das beste Wissen konzentriert ist", sagt Professor Lutz Heuser, Vice President der SAP-Forschung. Das ist zum Beispiel nach wie vor im Silicon Valley der Fall. Das Labor, das SAP dort in Palo Alto betreibt, ist heute nur ein Standort unter vielen: Weitere SAP-Labors gibt es in Deutschland, Australien, Südafrika, Kanada, Nordirland, der Schweiz, Frankreich und China. Auch IBM hat ihre acht Forschungslabors über vier Kontinente verteilt und beschäftigt dort rund 3500 Wissenschaftler. Paul Horn, Senior Vice President für die weltweite Forschung bei IBM, weiß die Zusammenarbeit zu schätzen: "Innovationen entstehen zunehmend in offenen Ökosystemen, in Partnerschaften zwischen Kunden, Universitäten, Technologielieferanten und Verwaltung."

Auch die Trennlinien zwischen den klassischen Organisationseinheiten lösen sich nach Koschatzkys Ansicht zunehmend auf: "Das Überwinden von Transferbarrieren zwischen Unternehmen, Universitäten oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen löst eine Dynamik aus, die neu ist im deutschen Innovationssystem."